1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Gespaltenes Land - vereinte Familie

Ariana Galindo Gonzalez / Carolina Machhaus5. Mai 2014

1973 beginnt in Chile die Zeit der Diktatur. Jahre danach gibt es noch immer zwei Lager: die Pinochet-Befürworter und die Pinochet-Gegner. Auch Oma Elianas Familie ist gespalten, doch die Familienbande sind stärker.

https://p.dw.com/p/1Bo6x
Proteste in Chile gegen die Regierung Bachelet im März 2014 (Foto: MARTIN BERNETTI/AFP/Getty Images)
Bild: Martin Bernetti/AFP/Getty Images

Wie ging es Chile vor der Diktatur?

Bei den Wahlen von 1970 entscheiden sich die Chilenen zum ersten Mal dafür, mit dem Land einen eindeutigen sozialistischen Weg einzuschlagen. Unter der Regierung von Eduardo Frei hatte Chile noch versucht, einen Kompromiss zu finden zwischen dem linken und dem rechten Lager im Land. Freis Regierung hatte Teile des Kupferbergbaus verstaatlicht und den Zugang zu Bildungseinrichtungen vereinfacht. Bauern hatten ihre eigenen Gewerkschaften gegründet.

Mit dem neuen Präsidenten Salvador Allende übernimmt eine marxistische Regierung die Führung. Sie schlägt die "Vía Chilena al Socialismo" ein, den "Weg Chiles in den Sozialismus". Stefan Rinke, Professor für Lateinamerika-Studien an der Freien Universität Berlin, sieht die Bevölkerung Chiles in dieser Zeit tief gespalten. Salvador Allende habe mit seinem knappen Wahlsieg auch nur eine "knappe Demokratie" auf seiner Seite gehabt.

Undatiertes Foto des ehemaligen chilenischen Präsidenten Salvador Allende (Foto: AP)
Der ehemalige Präsident Chiles, Salvador AllendeBild: AP

Als Allende sein Amt antritt, steckt Chile in wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten. Damals gelten in dem Land eine Million Kinder als unterernährt - bei einer Bevölkerungszahl von zehn Millionen. Elianas Tochter Monica kann sich daran noch gut erinnern. Sie studierte damals Kindererziehung und arbeitete in den Armensiedlungen rund um La Serena. Noch heute hat sie die hungernden Kinder vor Augen mit ausgeblichenen Haaren und aufgedunsenen Bäuchen. Wenn Oma Eliana ihre Tochter besuchte, brachte sie immer Brot mit, damit Monica den Kindern etwas zu essen geben konnte. "Meine Mutter hat mich bei meiner Arbeit immer unterstützt und sie sehr ernst genommen", erzählt Monica. Die Arbeitslosigkeit liegt damals bei knapp neun Prozent. Während eine Oberschicht von etwa vier Prozent der Bevölkerung über vier Fünftel des Nutzlandes verfügt. Eine Ungleichheit, die die Regierung Allende beseitigen will.

Allendes Regierung entzieht der Industrie, der Landwirtschaft und dem Finanzsektor privates Kapital. Und verspielt damit das Vertrauen von nationalen und internationalen Investoren. Das Resultat ist verheerend: eine Inflation, die auf mehr als 600 Prozent klettert, und ein stetig wachsender Mangel in der Bevölkerung.

Wie war das Leben zur Zeit der Militärdiktatur in Chile?

"Die Lage des Landes galt als hochgradig problematisch", sagt Lateinamerika-Experte Stefan Rinke. Angesichts der knappen Versorgungslage und der kontroversen Reformen wächst der Widerstand - vor allem im Militär. Höhepunkt des Aufbegehrens gegen die Allende-Regierung ist der Militär-Putsch am 11. September 1973 in Santiago de Chile. Das Militär stellt Allende ein Ultimatum: Es fordert seinen bedingungslosen Rücktritt. Als er sich weigert, wird der Präsidentenpalast "La Moneda" in Santiago de Chile bombardiert. Salvador Allende nimmt sich während der Luftangriffe das Leben. Sein Tod markiert den Anfang einer gewalttätigen Diktatur. Denn Augusto Pinochet verfolgt von nun an das Ziel, ein "Chile nuevo" zu schaffen, ein "Neues Chile".

Chilenische Militärs verbrennen Bücher am Tag des Putsches am 26. September 1973 in Santiago de Chile (Foto: AFP/Getty Images)
Santiago de Chile, 26. September 1973: Militärs verbrennen marxistische Bücher am Tag des PutschesBild: AFP/Getty Images

"Die Militärjunta hatte dafür allerdings keinen richtigen Plan", sagt Rinke. Klar war nur, dass Chile in eine neue politische Richtung gezwungen werden sollte. Andersdenkende werden deshalb verfolgt, gefoltert und ermordet. Viele werden zu einem Leben im Exil gezwungen, andere werden verschleppt und verschwinden spurlos.

Oscar ist Mitglied der liberalen "Partido Radical". Er, seine Frau Eliana und die Kinder gehören von nun an zur politischen Gegenseite. Sie werden bedroht. Während der Sperrstunde, als niemand mehr auf den Straßen sein darf, schießen Soldaten auf das Haus der Familie. Mit Matratzen in den Fenstern versucht sich die Familie zu schützen. Eliana bittet ihren Bruder um Hilfe, der als Arzt beim Militär arbeitet. Er hilft, obwohl die beiden politisch unterschiedlicher Meinung sind. Die Situation für die Familie entschärft sich.

Nach 17 Jahren Diktatur wendet sich 1988 das Blatt. Zum ersten Mal seit Pinochets Machtergreifung soll das chilenische Volk über die Verteilung der Macht im Land entscheiden. Die Opposition entwickelt im Zuge dessen die "NO"-Kampagne, die von Pinochet geduldet wird. Stefan Rinke meint, der Diktator habe die Bewegung wohl unterschätzt. So kommt es, dass die Opposition mit ihrer klug positionierten Kampagne ein politisches Gegengewicht schafft. Augusto Pinochet erkennt seine Niederlage an. Seine Diktatur findet ein Ende mit insgesamt 3200 Toten und mehr als 38.000 Folteropfern.

40 Jahre nach dem Putsch - wie geht die Bevölkerung mit ihrer Vergangenheit um?

Die chilenische Bevölkerung ist bis heute gespalten. Einerseits werden die Verbrechen gegen die Menschheit während Pinochets Regime verurteilt, andererseits befürworten viele Chilenen nachträglich die Entmachtung Allendes. Unter Pinochet waren die demokratischen Strukturen des Landes zerstört, worunter Familien wie die von Oma Eliana zu leiden hatten. Gleichzeitig aber war Chiles Wirtschaft gewachsen. Chile gilt heute als eines der wirtschaftlich stabilsten Länder in Südamerika. Allerdings kämpft das Land mit einer sozialen Spaltung und damit, dass es nur eine instabile Mittelschicht gibt.

Eine Demonstration im September 2013 in Santiago de Chile erinnert an Verschwundene während der Militärdiktatur (Foto: Sebastian Silva/AFP/Getty Images)
Santiago 2013: Immer noch erinnern Demonstranten an die Verschwundenen während der MilitärdiktaturBild: Sebastian Silva/AFP/Getty Images

Ex-Diktator Augusto Pinochet ist zu Lebzeiten nie für seine Verbrechen verurteilt worden und stirbt 2006 an den Folgen eines Herzinfarktes. Salvador Allende gilt heute noch als politische Ikone. Sein Konterfei wird häufig bei Protesten gezeigt, die an das Verschwinden und die Folter tausender Menschen während der Diktatur erinnern.

Elianas Familie ist heute noch eng miteinander verbunden. Die verschiedenen politischen Einstellungen werden respektiert und auf Familienfesten nicht thematisiert. In den großen Strukturen chilenischer Familien ist diese politische Spaltung keine Seltenheit. Auch unter Freunden gibt es unterschiedliche Meinungen zu Allende und Pinochet. Um den Frieden zu wahren, wird das Thema gemieden.