1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Generation 2010: Wehmütig in den Westen

5. Oktober 2010

Teenager in Ostdeutschland sehen bei sich kaum noch Unterschiede zu ihren westdeutschen Altersgenossen. Und doch wuchsen sie in einem anderen Deutschland heran. Viele wollen nach der Schule nach Westdeutschland ziehen.

https://p.dw.com/p/PKVf
Florian Hundertmark, Käthe Hahn, Jörn Himmstedt an der Oder in Frankfurt (Foto: DW)
Florian, Käthe, Jörn: Gerne im Osten aber vielleicht bald wegBild: Benjamin Hammer

Frankfurt an der Oder: Mehr Osten ist kaum möglich – geographisch zumindest. Die Stadt liegt direkt an der polnischen Grenze. Für manchen Westdeutschen steht das für hohe Arbeitslosigkeit und Verfall. Die Schüler des Karl-Liebknecht-Gymnasiums nerven solche Vorurteile. "Wenn jemand über uns berichtet, dann geht es doch eh nur um Arbeitslose oder Rechtsradikale", sagt Florian Hundertmark (17). "Da kann man ja als Wessi nichts Tolles von Frankfurt denken."

Florian steht mit Käthe (18) und Jörn (16) an der Oder. Die Jugendlichen besuchen alle die Oberstufe des Gymnasiums. Drüben liegt das Städtchen Slubice in Polen, nicht weit entfernt läutet die Glocke der alten Marienkirche. "Eigentlich könnte man hier etwas total Schönes machen. Es ist ja schon toll", sagt Jörn. "Aber die Leute ziehen alle weg."


Fast 30.000 haben Frankfurt verlassen

Blick auf Frankfurt (Oder)(Foto: ZB)
Die Altstadt von FrankfurtBild: picture alliance/ZB


Wenn die Jugendlichen aus Frankfurt an der Oder an die deutsche Einheit denken, an Westdeutschland, dann geht es zunächst nicht um Politik oder Geschichte. Es geht um ihre Zukunft auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland ist mit 11,5 Prozent fast doppelt so hoch wie in Westdeutschland. 1990 wohnten in Frankfurt noch 88.000 Menschen. Zwanzig Jahre nach der Wende haben fast 30.000 die Stadt verlassen. Auch Käthe, Jörn und Florian werden wohl in die alten Bundesländer ziehen. Florian etwa will Fahrzeugbau studieren, das gehe nur im Westen, sagt er. "Dabei würde ich eigentlich gerne hier in der Nähe bleiben."

20 Jahre nach der Einheit sind es vor allem ökonomische Dimensionen, die Jugendliche in Ost und West trennen. Ansonsten sind sich die Jugendlichen einig: "Wir sind kein geteiltes Deutschland", meint Jörn. "Man hört zwar immer noch von der Mauer in den Köpfen, aber ich denke, so langsam legt sich das auch." Die Oberstufen-Schüler kennen Deutschland nur als einen geeinten Staat. Sie wurden zwischen 1992 und 1994 geboren.

Ost- und Westjugend ist sich sehr ähnlich

Treppenhaus des Karl-Liebknecht-Gymnasiums (Foto: DW)
Traditionsschule: Das Karl-Liebknecht-GymnasiumBild: DW

Lieblingsband, Sportverein, Urlaub auf Mallorca: Was die Jugendkultur angeht, wachsen junge Deutsche sehr ähnlich auf. Das sieht auch Thomas Gensicke vom Forschungsinstitut TNS Infratest so. Wenn man die Menschen in Ost und West über Generationen vergleiche, dann seien "die Jugendlichen sicherlich die Gruppe, die sich am ähnlichsten ist", meint Gensicke. Der Forscher wurde im ostdeutschen Magdeburg geboren und zog nach der Einheit nach Westdeutschland. Seine eigene Geschichte machte er zu seinem wissenschaftlichen Schwerpunkt.

Bei aller Gleichheit: Es gebe noch unterschiede, meint Gensicke. So stünden die Jugendlichen in Ostdeutschland dem politischen System skeptischer gegenüber. "Wenn wir die Jugendlichen fragen, ob die Demokratie gut funktioniert, dann sehen die Ostdeutschen mehr Reparaturbedarf." Mit dem System ist auch die Bundesrepublik Deutschland gemeint. Und die ist eben noch relativ neu im Osten.

Froh, dass es die Einheit gibt

Wohnsiedlung in Frankfurt (Oder) (Foto: DW)
Wohnsiedlung in FrankfurtBild: DW

Führt die kritische Haltung auch zu einer Ablehnung des gesamten Landes? Nein, meinen die Schüler des Liebknecht-Gymnasiums. "Wir sind sehr froh, dass es eine Einheit gibt", sagt Inka Sörries aus der 12. Klasse. "Es gab im Osten viele eingeschränkte Freiheiten, zum Beispiel Ausreiseverbote."

"Osten", "Westen", "Ossis", "Wessis" - bei aller Normalität tauchen diese Worte noch häufig auf. Und wenn es nur ein paar lockere Sprüche über Mitschüler sind, die nach der Einheit mit ihren Eltern aus Westdeutschland nach Frankfurt zogen. Vor zwei Jahren habe sie bei einem Austausch in Frankreich zwei Jungs aus Bayern und Hessen kennengelernt, sagt Käthe. "Die wussten wo Frankfurt (Oder) liegt. Da war ich überrascht."

Autor: Benjamin Hammer
Redaktion: Dеnnis Stutе