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Gespräche enden fast nie zum richtigen Zeitpunkt

3. März 2021

Gespräche zu beginnen ist schwer, sie zum richtigen Zeitpunkt zu beenden ist fast unmöglich, zeigt eine Harvard-Studie

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Bild: DW/P. Böll

In Zeiten des Lockdowns ist es fast schon ungewohnt, überhaupt noch Gespräche zu führen. Aber egal, ob man sich kurz auf der Straße trifft, auf einer Party einen Smalltalk hält oder mit einem Freund einen kurzen Plausch: Fast nie werden Unterhaltungen zu einem Zeitpunkt beendet, mit dem beide Gesprächspartner zufrieden sind.

Es ist also nicht nur oftmals schwierig, ein interessantes Gespräch zu beginnen und zu führen, sondern auch Gespräche richtig zu beenden. Das zeigt eine Studie von Verhaltensforschern der Universität Harvard.

In zwei getrennten Untersuchungen nahmen sie 932 Gespräche unter die Lupe. In der ersten Studie unterhielten sich zwei fremde Menschen miteinander, in der zweiten Studie zwei vertraute. Die Gespräche konnten jederzeit beendet werden. Untersucht wurde nur, wann und wie die Unterhaltungen beendet wurden.

Anschließend wurde einer der Probanden befragt, was er beim Gesprächsende gedacht hat. Wann wollten Sie das Gespräch beenden? Wann wurde es tatsächlich beendet? Wann hätte Ihr Gegenüber wohl das Gespräch am liebsten beendet?

Eigentlich ist schon alles gesagt

Das Ergebnis ist ebenso klar wie überraschend: Egal ob Fremder oder Vertrauter - die Gespräche endeten fast nie zu einem Zeitpunkt, an dem beide Gesprächspartner dies wünschten, geht aus der Studie hervor, die im Fachjournal PNAS veröffentlicht wurde. Ob Smalltalk mit einem Fremden oder Plausch mit einem Vertrauten — rund 70 Prozent der Probanden sagten anschließend, dass sie das Gespräch eigentlich lieber früher beendet hätten.

Soziale Verbundenheit drücken wir in Gesprächen aus. Kommunikation ist das grundlegende Mittel aller menschlichen Aktivitäten. Trotzdem hatten bei der Studie beide Gesprächspartner kaum eine Vorstellung, wann das Gegenüber das Gespräch beenden wollte und wie sehr der eigene Wusch vom Wunsch des Gesprächspartners oder der Gesprächspartnerin abwich. Selbst bei einem vertrauten Menschen, den wir doch eigentlich gut zu kennen glauben. 

Fast die Hälfte aller Teilnehmer und Teilnehmerinnen hätte sich ein um ein Viertel der Zeit längeres oder kürzeres Gespräch gewünscht, als es tatsächlich stattfand.

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Aus Höflichkeit verbergen wir unsere tatsächlichen Gefühle wie Unwohlsein oder Langeweile in einem Gespräch. Bild: picture-alliance/dpa/B. Weissbrod

Laut Studie endete das Gespräch nur bei 1,59 Prozent zu einem von beiden gewollten Zeitpunkt. 46,8 Prozent aller Gespräche liefen weiter, obwohl sich einer der Gesprächspartner eigentlich längst ein Ende gewünscht hatte. Nur bei 9,52 Prozent endete das Gespräch, obwohl sich beide Gesprächspartner eigentlich noch länger hatten unterhalten wollen. 

Aus Höflichkeit verbergen wir unsere Gefühle

Als Grund für diese sehr unterschiedliche Einschätzung der Gesprächssituation sehen die Verhaltensforscher "ein klassisches Koordinierungsproblem, das Menschen nicht lösen können, weil sie dazu Informationen benötigen, die sie normalerweise voneinander fernhalten. Infolgedessen scheinen die meisten Gespräche dann zu enden, wenn keiner es will."

Aus einer angewöhnten Art der Höflichkeit verbergen wir unsere tatsächlichen Gefühle in einem Gespräch. Das Gegenüber soll nicht merken, dass wir uns unwohl fühlen oder langweilen.

Nicht das eigene Gefühl ist entscheidend, sondern wir versuchen bei Gesprächen die möglichen Wünsche unseres Gegegenübers zu antizipieren. Das macht es für beide so schwer, den optimalen Zeitpunkt für das Gesprächsende zu finden.

Um sich trotzdem aus der Gesprächssituation lösen zu können, ohne das Verhältnis zu belasten, verwenden wir oftmals vorgeschobene Gründe: Ich muss dann mal los! Tut mir leid, ich habe noch einen Termin! Das stimmt zwar meistens nicht, erleichtert aber den Abschied. 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund