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Alt ist schön

Vera Kern30. November 2013

Sie haben graues Haar, Falten und Lebenserfahrung: Models über 50. "Best Ager" sind heute auf dem deutschen Werbemarkt gefragt, sogar eine Miss 50plus wird gekürt. Macht der demografische Wandel Silber zum neuen Blond?

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Ulla Schröter, erfolgreiches Seniorenmodel in Frankfurt (Foto: DW/V. Kern)
Bild: DW/V.Kern

Kaum klickt die Kamera, schaltet Ulla Schröter in den Kokettiermodus. Ganz der Profi, flirtet sie mit der Linse. Mal mimt sie die coole Rockerseniorin, mal die nette Oma vom Lande, mal die mondäne Dame von Welt. Ulla Schröter ist ein gefragtes Model - und das mit 72 Jahren. Ihr silbergraues Haar trägt sie kurz, dazu dezenten Lippenstift passend zum fliederfarbenen Wollpulli. Sie hat das, was ein erfolgreiches Best-Ager-Model, wie Mannequins über 50 in der Branche heißen, heute vor allem braucht: Authentizität.

Silbermähne und Falten auf Werbeplakaten? Noch vor zwanzig Jahren nahezu undenkbar. In einer Werbewelt, die nach Jugendlichkeit und dem perfekten Körper strebt, waren grauhaarige Großmütter eher die Ausnahme. Inzwischen jedoch sind Seniorenmodels wie Ulla Schröter gefragte Werbetypen.

Authentische Werbung für die Zielgruppe 50plus

Denn längst ist der demografische Wandel in der Werbung angekommen. Kaum ein Konzern kann längerfristig auf die Kaufkraft der Über-50-Jährigen verzichten. Bereits heute stammt jeder zweite Euro, der in Deutschland ausgegeben wird, von der Generation 50plus. Und die will von Gleichaltrigen beworben werden. Eine Zwanzigjährige, die für einen Treppenlift oder eine teure Zusatzversicherung im Alter posiert, ist einfach nicht glaubwürdig. Das glückliche Ehepaar um die 65 Jahre hingegen, das auf dem Kreuzfahrtschiff bei einem Glas Rotwein den Lebensabend genießt, weckt die richtigen Emotionen - Seniorenmodels sind werbewirksamer.

Ulla Schröter (l.) und Norman Stoesser (Foto: DW/V. Kern)
Ulla Schröter und Norman StoesserBild: DW/V.Kern

Auch die Frankfurter Agentur "Markenmodels" hat den Trend erkannt. An der Wand hängen neben Porträtfotos junger Models einige Best Ager. Auch Ulla Schröters Setcard ist im Angebot - eine Karte mit ihren relevanten Angaben für interessierte Kunden. Norman Stoesser weiß, wie die Branche tickt. "Models 50plus sollen gesund, agil und lebensbejahend unterwegs sein", sagt der "Head Booker", der die Models bucht. Am Ende, so Stoesser, gehe es ganz klar um eine glaubwürdige Ausstrahlung. Dazu gehören auch gepflegte Zähne, gesunde Haut und eine gute Figur. Doch auf die kleinste Kleidergröße Null wie bei jungen Models oft üblich muss sich im Alter niemand mehr herunter hungern. Strenge Konfektionsgrößen spielen zumindest in der Werbung eine untergeordnete Rolle.

Omas heute: modern und flott

Doch wird das Alter damit auch attraktiver, schöner und "frischer", wie Modelagent Stoesser es nennt? Oder ist es nur eine erfolgreiche Werbestrategie der Marketingabteilungen? Die klassische Großmutter mit Dutt und Lesebrille jedenfalls wird kaum noch nachgefragt. Ältere Models schlüpfen heute in ganz andere Rollen: Genießerin, Partnerin, Gesundheitsbewusste. Und wenn sie mal als Oma mit Enkelkindern abgelichtet werden, dann sollen sie sich recht flott und modern geben.

Dass sich das Bild der Seniorinnen wandelt, zeigt auch eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Dazu wurden Frauen über 50 zu ihrem Kleidungsstil befragt. Ein Ergebnis: Der Typus "die Korrekte" wird immer seltener. Ältere Damen also, die sich in unauffälligem Beige kleiden - und dazu eine ordentliche Dauerwelle, einen schlichten Schuh mit nicht zu hohem Absatz und farblich abgestimmter Tasche tragen. Stattdessen beobachtet GfK-Expertin Petra Dillemuth eine "Casualisierung der Gesellschaft": Die Generation 50plus sei modebewusster und folge heute nicht mehr strengen Kleidernormen: "Sie kleiden sich insgesamt lockerer und jünger als Vorgängergenerationen."

"Reif ist sexy" - nicht aber auf dem Laufsteg

Dieses Selbstverständnis passt zum Wettbewerb "Miss 50plus Germany", der diesen Winter zum zweiten Mal eine Schönheitskönigin kürt. "50 ist das neue 30" oder "reif ist sexy" verkünden die Veranstalter auf ihrer Homepage. Es soll eine Absage an den ewigen Jugendwahn sein.

Ist Silber also das neue Blond? Ulla Schröter, die zu Beginn ihrer Modelkarriere mit Anfang 20 auch für große Modekataloge abgelichtet wurde, ist da skeptisch. In Werbung für Kosmetik und Mode, so ihre Beobachtung, werde nach wie vor jedes Fältchen wegretouchiert. Auch auf den Mode-Laufstegen und in der Haute Couture herrschen nach wie vor die ungeschriebenen Grundsätze der Branche: Mit 30 ist ein Model zu alt fürs Geschäft. Bis auf wenige Ausnahmen defilieren kaum Models mit grauem Haar und Falten auf den großen internationalen Modenschauen.

In der übrigen Werbung hingegen ist ein attraktives Alter heute ein wertvolles Gut. Irgendwann aufhören? Für Ulla Schröter undenkbar. Sie liebt ihren Job als Model - und das schon seit 50 Jahren. "Weil man neue Leute kennen lernt und raus kommt", wie sie sagt. Und dann ist da noch etwas: "Es kitzelt auch die Eitelkeit, immer noch so gefragt zu sein." Wie gut, dass 72 in der Werbung oft längst kein Alter mehr ist.