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Gemeinsam klug - wie Schwärme denken

20. Juli 2010

Der Einzelne weiß nichts, das Kollektiv weiß alles. Dieses Prinzip sichert in der Natur vielen Tierarten das Überleben. Schwarmintelligenz braucht keinen Führer und ist deshalb für den Menschen schwer zu begreifen.

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Schwarm von Knurrfischen (Foto:AP)
Bild: AP

Ein Fischschwarm bewegt sich wie ein einziger, großer Organismus, der selbstständig handelt und entscheidet. Dass der Schwarm die richtigen Entscheidungen trifft, ist zum Beispiel für Sardinen eine Frage des Überlebens - etwa bei Angriffen von Räubern.

Kollektive Intelligenz braucht keinen Führer

Der Schwarm handelt wie auf ein Kommando. Doch es gibt kein Leittier, dem der Rest folgt: Jedes Tier entscheidet für sich. Trotzdem kommen kollektive Entscheidungen zustande, die von allen Fischen im Schwarm getragen werden. Wie das geschieht, versucht Jens Krause mit Hilfe eines Roboterfisches herauszufinden. "Den Robofish haben wir entwickelt, um die Möglichkeit zu haben, eine totale Kontrolle über einen einzelnen Fisch im Schwarm zu haben", erklärt der Verhaltensbiologe vom Leibniz-Institut in Berlin.

Per Knopfdruck können die Wissenschaftler entscheiden, wann der Robofish nach rechts oder links abbiegt. Um dann zu beobachten, wie der Rest des Schwarms auf diese Entscheidung eines einzelnen Individuums reagiert. Nach anfänglichem Zögern akzeptiert der Schwarm den Fremdling - trotz seines merkwürdigen Verhaltens und schließlich folgen die anderen Fische ihm.

Der Einzelne weiß nichts

Wie aus einzelnen Entscheidungen kollektive werden, wollen die Forscher mit einem anderen Experiment herausfinden. Der Schwarm soll sich zwischen mehreren Optionen für die günstigere entscheiden. Damit das nicht zu leicht wird, soll der Robofish seine natürlichen Vettern zu einem Verhalten anstacheln, das ihnen normalerweise fremd ist: Er soll sie von einem Haufen Würmer weglocken. Zunächst ist der Test-Schwarm klein: Nur zwei Fische sind mit dem Robofish im Aquarium.

Das Kollektiv lässt sich nicht täuschen

Der Schwarm lässt sich vom Futter weglocken - er hat sich vom Robofish zu einer ungünstigen Entscheidung verleiten lassen. Das Experiment geht in die zweite Runde. Jetzt heißt es: einer gegen zehn. Der Robofish wird sich genauso verhalten wie beim ersten Mal - die Frage ist, ob sich ein größerer Schwarm genauso leicht manipulieren lässt wie ein kleiner.

Auch der größere Schwarm folgt dem Robofish zum Futter, weglocken lässt er sich aber nicht. Der Schwarm hat sich über den Robofish hinweggesetzt und eine klügere Entscheidung getroffen - ein Ergebnis, das sich in weiteren Versuchen bestätigte.

Sardinenschwarm (Foto: picture-alliance)
Sie wissen genau, was sie tun: Im Sardinenschwarm entscheidet nicht der Einzelne, das Kollektiv bestimmt die Richtung.Bild: picture-alliance / OKAPIA

Jens Krause zieht Bilanz: "In einer Situation, wo ein Führerfisch zum Beispiel eine schlechte Entscheidung fällt, wird der Schwarm sie nicht unbedingt übernehmen. Es sei denn, diese Entscheidung wird von weiteren Fischen mitgetragen. Denn dann wird es überzeugender für den Rest des Schwarms." Krause spricht von so genannten Schwellenwerten: Es muss ein gewisser Prozentsatz des Schwarms das Verhalten ausführen, dann wird der Rest folgen. Es reiche nicht immer aus, dass ein Einzelner das vormacht, betont Krause. Und das mache ja durchaus Sinn, weil einzelne Individuen durchaus auch schlechte Entscheidungen fällen können. Das Prinzip der sozialen Schwellenwerte verhindert das. Wissenschaftler nennen dies eine Form von Schwarmintelligenz.

Das gemeinsame Hirn der Schwarmroboter

Roboter, die in der Lage sind, im Team zu arbeiten, hat Marc Szymanski an der TU Karlsruhe entwickelt. Die Mitglieder seiner Roboterkolonie können zusammen eine Art kollektive Intelligenz entwickeln, fast wie ein Insektenvolk: "Der Maschinenschwarm kann sich selbst koordinieren, flexibel und autonom - ohne zentrale Steuerung. So lernen die Maschinenwesen ähnlich wie Tierschwärme, aus der Gemeinschaft."

In einem Projekt der Universitäten Stuttgart und Karlsruhe können sich die Mikro-Roboter sogar miteinander "fortpflanzen". Die Wissenschaftler wollen erreichen, dass sich die Maschinenwesen selbstständig weiterentwickeln. Alle Schwarmmitglieder werden dafür mit einer identischen Programmierung ausgestattet.

Schwarmintelligenz - ein Vorteil in der Evolution

Im Experiment sollen sie eine Aufgabe lösen, zum Beispiel einen Käse finden. Doch zuerst dürfen sie Teile ihrer Programmierung austauschen. Wie in der Natur kommt es zu einer Evolution, es entstehen so ganz neue Kombinationen - das kann für den Einzelnen positiv sein, aber auch von Nachteil. Die Gewinner dieser Evolution sind fitter oder intelligenter als die anderen. Sofort machen sie sich auf den Weg durch ein Labyrinth, um den Käse zu suchen. Schnell sind die Besten am Ziel. Im weiteren Verlauf des Versuchs darf nun bei jeder Begegnung der jeweils fittere Roboter dem Unterlegenen seine Programmierung übertragen. Dadurch steigt nach und nach die Fitness des ganzen Schwarms.

Vier Roboter stehen zusammen (Foto: Humboldt-Universität)
Auch Roboter können zusammen eine Art kollektive Intelligenz entwickeln, wenn sie richtig programmiert sindBild: Humboldt-Universität / Institut für Informatik

Roboter erobern die Welt

Bei diesen Experimenten mit künstlicher Intelligenz werden Science-Fiction-Alpträume wahr: Roboter, die sich zusammenschließen und ohne Kontrolle durch den Menschen existieren. Doch Roboter, versichern die Forscher, blieben programmierte Maschinenwesen, die in Zukunft zum Beispiel zur Minensuche oder für die Erforschung des Weltraums genutzt werden könnten.

Autoren: Jakob Kneser, Andreas Neuhaus

Redaktion: Judith Hartl

Einen Filmbeitrag zu diesem Thema finden Sie in der aktuellen Ausgabe von Projekt Zukunft, dem Wissenschaftsmagazin von DW-TV.

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