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Frankreich lahmgelegt

Ranty Islam13. November 2007

Die öffentlich Bediensteten treten in den unbefristeten Ausstand, um gegen Reformen von Präsident Sarkozy zu protestieren. Beide Seiten geben sich kompromisslos. Doch ist der Streik am Ende nur ein Strohfeuer?

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Menschenmassen am Bahnsteig neben einem Zug (Quelle: dpa)
Menschenauflauf am Zug: Reisende werden die ersten Leidtragenden des Streiks (Archivbild)Bild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Zwei Tage lang hatten die gewerkschaftlich organisierten Lokführer in Deutschland in der vergangenen Woche den Güterverkehr der Deutschen Bahn zum Stillstand gebracht. Der Konzern und verschiedene Medien sprachen davon, diese oder weitere Streiks würden das ganze Land lahmlegen. Weit gefehlt – wie so etwas wirklich geht, zeigen die Franzosen seit Dienstagabend (13.11.207).

Am Abend traten die Eisenbahner in den unbefristeten Ausstand. Am Mittwoch schließen sich die Beschäftigten des Pariser Nahverkehrs an, genauso wie die Mitarbeiter der staatlichen Gas- und Elektrizitätsversorger. Der Anlass: Präsident Sarkozy plant, die Angestellten des öffentlichen Dienstes nun genauso lange Rentenbeiträge zahlen zu lassen, wie die im privaten Sektor Beschäftigten. Für die volle Rente müssen diese 40 Jahre einzahlen, im öffentlichen Dienst waren es bislang nur 37,5. Das Vorhaben des Präsidenten wäre damit de facto eine Rentenkürzung für die öffentlich Bediensteten.

Gemeinsam streiken mit verschiedenen Zielen

Ansamlung junger Menschen. Ein Mädchen hält ein Protestplakat mit beiden Händen in die Höhe (Quelle: AP)
Studenten protestieren mit und wollen Bahnhöfe blockieren (Archivbild)Bild: AP

Unterstützung erhalten die Bahner von den Studenten, die ihre bisher auf die Universitäten beschränkten Proteste ausweiten und nun auch Bahnhöfe blockieren wollen. Sie sorgen sich allerdings weniger um Rentenkürzungen, sondern wehren sich gegen Sarkozys Plan, den Hochschulen des Landes mehr Autonomie zu gewähren. Bei Post, Telekom, Lehrern, Richtern sowie in Krankenhäusern und selbst an der Oper sind ebenfalls Streiks angekündigt. Sie richten sich gegen verschiedene Aspekte der Reformen, die Sarkozy für den öffentlichen Dienst angekündigt hat: Dort sollen im kommenden Jahr 20.000 Stellen nicht wieder besetzt werden. Damit zusammen hängt unter anderem die Schließung vieler kleiner Gerichtshöfe.

Richtig in der Sache, schlecht in der Form

Doch geht es wirklich nur um die Reformen? "In der Sache hat Sarkozy ja Recht", sagt Politologe Udo Kempf von der Pädagogischen Hochschule Freiburg, "aber in der Form hat der den völlig falschen Weg gewählt". Die meisten Franzosen sähen Reformen ebenfalls als unvermeidbar an, so Kempf. Doch der Präsident wolle alle Reformvorhaben auf einmal angehen – und bringe damit alle jeweils betroffenen Gruppen auf einmal gegen sich auf. Das Ergebnis: Während Sarkozy bei der Durchsetzung einzelner Reformschritte – wie etwa der Abschaffung der Renten-Privilegien der öffentlich Bediensteten – die Mehrheit der Franzosen auf seiner Seite hätte, stößt er mit seinem Reform-Rundumschlag auf breite Ablehnung.

Sarkozy im Smoking, steht hinter einem Rednerpult (Quelle: AP)
Präsident Sarkozy - richtig in der Sache, schlecht in der Form (Archivbild)Bild: AP

Sarkozys Timing ist auch in anderer Hinsicht ungünstig – die Rentenreform soll nach Planung des Präsidenten bis Ende des Jahres umgesetzt werden. "Die Gewerkschaften hatten Gesprächsbereitschaft angekündigt, was die Reformen angeht. Doch einen Termin lassen sie sich nicht diktieren. Sie fühlen sich vollkommen überfahren", sagt Kempf.

Gewerkschaften fürchten um Existenz

Die direkten Sprachrohre der Streikenden sind zwar die Gewerkschaften, allen voran die CGT. Der Schluss, sie seien die allein treibende Kraft der Streiks, trifft aber nicht zu. In Frankreich sind nur rund acht Prozent aller Beschäftigten in Gewerkschaften organisiert – das ist die niedrigste Quote aller Länder in der Europäischen Union. Nur in den staatlichen Betrieben erreicht der Organisationsgrad 20 Prozent, sagt Wolfgang Neumann vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg.

Diese relative Konzentration legt noch ein weiteres Streikmotiv nahe: Ein Kernpunkt von Sarkozys Reformen ist die Verschlankung des öffentlichen Sektors und besonders der staatlichen Betriebe und Behörden: weniger Privilegien, weniger Personal, weniger Geld. "Weil die Gewerkschaften in diesem Bereich besonders stark sind, fürchten sie durch die geplanten Reformen eine nachhaltige Schwächung ihre Existenzgrundlage", so Neumann.

Linke rechnet ab

Segolene Royal hinter Rednerpult (Quelle: AP)
Linke rechnet ab? Die Sozialistin Segolene Royal unterlag bei der französischen Präsidentschaftswahl gegen Sarkozy (Archivbild)Bild: AP

Sarkozy hat sich in der Ankündigung seiner Reformpläne in Inhalt und Form – auch schon vor seiner Wahl im Mai – "zu sehr festgelegt", sagt Neumann. "Einen Rückzieher kann er sich nun nicht mehr nicht leisten." Weil er sich jeden Spielraums beraubt hat, ist Sarkozy damit sprichwörtlich zum regungslosen Ziel geworden: Eine Gelegenheit für die französische Linke zur Generalabrechnung mit dem konservativen Staatspräsidenten, sagt Udo Kempf.

Seit dem die Sozialisten bei den Präsidentschaftswahlen so deutlich unterlagen, ist "die Linke kopflos und verstört und versucht nun Boden gut zu machen". Die Sozialisten hätten sich den Gewerkschaften bereits wieder deutlich angenähert. Der Generalstreik könnte damit auch zu einem politischen Massenstatement gegen einen Präsidenten werden, der in seiner noch kurzen Amtszeit mit seinen politischen Anliegen, noch mehr aber mit seiner kompromisslosen Art, sie umzusetzen, viele Franzosen vor den Kopf gestoßen hat.

Streik nur ein Strohfeuer?

Der sich andeutende Showdown könnte sich dennoch als Strohfeuer entpuppen. Nicht zuletzt weil in Frankreich kein Streikgeld gezahlt wird, enden die meisten Ausstände nach wenigen Tagen, sagt Kempf. Eine Ausnahme war der Eisenbahnerstreik 1995, der sich über Wochen hinzog und die damalige Regierung zur Rücknahme von Reformen zwang.

Ob es in diesem Fall zu einer schnellen Entscheidung kommen wird, ist fraglich. Präsident, und Gewerkschaften geben sich kompromisslos. Politologe Kempf sieht am Ende eher eine Lösung am Verhandlungstisch: Bei ähnlichen Streitigkeiten "wird in Deutschland erst verhandelt, dann gibt es eine Friedenspflicht, dann wird gestreikt. In Frankreich ist es umgekehrt."

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