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Gaucks schwieriger Spagat beim Türkei-Besuch

Baha Güngör25. April 2014

Die überraschende Beileidserklärung Erdogans an die Armenier begleitet Gaucks Türkei-Besuch. Der deutsche Bundespräsident sollte ein Zeichen setzen für Pressefreiheit und Menschenrechte, meint Baha Güngör.

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Baha Güngör, Leiter der Türkischen Redaktion der DW (Foto: DW)
Baha Güngör leitet die Türkische Redaktion der Deutschen WelleBild: DW

In der Türkei ist das Interesse am Staatsbesuch des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck ab Samstagabend (26.04.2014) bislang noch gering. Das wird sich aber vermutlich ändern, weil Gauck vor Ort ein Zeichen setzen muss für Meinungs- und Pressefreiheit. Das ist er sich selbst schuldig. Das erwarten aber auch die Verfechter dieser Werte in der Türkei. Die Übernahme solcher Werte bleibt die wichtigste Bedingung für die weitere Heranführung des Landes an die Europäische Union, der die Türkei seit Jahrzehnten beitreten möchte.

Seit knapp einem Jahr aber bietet die von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan geführte Türkei ihren Kritikern viel Angriffsfläche. Sie kann längst nicht mehr - wie noch vor wenigen Jahren - für Reformen in den Bereichen Demokratie und Menschenrechte gelobt werden. Vielmehr liefern die jüngsten innenpolitischen Entwicklungen jenen Beobachtern ausreichend Anlass zur Kritik, die die Türkei zunehmend mit einer Diktatur vergleichen, die ihren eigenen Bürgern nicht mehr vertraut und deshalb deren Überwachung forciert. Seine Gegner im Staatsapparat und in der Justiz lässt Erdogan vom Dienst suspendieren oder sorgt für deren Versetzung.

Erdogans überraschender Vorstoß

In diesem Kontext überraschte Erdogan Freund und Feind mit einem bislang in diesen Dimensionen nicht für möglich gehaltenen Vorstoß in der Armenier-Debatte. Er entschuldigte sich für den Tod von Hunderttausenden Armeniern bei Massendeportationen durch das Osmanische Reich im Jahre 1915 und brachte sein Beileid zum Ausdruck. Seine schriftliche Erklärung war jedoch - wie erwartet - ohne den in seinem Land mit großer Mehrheit im Kontext der Armenier-Debatte abgelehnten Begriff "Völkermord" verfasst worden.

Dieses Novum in der türkischen Politik reicht zwar der benachbarten Kaukasus-Republik sowie den einflussreichen armenischen Gemeinden in der Diaspora nicht aus, weil ihre Maximalforderung nicht erfüllt worden ist: eine türkische Erklärung, dass es sich um einen Völkermord gehandelt habe. Andererseits aber hat Erdogan die Weichen für die internationalen Debatten anlässlich des 100. Jahrestages der Massaker an Armeniern in Anatolien im nächsten Jahr gestellt. Er hat diesen Debatten einen neuen Ausgangspunkt verliehen. Ob in einem Jahr der Begriff "Völkermord" enttabuisiert wird, bleibt immer noch offen.

Würdigung und Kritik

Gauck kann sich vor diesem Hintergrund auf eine spannende Reise in ein traditionell mit Deutschland befreundetes Land freuen. Seine Gespräche mit dem moderat religiösen Staatspräsidenten Abdullah Gül sowie mit Vertretern von Opposition und Zivilgesellschaft bieten dem Bundespräsidenten die Möglichkeit, über seine Erfahrungen als Bürger der früheren DDR zu sprechen. Dabei kann er vor neuen Mauern innerhalb der Gesellschaft und der Vertiefung von Kluften zwischen Befürwortern und Gegnern des Regimes warnen. Aber Gauck wird voraussichtlich auch bei seinen Besuchen bei den Bundeswehrsoldaten und im Lager für Flüchtlinge aus Syrien die Bedeutung der Türkei als Mitglied des westlichen Verteidigungsbündnisses unterstreichen.

Türkei-Reisen waren für hohe Gäste aus der Bundesrepublik noch nie einfach. Jedes Mal war ein schwieriger Spagat zwischen lobenden und tadelnden Äußerungen nötig, zwischen Würdigung und Kritik. Das kennen vor allem viele frühere Bundesaußenminister. Auch Gauck wird diesen Spagat meistern müssen. Sowohl zu Hause als auch in der Türkei wird er daran gemessen, inwiefern er dazu beiträgt, Spannungen abzubauen. Neue Spannungen kann das deutsch-türkische Verhältnis nicht gebrauchen.