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Politik

Der Militärische Abschirmdienst der Bundesrepublik

Christopher Nehring
29. November 2019

Über Geheimdienste gibt es mehr Mythen als Fakten. Das legt schon der Name nahe - sie arbeiten eben geheim. Im Kalten Krieg hatte der deutsche MAD eine Sonderstellung, vor allem mit Blick auf die Bundeswehr.

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Symbolbild | Geheimdienst
Bild: imago/bonn-sequenz

Ist die deutsche Armee von Neonazis unterwandert? Seit dem Aufflammen des Rechtsextremismus in Deutschland und den Attentaten in Kassel und Halle dieses Jahr muss sich die Bundeswehr mit dieser Frage auseinandersetzen. Die Suche nach Extremisten unter deutschen Soldaten ist eine der Aufgaben des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst BAMAD. Dessen Präsident, Christof Gramm, will jedoch entwarnen: Seit langem sei die Zahl der erkannten Rechtsextremisten in der Bundeswehr relativ konstant bei ca. 20 Fällen jährlich, so Gramm im September während der öffentlichen Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste (PKGr) im Deutschen Bundestag.

"Stets am Feind!"

Extremismusabwehr hat in der Arbeit des MAD eine lange Tradition. Trotzdem ist der Dienst mit knapp 1.200 Mitarbeitern und 96 Millionen Euro Budget der kleinste deutsche Nachrichtendienst und ein Zwerg in der europäischen Geheimdienstlandschaft. Diese Tradition und die Geschichte des MAD stellt Helmut Hammerich in seinem gerade erschienenen Buch "Stets am Feind! Der Militärische Abschirmdienst 1956-1990" vor.

Wie viele andere bundesdeutsche Behörden auch, war der MAD in den 1950er Jahren durch Kontinuitäten aus der NS-Zeit geprägt. Die Organisation der Behörde und ihrer Arbeit erfolgte nach Mustern des "Amtes Ausland/Abwehr" der NS-Wehrmacht. So wurde zum Beispiel eine Zentrale in Köln und ihr untergeordnete Außenstellen gegründet und auch alte Karteikartensysteme wieder eingeführt. Auch fanden zahlreiche Wehrmachtssoldaten und NS-Kriminalisten Eingang in den neuen Dienst. NS-Kriegsverbrecher, so Hammerich, seien jedoch nicht darunter gewesen. Auch habe der Dienst die neuen demokratischen Vorgaben schnell verinnerlicht. So zum Beispiel den Verzicht auf Verhaftungen und Durchsuchungen.

Amt für den Militärischen Abschirmdienst
16.000 Ost-Agenten im VisierBild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini

Rechts- oder Linksextremisten standen bei der Arbeit des 1956 als "Amt für die Sicherheit der Bundeswehr ASBw" gegründeten MAD keineswegs immer im Vordergrund. Bis in die 1970er Jahre war die Spionageabwehr die Königsdisziplin des in der Kölner Adenauer-Kaserne angesiedelten Dienstes. Mit einer Flut an Spionen im Auftrag von DDR und Sowjetunion hatten es die Spionagejäger in der Frühzeit des Kalten Krieges zu tun. Auf rund 16.000 Ost-Agenten schätzte der MAD deren Anzahl vor dem Bau der Berliner Mauer 1961. Und auch danach zählte der Dienst rund 5.000 Spione. Bis Anfang der 1970er Jahre klärte der MAD dabei rund 3.000 Spionagefälle gegen die Bundeswehr auf.

Ein DDR-"Maulwurf" im Dienste des MAD

Diese Zahl erkannter und abgewehrter Ost-Spione nahm bis zum Ende der 1980er Jahre immer weiter ab. Ein Grund dafür war auch, dass es dem Gegner aus dem Ost-Berliner Ministerium für Staatssicherheit gelang, einen Maulwurf im MAD zu platzieren: Oberst Joachim Krase, seit 1980 stellvertretender Amtschef und zuständig für die Spionageabwehr, arbeitete seit 1969 für den Osten. Immer wieder ließ der Doppelagent, der für den Osten unter dem Decknamen "Günter Fiedler" spionierte, Operationen des MAD in die falsche Richtung laufen und einstellen. Ein enormer Schaden, der erst nach dem Tod Krases und dem Untergang der DDR aufgedeckt wurde.

Zu dieser Zeit kämpfte der MAD allerdings mit seinen damals noch rund 2.000 Mitarbeitern einen aussichtslosen Kampf. Denn die Aufgabe, alle Wehrpflichtigen und das Personal der Bundeswehr auf extremistische Einstellungen und Beziehungen in den Ostblock zu überprüfen band viele Kräfte. Allein 1977 mussten über 200.000 solcher Sicherheitsüberprüfungen, die einen enormen bürokratischen und personellen Aufwand verursachten, vom MAD bewältigt werden. Eine erstaunliche Parallelität in die Gegenwart, denn auch der aktuelle Amtschef Gramm berichtete dem Parlament von dieser aufwendigen Aufgabe des MAD.

Wo heute der MAD, vor allem aber die Bundeswehr vor Rechtsextremismus und Islamismus schützen soll, stand im Kalten Krieg die Abwehr von Linksextremismus. In den 1970er Jahren meldeten sich einige Vertreter der sogenannten "neuen Linken" freiwillig zum Dienst an der Waffe mit dem erklärten Ziel, die Bundeswehr "von innen zu unterwandern". Sie beobachtete der MAD ebenso wie die wohl bekannteste deutsche Terrorgruppe "Rote Armee Fraktion RAF". Alleine während einer einzigen Aktion gegen die RAF im Jahr 1973 ("AKROBAT") observierte der MAD rund 8.000 Stunden. Trotz dieses Aufwandes verübte die RAF 1983 einen großen Sprengstoffanschlag auf die Bundeswehrschule für Nachrichtenwesen in Bad Ems. In ihrem Bekennerschreiben gab die RAF an, dass dort MAD-Agenten "zur Bespitzelung der Bevölkerung" ausgebildet würden. Weder MAD noch Polizei oder Verfassungsschutz konnten die Täter je ermitteln.

Christopher Nehring, Historiker, Berlin
Spionageexperte Christopher NehringBild: Susanne Schleyer/autorenarchiv.de

Zur selben Zeit erlebte der MAD seine schwerste Krise: 1984 trat der bundesdeutsche Vier-Sterne-General bei der NATO, Günter Kießling, aufgrund von Gerüchten über seine angebliche Homosexualität zurück. Obwohl an den Gerüchten nichts dran war, ermittelte auch der MAD. Dabei verbreitete er jedoch mehr Gerüchte als Fakten und fachte den Presseskandal weiter an.

Erst skandalfrei, dann häuften sich die Pannen

Bis Ende der 1970er Jahre galt der MAD eigentlich als erstaunlich skandalfreier Dienst. Dann jedoch häuften sich Pannen und negative Pressemeldungen. So musste 1978 Verteidigungsminister Julius Leber zurücktreten, weil der MAD ohne sein Wissen seine Sekretärin wegen Spionageverdachts abgehört hatte. Der Verdacht bestätigte sich nicht und die Abhöraktion des MAD war genauso illegal wie das Abhören einer Wohnung des "Kommunistischen Bundes Westdeutschlands" 1976. Als Folge davon standen die Kölner Agenten, die zwischen 1972 und 1977 insgesamt gerade einmal 11 Abhör-Einsätze verzeichneten, massiv in der öffentlichen Kritik.

Die Geschichte des Militärischen Abschirmdienstes weist also erstaunliche Parallelen in die Gegenwart auf. Seine Grundaufgaben - Extremismusabwehr, Sicherheitsüberprüfungen, Spionage- und Sabotageabwehr für die Bundeswehr - sind bis heute geblieben. Dazu kommen heute noch der islamistische Terrorismus und die Cyberabwehr. Ein Blick zurück in die Zeit des Kalten Krieges zeigt, dass der MAD dabei weder Wunder vollbringen kann noch eine Bedrohung für die Demokratie darstellt. Lange Zeit scheute er das Licht der Öffentlichkeit und galt nicht nur als der kleinste, sondern auch der geheimste der deutschen Nachrichtendienste. Zumindest an dem Schleier des Geheimen wird nun kräftig gerüttelt. Es war auch höchste Zeit.

Christopher Nehring ist Wissenschaftlicher Leiter des Deutschen Spionagemuseums in Berlin. In diesem Jahr erschien sein Buch "Die 77 größten Spionage-Mythen".