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Gedenkstätte für NS-Euthanasie-Opfer

Kay-Alexander Scholz8. Juli 2013

Vor der Berliner Philharmonie entsteht ein Gedenkort für eines der grauenvollsten Kapitel der NS-Diktatur, den Mord an Behinderten und Kranken. Kulturstaatsminister Neumann betonte die Wichtigkeit des Projekts.

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Die Visualisierung zeigt den Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde nach einem Entwurf der Architektin Ursula Wilms am Tiergarten in Berlin. (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/roomservice3d

Seit mehr als 20 Jahren wird Berlins historische Mitte wiederaufgebaut. Dazu gehören auch Orte des öffentlichen Erinnerns an die Verbrechen der Nationalsozialisten in der damaligen Reichshauptstadt. Am bekanntesten ist wohl das Holocaust-Mahnmal. In den letzten Jahren kamen ein Erinnerungsort für die ermordeten Sinti und Roma und ein anderer für die Homosexuellen hinzu. Am Montag fand nun der feierliche Baubeginn für eine weitere Opfer-Gruppe statt: die Opfer der sogenannten "NS-Euthanasie".

"Für die Bundesrepublik Deutschland bleiben die Aufarbeitung der Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes, das Gedenken an die Opfer und die Aufklärung und Information der nachfolgenden Generationen eine dauerhafte Aufgabe und Verpflichtung", sagte Kulturstaatsminister Bernd Neumann (Artikelbild). Der neue Gedenkort soll an die sogenannte "Aktion T4" erinnern. "Und damit an eines der grauenvollsten Verbrechen des NS-Regimes", so Neumann.

Unter diesem Namen wurde der Mord an 70.000 geistig oder körperlich Behinderten oder chronisch Kranken geplant. In der Villa in der Tiergartenstraße 4, daher der Name "T4", saß von April 1940 bis August 1941 der Planungsstab der Aktion. Patienten, deren Name auf einer Liste der Aktion "T4" landete, wurden in eine von sechs Anstalten verschleppt. Dort wurden sie vergiftet, vergast oder mussten verhungern. Vor allem wegen öffentlicher Proteste von Kirchenvertretern wurde die Aktion dann - zumindest offiziell - beendet. Denn die Nazis wollten die Kriegsbereitschaft nicht gefährden. Dezentral ging das Morden jedoch bis zum Kriegsende 1945 weiter. Das sogenannte "Euthanasie"-Programm wurde sogar auf die besetzten Gebiete in ganz Europa ausgeweitet. Die Forschung geht von 300.000 Opfern aus.

Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) spricht am 08.07.2013 in Berlin-Tiergarten zum Baustart des Gedenk- und Informationsortes für die Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Morde. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
Kulturstaatsminister Bernd Neumann sprach zum Baustart des Gedenkortes in BerlinBild: picture-alliance/dpa

Ort der Täter - Ort der Erinnerung

"Die Erinnerung daran ist eine Aufgabe von nationaler Bedeutung und gesamtstaatlicher Verantwortung", sagte Neumann. Das Besondere an diesem Denkmal sei, dass es an einem authentischen Täter-Ort errichtet wird. Zudem werde in Berlin "einmal mehr ein Zeichen gegen Hass, Verblendung und Kaltherzigkeit gesetzt - und für Toleranz, Mitgefühl und Achtung vor dem Leben".

Der Kulturstaatsminister erinnerte aber auch daran, dass damals so viele an den Morden beteiligt waren, die sich eigentlich der Fürsorge der Menschen verschrieben hatten, nämlich Ärzte und Krankenschwestern. "Viele befürworteten den Tod nutzloser Esser", zitierte Neumann aus dem Buch "Die Belasteten" des Historikers Götz Aly. Die Stigmatisierung Behinderter und Kranker setzte sich auch nach 1945 fort, beschreibt Aly in seinem Buch. Sie wurden vom öffentlichen Gedenken ausgenommen. Erst im November 2011 fasste schließlich der Deutsche Bundestag den Beschluss, ein Denkmal für diese Opfergruppe unterstützen zu wollen und mahnte, dass auch diese Morde ins kollektive Gedächtnis gehörten und Teil der gesamtstaatlichen Verantwortung seien.

Abstraktes Denkmal

Für den neuen Gedenkort stellt der Kulturstaatsminister eine halbe Million Euro zur Verfügung. Das Grundstück spendet das Land Berlin. Der Ort soll im kommenden Jahr eröffnet werden. Das Denkmal folgt - ähnlich dem Holocaust-Mahnmal mit seinen Betonstelen - einer abstrakten Idee: Auf eine anthrazitfarbene Betonfläche wird eine 30 Meter lange halbtransparente Glaswand gesetzt. Sie wird ergänzt durch einen ausführlichen Informationsteil.

Die ursprüngliche Initiative für ein Denkmal an diesem Ort hatte die Berlinerin Sigrid Falkenstein. "Ich wollte ein Versäumnis der deutschen Erinnerungskultur beseitigen", sagte Falkenstein, die eine Tante durch die Aktion T4 verloren hat. Denn bis dato erinnert nur eine recht unauffällige Gedenktafel an die "Euthanasie"-Morde. Diese war Ende der 80er-Jahre auf Initiative von Bürgern aufgestellt worden.

"Wir müssen wachsam bleiben", mahnte Berlins Integrationsministerin Dilek Kolat beim Bauauftakt. Sie sehe die moderne Medizin mit ihrem Bestreben nach perfekten Menschen durchaus auch skeptisch, so Kolat. "So ein Ungeist wie damals darf nie wieder die Köpfe und Herzen der Menschen vergiften."