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Geschichte einer Pleite

25. Januar 2007

In der Schweiz läuft der Strafprozess gegen die Verantwortlichen der früheren Swissair. Ein Lehrstück über Inkompetenz und Missmanagement, das ohne Schuldsprüche enden dürfte, meint Christian Schmid.

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Das hat es in der Schweiz noch nie gegeben: Die gesamte Führungsriege eines Unternehmens muss antreten, um sich vor dem Strafrichter für eine Mega-Pleite zu verantworten. Die Anklagepunkte reichen von Gläubigerschädigung und ungetreuer Geschäftsbesorgung über Misswirtschaft bis zu Urkundenfälschung und Steuerbetrug. Dass am Ende wirklich jemand verurteilt wird, glaubt kaum jemand. Umso mehr, als die Anklage auf eher schwachen Füßen steht und sich die Mehrheit der Ex-Verwaltungsräte und Top-Manager bislang in Schweigen gehüllt hat. Den meisten waren nicht mehr als ein paar Unschuldsbeteuerungen zu entlocken.

Die Mauer des Schweigens brachen der Beton-Industrielle und Ex-Verwaltungsrat Stephan Schmidheiny, der frühere Politiker Eric Honegger, und – als Hauptangeklagter des Prozesses, der letzte Patron der Swissair, Mario Corti.

Er, der vor sechs Jahren noch als "Super-Mario" und Hoffnungsträger der bereits maroden Swissair gefeiert worden war, sparte nicht an massiver Kritik an ehemaligen Kollegen und an der Anklage. Aber er stellte sich zumindest den Fragen des Richters, beantwortete sie detailliert und sachkundig. So wie er sich schon damals den massiven Problemen der Swissair, wenn auch erfolglos, gestellt hatte. Alle anderen heute Angeklagten hatten bereits Monate vor dem "Grounding" der Swissair Hals über Kopf das sinkende Schiff verlassen. Es überrascht daher wenig, dass sie im Prozess feige schwiegen. Corti dagegen kämpfte um seine Unschuld und Ehre. Damit beeindruckte er zumindest das zahlreich anwesende Publikum. Ein ehemaliger Swissair-Angestellter: "Nichts gegen Corti, er hat doch die Swissair nur retten wollen, als es bereits nichts mehr zu retten gab. Den Absturz haben seine Vorgänger verschuldet".

Unglaubliche Zustände

Trotzdem: Viel Licht ins Dunkel hat auch Corti nicht gebracht. Immerhin belegten seine Aussagen, in welch unglaublichem Maße die damalige Swissair-Führung überfordert war, welch heillose Mischung aus Arroganz, Inkompetenz, Ignoranz und Verfilzung von Politik und Wirtschaft zum Untergang der ehedem stolzen Swissair führte. Niemand hätte vor Jahren in der Schweiz für möglich gehalten, dass die "fliegende Bank" Swissair jemals so jämmerlich bankrott gehen könnte, noch weniger hätte man glauben mögen, dass ein renommiertes Schweizer Top-Unternehmen von einer derart dilettantischen und unfähigen Führungs-Crew gemanagt wird. Bloß: Dummheit und Unfähigkeit sind nicht strafbar – und deshalb musste sich die Anklage denn auch auf verhältnismäßig harmlose Straftatbestände beschränken. Was mithin zeigt, dass ein Wirtschafts-Debakel vom Ausmaß der Swissair-Pleite kaum per Strafprozess aufgearbeitet werden kann.

Auch wenn beim Prozess zum Schluss wohl nicht viel herauskommen wird, ist immerhin positiv, dass er überhaupt stattfindet. Denn er gibt ein wichtiges Signal: Manager und Verwaltungsräte sollen geradestehen müssen für ihr Tun, Missmanagement soll nicht weiter ein verzeihliches Kavaliers-Delikt sein. Und auch von Verwaltungsräten muss Kompetenz und Engagement eingefordert werden können, nicht nur das richtige Parteibuch und einflussreiche Freunde. Insofern ist der Swissair-Prozess auch ein Stück Abrechung mit der Tradition der Verfilzung von Wirtschaft und Politik, die namentlich von der bürgerlichen Freisinnigen Partei über Jahrzehnte erfolgreich gepflegt worden war. Wohl nicht zufällig sind die Freisinnigen seit dem Swissair-"Grounding" ebenfalls im Sinkflug und dürften laut Umfragen bei den nächsten nationalen Wahlen im Herbst noch einmal an Stimmen einbüßen.

Mythos zerstört

Es mag sein, dass die hohen Erwartungen der Öffentlichkeit nach Verurteilung der Swissair-Verantwortlichen nicht erfüllt werden. Aber der Prozess dient mithin als Epilog einer unglaublichen Geschichte. Immerhin hatte die Swissair-Crew nicht nur ein als Nationalheiligtum verehrtes Unternehmen in den Sand gesetzt, sondern auch den Mythos zerstört, wonach Schweizer Management für Kompetenz, Präzision und Zuverlässigkeit stehe. Ironie des Schicksals: die mit Steuer-Milliarden aufgebaute Nachfolgegesellschaft der Swissair gehört seit knapp zwei Jahren der Deutschen Lufthansa – und gedeiht prächtig.

Christian Schmid ist Nachrichtenchef von swissinfo