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Giftanschlag auf die bekannte Tschetschenien-Berichterstatterin Anna Politkowskaja?

3. September 2004

Die Journalistin wollte über das Geiseldrama von Beslan berichten - Schikanen auch gegen den RADIO LIBERTY-Journalisten Andrej Babizkij

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Moskau, 3.9.2004, KOMMERSANT, russ., Andrej Salnikow, Marina Lepina

Die zwei bekannten Journalisten Anna Politkowskaja und Andrej Babizkij haben nicht nach Beslan reisen können, um den Lesern der "Nowaja gaseta" und den Hörern von Radio Liberty über die Geiselnahme in Nordossetien berichten zu können. Frau Politkowskaja weilt im Krankenhaus - ihr Gesundheitszustand ist ernst - und Herr Babizkij wurde auf einer Wache der Miliz aufgehalten.

Die Kommentatorin der "Nowaja gaseta" Anna Politkowskaja wurde am Mittwochabend in das Semaschko-Krankenhaus in Rostow am Don eingeliefert. Der Chefredakteur der Zeitung, Dmitrij Muratow, teilte mit, Frau Politkowskaja sei an jenem Tag nach Beslan abgereist, um über die Operation zur Freilassung der Geiseln zu berichten. Zum Flughafen Wnukowo habe sie ein Dienstwagen gebracht. Nachdem sie die Passkontrolle hinter sich gebracht habe, habe die Journalistin den stellvertretenden Chefredakteur der Zeitung, Sergej Sokolow, angerufen und ihm mitgeteilt, dass sie mit einer Maschine der Fluggesellschaft "Karat" nach Rostow am Don fliegen werde und von dort aus versuchen werde, nach Beslan zu kommen. Auf das Abendessen im Flugzeug habe die Journalistin verzichtet und lediglich um einen Tee gebeten. Etwa zehn Minuten nachdem sie ihn ausgetrunken habe, sei sie in Ohnmacht gefallen. Zu Bewusstsein sei sie erst wieder in der medizinischen Ambulanz des Flughafens von Rostow gekommen, von wo sie in der Redaktion angerufen habe. "Zur Zeit ist Anna im Krankenhaus", sagt Dmitrij Muratow. Ihr Zustand wird als mittelschwer bezeichnet. Die Ärzte können immer noch nicht sagen, was der Grund für die Verschlechterung ihres Gesundheitszustands war. Anna verliert immer wieder das Bewusstsein und leidet unter starken Blutdruckschwankungen. Sogar die Notärzte hatten Angst, sie vom Flughafen ins Krankenhaus zu transportieren, weil ihr Blutdruck unter dem untersten Grenzwert lag und sie bewusstlos war."

Der Journalistin wurde eine erste Diagnose gestellt - Vergiftung. Eine genauere Diagnose wird in einigen Tagen, nach Laboruntersuchungen, erfolgen. Anna Politkowskaja selbst erklärte gegenüber unserer Zeitung, man habe ihr "bewusst Gift gegeben", um sie an der Reise nach Beslan zu hindern.

"Die traurige Geschichte mit Anna Politkowskaja hat es tatsächlich an Bord einer Maschine unserer Fluggesellschaft gegeben", wurde unserer Zeitung bei der Fluggesellschaft "Karat" mitgeteilt. "Wir kennen sie gut, denn sie fliegt häufig mit uns. Und sie hat sich bislang nie beschwert. Der Tee kann nicht die Ursache der Vergiftung von Frau Politkowskaja sein - er wird allen Passagieren aus derselben Kanne serviert. Und Klagen anderer Passagiere hat es nicht gegeben. Anna aber - so berichtete uns der Chef-Flugbegleiter auf diesem Flug - sei es gleich nach dem Mittagessen schlecht geworden und sie habe das Bewusstsein verloren. Ein Mitarbeiter der Fluggesellschaft begleitete sie ins Krankenhaus. Dort wurde ihm gesagt, dass es sich wahrscheinlich nicht um eine Vergiftung handelt sondern um irgendeine Virus-Infektion."

Gestern ist auf dem Flughafen Wnukowo der Korrespondent von Radio Liberty, Andrej Babizkij, festgehalten worden. Wie der Journalist unserer Zeitung persönlich mitteilte, hätte er um 8.30 Uhr nach Mineralnyje Wody fliegen sollen, um von dort aus nach Beslan weiterzureisen, wo er über die Besetzung der Schule durch Terroristen habe berichten wollen. "Man hat mich aber von dem Flug gestrichen, weil ein Diensthund angeblich Sprengstoff in meinem Gepäck aufgespürt hat. Bei der Überprüfung des Gepäcks wurde natürlich kein Sprengstoff gefunden. Geflogen bin ich aber nicht. Nicht mitfliegen durfte übrigens auch eine Kollegin von mir - Jana Dlugi, Korrespondentin von Agence France Press und Bürgerin der USA. Angeblich wurde auch in ihrem Gepäck Sprengstoff aufgespürt, obwohl Jana überhaupt kein Gepäck bei sich hatte. Sie flog dann mit einer anderen Maschine."

Andrej Babizkij wurde danach freigelassen. Beim Verlassen des Kontrollraumes seien zwei junge Leute an ihn herangetreten. Wie er sagte, "forderten sie, ihnen Bier zu kaufen". Plötzlich erscheinende Milizionäre unterbrachen dies. "Jetzt sitzen wir alle drei hier", sagte Andrej Babizkij unserem Korrespondenten, dem es gelungen war, über ein Mobiltelefon an ihn heranzukommen. "Bei den beiden handelt es sich um Mitarbeiter des Flughafens. Sie sagten mir, man habe ihnen ein Foto von mir gezeigt und sie gebeten, für Tumult zu sorgen. Ich glaube, all die heutigen Begebenheiten sollen dazu dienen, mich nicht nach Beslan zu lassen."

In der Hauptverwaltung des Inneren wurde unserer Zeitung mitgeteilt, dass der Journalist und die beiden jungen Leute, mit denen er sich unterhalten habe, um zehn Uhr morgens an der Bar der Ankunftshalle des Flughafens festgehalten worden seien. Nach Angaben der Milizionäre gab es eindeutig einen Streit: sie hatten Bierflaschen in der Hand, fluchten stark und stießen sich hin und her. Daraufhin seien sie zur Milizwache und anschließend zu einem Alkoholtest gebracht worden. Wie in der Hauptverwaltung des Inneren erklärt wurde, werden sie nach einer Untersuchung wieder freigelassen werden. In Beslan kann Andrej Babizkij aber erst heute eintreffen. (TS)