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Glitzer, Glamour, Kater

Oliver Samson31. Oktober 2002

Von der Schmuddelecke in die Klatschspalte bis zum empfohlenen Börsentipp - die Sex-Industrie ist gesellschaftsfähig geworden. In Berlin gab sich die Branche unlängst bei einer einschlägigen Leistungsschau die Ehre.

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Es gibt nichts, was es nicht gibtBild: dpa

Uwe Bette kennt sich aus in der Branche. Zum sechsten Mal findet die "Venus-Messe" statt, inzwischen ist die Erotik-Messe - nach Las Vegas - die zweitgrößte weltweit. Und Bette ist zum sechsten Mal mit einem Stand dabei. Der Geschäftsführer des mittelständischen Porno-Grossisten WIWA ist von Hause aus studierter Psychologe - keine abwegige Qualifikation in einem Geschäft, bei dem es wie bei kaum einem zweiten um Träume, Wünsche und Fantasien der Kundschaft geht.

Gummi-Ente (gelb, wasserdicht)

Man braucht tatsächlich Fantasie, um sich vorstellen zu können, was auf einer Messe für "Adult Entertainment" mit über 300 Ausstellern an Produkten und Dienstleistungen alles feilgeboten wird: Natürlich gibt es dort Filme und Hefte für jede denkbare sexuelle Nische, Dessous hat wohl auch schon mancher gesehen und man mag auch eine grobe Vorstellung davon haben, was der Begriff Sexspielzeug alles beinhalten könnte.

Bei erotischen Möbeln wird dies schon schwieriger - und wenn man nach einem Rundgang durch die drei Messehallen unter dem Berliner Funkturm schließlich vor einem Stand ankommt, der Packmaschinen anbietet, fällt es schwer zu glauben, dass diese zum Einschweißen von Videokassetten dienen. Es wird eben mit allem gehandelt, was Lust in Geld verwandeln könnte und so ist von der vibrierenden Gummi-Ente (gelb, wasserdicht) bis zum Geldwechselautomat für Einzelkabinen alles im Angebot.

Kontakte herstellen und pflegen - für Bette sind dies die Hauptgründe, auf der Messe präsent zu sein. Die Veranstalter wollen mehr, eine Erotik-Messe muss für sie natürlich auch ein Event sein. Schon vor dem eigentlichen Beginn der Messe wurde mit den "Venus-Awards" eine Art Oscar-Verleihung der Porno-Branche zelebriert, Show-Programme und Parties sollen den Geschäften Glitzer und Glamour geben.

Verflogener Goldrausch

Doch vor allem den Kleinen und Mittelgroßen der Branche ist nicht nach Feiern zu Mute, dezente Katerstimmung hat sich breit gemacht. Vom Goldrausch nach dem Ende des Ostblocks ist wenig geblieben, die Zeiten der zweistelligen Umsatzsteigerungen scheinen endgültig vorbei, Pleitegerüchte machen die Runde.

Gründe dafür weiß Fachmann Bette eine ganze Reihe aufzuzählen. Da ist zum einen die allgemeine Wirtschaftskrise, klar. Konsumzurückhaltung betrifft eben auch Porno-Heftchen. Zudem sei eine Übersättigung des Marktes erreicht. Mehr als 150 Filme bringt allein der größte deutsche Vertrieb SBV auf den Markt - pro Woche. "Jeder, der halbwegs eine Kamera halten kann, versucht sich in Pornos", klagt Bette und was zu viel sei, sei schließlich zu viel. Und zu allem Unglück seien auch noch die Produktionskosten erheblich gestiegen, auch und gerade im europäischen Porno-Mekka Ungarn. "Früher konnte man da Models für 150 Dollar für zehn Shots am Tag haben. Das ist auch vorbei." Leider, wie Bette meint.

Porno für Anleger


Ausgelassen gefeiert wurde hingegen bei "Private", einem der Marktführer. Im letzten Jahr wurde dieser börsennotierte Global-Player des Pornos vom Wirtschaftmagazin Forbes zu den 20 besten Firmen mit weniger als 500 Millionen Dollar Jahresumsatz gewählt. Die Produktpalette reicht von klassischen Heftchen, Filmen, Kondomen, Internet-Plattformen und Sex-Spielzeug bis zu einer eigenen Mode-Linie und inzwischen sogar Erfrischungsgetränken. Man versteht sich als "Lifestyle-orientiert", hat den größten und schicksten Stand der Messe. An dessen Scheiben drücken sich die gemeinen Besucher die Nase platt, als ein Kamerateam von MTV eines der Models interviewt. Sie sieht aus wie ein Filmstar, trägt sogar Kleidung, kichert viel, nennt sich Julia Taylor und spricht englisch mit osteuropäischem Akzent.

Neben einigen Sternchen zelebriert bei der Messe aber auch der Übervater der Branche seinen Auftritt: Larry Flynt. Der Mann, der seit Jahrzehnten gegen die Windmühlen der amerikanischen Bigotterie und für Porno als Menschenrecht kämpft. Der deswegen von einem Fanatiker querschnittsgelähmt geschossen wurde. Der durch sein Magazin "Hustler" zum Multimillionär avancierte und dessen Leben von Hollywood verfilmt wurde. Der noch immer als flammender Streiter für Bürgerrechte und die Freiheit von Kunst und Meinung auftritt.

Porno goes Politics

Mag sein, dass sich Flynt beim Autogramme-Schreiben an seinem Stand darüber gefreut hat, wie sehr Porno sich inzwischen Richtung Pop-Kultur bewegt hat. Mag sein, dass er sich darüber freut, dass Porno-Darsteller inzwischen das Personal der Klatschspalten infiltriert haben. Es mag aber auch sein, dass er sich darüber wundert, dass Porno gut 25 Jahre nach seiner Legalisierung soweit in die gesellschaftliche Mitte gerückt ist, dass im letzten Bundestagswahlkampf die einschlägigen Aktricen Dolly Buster und Gina Wild Wahlkampf für CDU respektive FDP gemacht haben. Und es könnte sein, dass Flynt dies nun wirklich nicht gewollt hat.