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Politik

Ist das Gerechtigkeit?

Alexander Haneke Kommentarbild App PROVISORISCH
Alexander Haneke
15. April 2018

Der EuGH stärkt mit einem Urteil die Rechte von minderjährigen Flüchtlingen - und nährt doch nur eine Illusion, meint Alexander Haneke von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Deutschland Flüchtlinge Familiennachzug
Bild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner

Die Luxemburger Richter haben im Sinne der Gerechtigkeit entschieden. Es geht um eine junge Frau aus Eritrea, die mit 17 Jahren ohne ihre Familie in die Niederlande kam. Dort stellte sie einen Asylantrag. Doch bis der Antrag bewilligt war, wurde die junge Frau 18 - und deshalb verwehrten die niederländischen Behörden ihr, Eltern und Geschwister nach Europa zu holen. Der Anspruch gelte nur für Minderjährige, hieß es zur Begründung schlicht, und minderjährig sei sie nun nicht mehr.

Kann ein Recht abhängig sein vom Arbeitstempo einer Behörde?

Die junge Frau wollte sich das nicht gefallen lassen. Sie wandte sich an ein Gericht in Den Haag, das legte die Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor - und der sagte: Nein! So ein Vorgehen laufe nicht nur der Rechtssicherheit zuwider, sondern auch den Grundsätzen der Gleichbehandlung, der Gerechtigkeit also. Denn sonst würde das Recht auf Familiennachzug ja schlicht davon abhängen, wie gut und schnell die Behörde arbeitet. Die Folge: Zwei Flüchtlinge gleichen Alters, die zur gleichen Zeit ihren Antrag stellen, könnten je nach Bearbeitungsdauer unterschiedlich behandelt werden.

Alexander Haneke
Der Jurist Alexander Haneke ist Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen ZeitungBild: F.A.Z. Wolfgang Eilmes

All das sind vernünftige und nachvollziehbare Argumente. Auch Deutschland wird seine Regelungen nun anpassen müssen. Bisher wird der Nachzug von Eltern und Geschwistern nur gestattet, bis der in Deutschland lebende Flüchtling volljährig wird. Einige junge Flüchtlinge und ihre Familien werden von dem Urteil vom Donnerstag profitieren.

Und doch nährt der EuGH mit seinem Urteil nur eine Illusion. Die Illusion nämlich, dass eine gerechte Flüchtlingspolitik möglich ist. Ein nüchterner Blick auf die Wirklichkeit lehrt etwas anderes: Ist es gerecht, dass nur diejenigen Schutz bekommen, die sich das Geld für kriminelle Schlepper leisten können? Ist es gerecht, dass ein junger Mann aus den Armenvierteln Marokkos, der in seiner Heimat nicht die geringste Perspektive hat, nicht in Europa bleiben darf, ein gleich alter Mann aus Kabul aber schon? Und ist es gerecht, dass die Familie der jungen Eritreerin ein Visum bekommt, nur weil sie ihre Tochter schnell genug auf die Reise geschickt hat, die Familie eines gleich alten Eritreers aber, der vielleicht irgendwo für ein paar Wochen aufgehalten wurde, aber nicht? Das ist das Dilemma der Flüchtlingspolitik. Und die Wahrheit ist: Es ist nicht lösbar.

Menschliches Urteil schafft neue Ungerechtigkeiten

Der EuGH hat es sich leicht gemacht - er hat in dem Einzelfall, den er zu beurteilen hatte, zugunsten der Gerechtigkeit entschieden. Das ist menschlich und verständlich, wie jede Entscheidung zugunsten von Flüchtenden. Doch die Richter haben auch wieder neue Ungerechtigkeiten geschaffen. Und sie haben nicht im Sinne des Rechts entschieden. Denn das besagt, dass Minderjährige ihre Eltern und Geschwister nachholen dürfen, weil sie minderjährig sind. Sind sie es nicht mehr, sollten sie so behandelt werden wie alle anderen gleich alten Flüchtlinge - nämlich wie Erwachsene.

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