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"Gespannte, krisenhafte Situation wird anhalten"

19. Juli 2007

Im Interview mit DW-RADIO spricht Türkei-Experte Heinz Kramer über die Chancen einer Einparteienregierung, machttaktische Überlegungen und weitere mögliche Konsequenzen der Parlamentswahlen.

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Heinz Kramer ist Türkei-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin.

DW-RADIO/Türkisch: Herr Kramer, welchen Ausgang erwarten Sie von den Wahlen in der Türkei, und was ist wichtig für Deutschland und Europa?

Heinz Kramer: Ich erwarte von den Wahlen in der Türkei ein Ergebnis, dass – ich muss sagen leider – wohl nicht sehr viel dazu beitragen wird, die gegenwärtigen Spannungen wirklich zu lösen. Das heißt, wir werden wohl ein Ergebnis bekommen, dass die Frage der Wahl des nächsten Staatspräsidenten nicht einfacher machen wird, als es im Frühjahr der Fall war. Von daher rechne ich damit, dass wir noch einige Monate in der Türkei eine gespannte, leicht krisenhafte und unsichere Situation haben. Das ist natürlich überhaupt nicht im Interesse Deutschlands und der EU, die sich eigentlich genau das Gegenteil wünschen. Nämlich ein Wahlergebnis, das es ermöglicht, ohne große Probleme einen Staatspräsidenten zu wählen und damit in der Türkei sozusagen zu Ruhe und Stabilität zurückzukehren.

Die Umfragen deuten ja an, dass die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Ministerpräsident Erdogan wieder die Mehrheit im Parlament erlangen wird. Wie sieht Ihre Prognose aus?

Das nächste Parlament wird in jedem Fall zwei, wahrscheinlich aber drei Parteien enthalten: Die AKP, die Republikanische Volkspartei (CHP) als jetzige und auch künftige Hauptoppositionsgruppierung, und mit hoher Wahrscheinlichkeit die "Partei der nationalen Bewegung", MHP. Ob noch eine weitere Partei ins Parlament kommt, ist im Augenblick offen. Wer in jedem Fall ins Parlament kommen wird, wird eine gewisse Anzahl so genannter unabhängiger Abgeordneter sein, die in Wirklichkeit aber Mitglieder der kurdischen DTP sind, so dass wir eigentlich sehr wahrscheinlich ein Vierparteien-, möglicherweise ein Fünfparteienparlament haben werden – was die Chancen der AKP, eine Einparteienregierung zu bilden, doch deutlich verschlechtern könnte.

Es wird erwartet, dass bei dieser Wahl etwa 30 kurdische Politiker ins Parlament einziehen könnten. Wie könnte sich diese Tatsache Ihrer Meinung nach auf die bestehende Kurdenfrage in der Türkei auswirken?

Die Folgen werden sich erst beurteilen lassen, wenn man das Wahlergebnis wirklich in der Hand hat. Denn es hängt sehr viel davon ab, ob diese Gruppe für irgendwelche machttaktischen Überlegungen gebraucht wird oder nicht. Das heißt, ob diese 25 oder 30 Stimmen, die da repräsentiert werden, von irgendeiner anderen Partei als notwendig angesehen werden, damit man politisch etwas bewirken kann: sei es eine Regierung bilden, einen Präsidenten verhindern oder einen Präsidenten begünstigen. Dann kann diese Gruppe sozusagen Gewicht bekommen. Wenn das nicht der Fall ist, wird diese Gruppe marginalisiert werden und damit wird es eben eine Gruppe von 20 bis 25 DTP-Abgeordneten geben, die aber keine Rolle spielen werden.

Das Gespräch führte Deger Akal
DW-RADIO/Türkisch, 19.7. 2007, Fokus Ost-Südost