1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Das Land der verhafteten Fragen

Can Dündar Deutsche Welle Global Media Forum SHIFTING POWERS
Can Dündar
9. September 2016

Türkische Journalisten kennen längst den Druck, den die Regierung Erdogan auf die Pressefreiheit ausübt. Mit der Beschlagnahmung eines Interviews haben nun auch DW-Kollegen diese Erfahrung gemacht, meint Can Dündar.

https://p.dw.com/p/1Jz1C
DW Conflict Zone Türkei - Gast Akif Çağatay Kılıç
Hier war die Atmosphäre noch locker: DW-Moderator Michel Friedman mit Sportminister Akif Çağatay KılıçBild: DW/M. Martin

In der Türkei werden die unangenehmsten Fragen von ausländischen Journalisten gestellt. Das hat zwei Gründe:

Erstens: Die türkischen Regierenden treffen sich nicht mit wirklichen Journalisten. So ist Präsident Erdogan schon seit mehreren Jahren mit keinem Journalisten mehr zusammengekommen, von dem er unbequeme Fragen hätte befürchten müssen. Er hat Interviewanfragen lediglich von denjenigen angenommen, die mit ihm sympathisieren und ihm "einfache" Fragen stellen.

Zweitens: Selbst wenn ein Journalist auf einer Pressekonferenz versehentlich eine unbequeme Frage stellen würde, dann würde er entweder vom Befragten heftig beschimpft werden oder deswegen seine Stelle verlieren.

Ausländische Journalisten haben es leichter

Aus diesem Grund ist es für ausländische Journalisten, die wieder zurück in ihre Heimatländer fliegen, deutlich einfacher, unangenehme Fragen stellen. Obwohl auch sie die Antworten, die sie erhalten, nicht wirklich zufrieden stellen werden.

Erdogan und seine Minister reagieren auf unbequeme Fragen mit einer schablonenhaften Antwort: "Wäre die Türkei ein repressiver Staat, wären Sie gar nicht in der Lage, solche Fragen zu stellen."

Doch man kann nur dann von einer wirklichen Pressefreiheit sprechen, wenn man Fragen stellen kann, ohne die hinter dieser Antwort steckende Bedrohung wahrzunehmen. Und selbst in einem repressiven Staat kann man gelegentlich schwierige Fragen stellen. Es ist nur schwieriger abzuschätzen, was danach mit einem passieren wird. Denn jede unbequeme Frage hat in einem solchen System ihren Preis. Und die wenigsten Journalisten kommen einfach davon, ohne diesen Preis zu bezahlen.

Die Affäre Yücel

Ein Beispiel: Im vergangenen Jahr hat der Gouverneur von Sanliurfa, eine Stadt im Südosten der Türkei, eine Pressekonferenz gegeben. Dort sprachen ihn einige Journalisten darauf an, dass die Anwohner wegen der IS- Anhänger in der Stadt besorgt und verängstigt seien. Daraufhin beendete der Gouverneur abrupt und wütend die Konferenz und befahl den Polizisten in seiner Nähe: "Nehmt sie mit!" Drei Journalisten wurden in Polizeigewahrsam genommen.

Kurz darauf musste man feststellen, dass einer der drei Journalisten für ein ausländisches Medienhaus arbeitete. Und deswegen hagelte es international Kritik. Also war man gezwungen, diese Journalisten wieder freizulassen und ließ verlauten, es habe sich lediglich um eine Ausweiskontrolle gehandelt. Einer dieser drei Journalisten war Deniz Yücel, der Istanbul-Korrespondent der deutschen Tageszeitung "Die Welt".

Can Dündar erhält den Leuchtturm-Preis
Can Dündar ist im August als Chefredakteur der linksliberalen Zeitung Cumhuriyet zurückgetreten und hat die Türkei verlassenBild: picture alliance/dpa/K. Nietfeld

Derselbe Kollege stand sieben Monate später wieder im Visier, dieses Mal von Ministerpräsident Davutoglu. Bei einer Pressekonferenz mit Davutoglu und Bundeskanzlerin Merkel fragte Yücel nach, was der Ministerpräsident von Behauptungen halte, der türkische Staat töte bei Terroroperationen auch Zivilisten. Eine Frage, die seine türkischen Kollegen nicht gewagt hätten zu fragen.

Anstatt die Frage zu beantworten, beschuldigte Davutoglu den Journalisten Yücel, er würde versuchen, wie ein dritter Regierungschef im Saal eine politische Erklärung abzugeben. Ja, so Davutoglu, er respektiere auch diesen Journalisten. Und konterte dennoch wieder mit derselben Schablone: "Schon die Möglichkeit, dem türkischen Ministerpräsidenten einen solchen Vorwurf zu machen, ist ein Zeichen für die Pressefreiheit in der Türkei."

Doch das stimmt nicht! Man kann nicht von der Pressefreiheit in einem Land sprechen, in dem schon die Fragestellung Mut erfordert. Außerdem wurde der Kollege Yücel am nächsten Tag in den regierungsnahen Blättern als "PKK-Sympathisant" denunziert, der dem Ministerpräsidenten unverschämte Fragen stelle.

Das jüngste Opfer dieser Verständnisses von unabhängigen Medien, das dazu führt, dass Journalisten mit Pressesprechern verwechselt werden, ist das Deutsche Welle-Team gewesen, das mit dem türkischen Sportminister ein Interview gemacht hat. Nach dem Abschluss des Interviews hat das Sportministerium einfach das Material konfisziert. Vermutlich ist das Ministerium inzwischen irritiert wegen der enormen Kritik an seinem Vorgehen und dachte vorab nicht einmal im Traum daran, wie absurd ihr Vorgehen eigentlich ist.

Ein Vorfall, der die gesamte Lage deutlich macht

Wie die Türkische Journalistenvereinigung in einer Erklärung betont, reicht aber allein dieser Vorfall aus, um den großen Unterschied zwischen den internationalen, journalistischen Standards und den Zuständen in der Türkei aufzuzeigen.

Aus Anlass dieses unerfreulichen Ereignisses möchte ich den deutschen Kollegen zurufen: Herzlich willkommen in der Türkei! Ich hoffe, dass ihr nun besser nachvollziehen könnt, was wir in diesem "Land der verhafteten Fragen" Tag für Tag erleben müssen. Und vergesst das Videomaterial. Das bekommt ihr nicht mehr!

Der Sportminister sollte sich eigentlich für sein Verhalten entschuldigen müssen. Das könnte vielleicht dazu führen, dass die Regierenden sich die nächste Beschlagnahmung von journalistischem Material zwei Mal überlegen würden.

Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!