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Georg Klein: Libidissi

Ramón García-Ziemsen28. August 2006

Ein Agentenroman mit allem, was dazugehört. Aber Georg Kleins Debütwerk ist auch ein Werk der Literatur - doppelbödig und voll versteckter Anspielungen.

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Fast alles an diesem Buch ist rätselhaft: Zuerst der Titel - Libidissi. Eine Stadt in einer nicht allzu fernen Zukunft, in der man auf das Jahr 2000 schon mit wehmütigen Gefühlen zurückblickt. Es gibt Lehmbauten, geduckt hinter einer modernen Hochhaussilhouette, undurchschaubare Sitten und Internet-Anschluss, transnationale Organisationen und archaische Geheimbünde.

Buchcover: Georg Klein - Libidissi

Ein Moloch, in dem ein Fremder auch nach Jahren noch Probleme hat, nach Hause zu finden. Rätselhaft ist auch die soziale Organisation der Stadt: Die Kolonialmacht wurde von einer religiös-fundamentalistischen Befreiungsorganisation abgelöst. Jetzt regiert ein gesichtsloses Militärregime. Aber eigentlich regiert das Chaos und die Willkür. Libidissi schmeckt nach Gewalt, Gewalt, gegen die sich niemand schützen kann.

Überheblichkeit des Westens

Das einzig nicht Rätselhafte des Debütromans von Georg Klein ist die eigentliche Geschichte, wird doch, zumindest vordergründig, ein klassischer Agententhriller erzählt. Da ist der Auslandsagent, der seine Pflichten hat schleifen lassen und der der orientalischen Lebensweise zum Opfer gefallen ist.

Verfettet, drogenabhängig und unglaublich verwahrlost, hat er, der lange Zeit als der heimliche Star seines Arbeitgebers galt, seine Aufgaben vernachlässigt. "Ich, gleich Spaik" nennt er sich, denn in der Landessprache spricht man von sich in der dritten Person.

Georg Klein
Georg KleinBild: Gisela Kern

Zwei smarte Killer, die Klein "die Lächler" nennt, sind unterwegs, um ihn, der zwar gut, aber nicht folgsam war, aus dem Verkehr zu ziehen. Die beiden haben alles, was sie für ihren Job brauchen: Eine hervorragende Ausbildung, keine Skrupel und vor allem eins: Das unerschütterliche Selbstbewusstsein, in dem sich, ironisch gebrochen, die ganze Überheblichkeit des Westens gegenüber den armen Ländern dieser Welt spiegelt.

Faszinierende Einzelheiten

Die Lächler gegen "Ich, gleich Spaik". Hier die jugendliche, muskelbepackte Rationalität, dort die dunkle Persönlichkeit, die nur einen Trumpf hat: Das Spielfeld besser zu kennen. Eine Persönlichkeit, die erst dann eine Chance hat, als sie ihre Spaltung aufgibt. Nach einem brutalen Zwischenfall im Amüsierbabel von Libidissi, dem "Naked Truth Club", findet "Ich, gleich Spaik" zu seiner Identität zurück: "Ich, der ich bin" kann er, der längst gefallene und chancenlose Agent, im Kampf plötzlich wieder sagen.

Und in diesem wirklich spannenden Kampf wimmelt es nur so vor ebenso unappetitlichen wie faszinierenden Einzelheiten. Da ist das verkrüppelte Mädchen, das Spaik zugelaufen ist, das kommunikationslos neben ihm herlebt und doch mehr praktische Vernunft beweist als alle anderen Figuren zusammen.

Bildmächtige Sprache

Da ist ein zerschossenes und geplündertes Goethe-Institut, das wie eine symbolische Ruine des Kulturaustausches dasteht. Und da ist die Fernsehsendung "German Fun" und dessen Moderator Heinz. Wenn Heinz sich an den Hosenbund greift, weiß Spaik, dass ihm eine verschlüsselte Nachricht übermittelt wird, die er mit einem Decoder übersetzen kann.

Klein jongliert mit den Versatzstücken unserer Kultur, ohne sie dabei zu denunzieren. Und das tut er in einer virtuosen Art und Weise. Die unglaublich facettenreiche und bildmächtige Sprache schafft eine dichte Atmosphäre, aus der es kein Entrinnen gibt, auch keine Flucht. Man kann nicht leben in Libidissi, nur überleben. Und so kann man dieses Buch entweder nach wenigen Seiten weglegen oder sich gefangen nehmen lassen.

Georg Klein
Libidissi
Rowohlt, 2006
ISBN 3-499-24258-3
EUR 8,90