1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Plastikwahn

17. März 2010

Überall im Alltag kommen wir mit Plastik in Berührung - das ist oft gefährlich, belegt der Dokumentarfilm "Plastic Planet". In der EU gilt ein einheitliches Chemikalienrecht zum Schutz der Verbraucher. Reicht das?

https://p.dw.com/p/MV5A
Ein Mann und eine Frau stehen inmitten von Plastikgegenständen (Foto: www.plastic-planet.at)
Schöne Plastik-WeltBild: plastic-planet.at

Am Schluss kannte Werner Boote sie alle: Polypropylen, PVC, Polystyrol, Polyurethan, Bisphenol A, um nur die wichtigsten Substanzen zu nennen, denen der Regisseur im Zuge seiner Recherche für den Dokumentarfilm "Plastic Planet" über den Weg lief. Da hatte er 400 Stunden Material und 700 wissenschaftliche Studien gesammelt, die belegen, was er schon ahnte: Dass es Folgen für die menschliche Gesundheit hat, wenn jährlich 240 Millionen Tonnen Kunststoffe - 60 Millionen davon in Europa - hergestellt und für Produkte aller denkbaren Industriezweige weiterverarbeitet werden.

Ein kleiner Rest bleibt immer

Werner Boote und Fililalleiter im Getränkemarkt (Foto: farbfilm-verleih)
Praktische Plastikverpackungen: Werner Boote lässt sich aufklärenBild: farbfilm-verleih

Dass diese Problemstoffe, fest eingebunden sind und weder in natürliche Kreisläufe noch in die Nahrungskette noch in den Menschen gelangen, stimme nicht, so Klaus Rhomberg, Facharzt für medizinische Biologie aus Innsbruck, in Bootes Film. "Plastik zerfällt im Lauf der Jahre über Hitze, über Abrieb, über Benutzung, über natürlichen Zerfall, diese Moleküle, die ursprünglich gebunden sind, die werden frei. Das Gefährliche an Plastik ist der schleichende Prozess."

Der Mediziner Rhomberg ist einer von vielen Interviewpartnern aus Umweltschutz, Wissenschaft, Politik, aber auch aus Lobbykreisen und der Kunststoffindustrie, die Werner Boote aufgesucht hat. Er sammelt Wissen und Meinungen, versucht PR-Kampagnen von seriösen Studien zu trennen. Und läßt es sich nicht nehmen, an der Universität im US-Staat Missouri sein eigenes Blut testen zu lassen. "Das war ein weiterer heftiger Schritt für mich. Ich wusste schon vorher aus Studien, dass jeder von uns Plastik im Blut hat. Ich wusste, dass ich ein bisschen Bisphenol A im Blut haben werde, aber dass es dann so viel war, da war dann jeder schockiert." Man habe dann zwei Jahre später das Blut des ganzen Filmteams getestet, und es habe sich heraus gestellt, dass jeder eine Menge von Stoffen im Blut hatte, die vom Kunststoff kommen."

Regulierung bislang ungenügend in Europa

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit sieht in Bisphenol A kein Risiko für den Menschen. In den USA und Kanada gilt der Stoff hingegen als möglicher Auslöser von Gehirnschädigungen und Beeinträchtigungen des Fötus im Mutterleib. Ersetzt wird der Stoff nicht - in der Annahme, die Industrie weiche dann auf weniger gut untersuchte Ersatzstoffe aus, sagt Boote.

Ein Fahrradfahrer mit einem riesigen Berg Plastikflaschen auf dem Gepäckträger (Foto: www.plastic-planet.at)
Plastikverpackungen sorgen für viel MüllBild: plastic-planet.at

Darüber hat er sich auch mit Margot Wallström, der früheren EU-Umweltkommissarin (1999-2004), unterhalten. Sie war damals für die Verabschiedung der EU-Chemikalienrichtlinie "Reach" verantwortlich, die seit 2007 das Chemikalienrecht in allen 27 EU-Mitgliedstaaten regelt. REACH steht für "Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals", also die Registrierung, Bewertung, Zulassung und auch Beschränkung chemischer Stoffe. "In den vergangenen zehn Jahren konnten wir für gerade mal elf Substanzen eine Gefahrenanalyse durchführen", sagt Wallström im Film, dabei gebe es Hunderttausende Chemikalien, die die EU untersuchen sollte. "So ein System kann nicht funktionieren!"

Plastik: Fluch und Segen?

Werner Boote ist kein Fortschritts-Skeptiker, der den "Plastikplaneten" ins 19. Jahrhundert zurückdrehen möchte. Dank Plastik sind wir auf den Mond geflogen, ohne Plastik lebten wir hinterm Mond - das ist seine Haltung auch nach dem Film. "Es gibt Stoffe, wo man seit 30 Jahren weiß, dass die gefährlich sind und die müssen raus. Das ist es, was ich fordere. Und wenn sie es nicht schaffen, so müssen sie es drauf schreiben."

In Österreich hat "Plastic Planet" schon für Wirbel und Konsequenzen gesorgt: Mehrere Sorten Babyflaschen aus Polycarbonat wurden vom Markt genommen. Derzeit läuft der Film auch in den deutschen Kinos.

Autor: Alexander Musik
Redaktion: Nicole Scherschun