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"Gaddafi ist Nagelprobe für die NATO"

22. März 2011

Der internationale Militäreinsatz gegen das Gaddafi-Regime in Libyen beschäftigt auch an diesem Dienstag die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen. Dabei gehen die Meinungen weit auseinander.

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Deutsche Zeitungen Symbolbild (Foto: DW)
Bild: DW

Die in München erscheinende Süddeutsche Zeitung titelt "Kriegsziel Machtwechsel". Dort heißt es:

"Das Mandat des UN-Sicherheitsrates dient nicht explizit der Entmachtung Gaddafis, und alle beteiligten Nationen (...) sind gut beraten, den schützenden Charakter des Einsatzes zu betonen. Doch was im Mandat ausgespart ist, wird deswegen noch nicht falsch. Natürlich schwächen die Luftangriffe Gaddafi, und selbstverständlich wird sich die Koalition nicht auf Rebellen stürzen, wenn sie in Misrata einmarschieren. (...) Die hoffentlich größte Wirkung der UN-Resolution ist politisch und besteht darin, dass der Mann seine aussichtslose Lage erkennt, die Zelte abbricht und sein Heil im Exil sucht. Die Vereinten Nationen können kein Interesse daran haben, als Schiedsrichter aus der Luft über einen zweigeteilten Staat zu wachen."

Der Kommentator der tageszeitung aus Berlin bemängelt, die militärische Intervention in Libyen sei nicht zu Ende gedacht:

"Frankreich, Großbritannien und die USA haben mit ihren Luftangriffen vom Wochenende auf Waffen und Infrastruktur der libyschen Regierungsstreitkräfte wahrscheinlich verhindert, dass diese Bengasi erobern und dort ein Blutbad anrichten. Damit war das dringlichste humanitäre Ziel der UNO-Resolution vom Freitag erreicht. Doch wie soll es nun weitergehen? Darüber herrscht unter den bislang an der Militäraktion beteiligten westlichen Staaten in NATO und EU sowie unter den arabischen Nachbarländern Libyens große Uneinigkeit. Soll Gaddafi gestürzt werden? Das hatten zwar die EU und US-Präsident Obama verlangt, nicht aber der UNO-Sicherheitsrat in seiner Resolution zur Autorisierung der militärischen Maßnahmen. Was geschieht, wenn tatsächlich tausende Stammesangehörige dem Aufruf Gaddafis folgen und mit Ölzweigen und vielleicht auch Gewehren in der Hand nach Bengasi pilgern? Sollen die dann aus der Luft bombardiert werden? Und falls die Aufständischen versuchen, Städte zurückzuerobern, oder auf die Hauptstadt Tripolis marschieren - sollen sie dann aktiv militärisch unterstützt werden? Es zeigt sich, dass keiner der Beteiligten die Operation mit dem euphemistischen Namen "Odyssee Morgendämmerung" zu Ende gedacht hat. Weil alle vorrangig aus innenpolitischen Motiven und Kalkülen handelten."

In die gleiche Richtung zielt auch der Kommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dabei geht das Blatt explizit mit der deutschen Enthaltung bei der Abstimmung im Weltsicherheitsrat ins Gericht:

"Die Aussicht, dass Gaddafi aus der Rebellion gegen seine Willkürherrschaft als Sieger hervorgehen würde, bewog den amerikanischen Präsidenten, seine abwartende Haltung aufzugeben und die Initiative Frankreichs und Großbritanniens für ein militärisches Eingreifen zu unterstützen. Die Bundesregierung jedoch beschloss, bei einer risikoreichen Entscheidung lieber kein Risiko einzugehen. Nun erklärt Außenminister Westerwelle wenig überzeugend, warum Deutschland weder in der EU noch in der Nato isoliert sei. Bedenklich an der Entscheidung, sich im UN-Sicherheitsrat zu enthalten, ist allerdings, dass dabei weder die Solidarität mit wichtigen Partnern noch das Bemühen um eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Deutschland hätte besser mit Ja gestimmt, auch wenn keine Bereitschaft bestand, deutsche Flugzeuge über Libyen einzusetzen. Geradezu peinlich wirkt das Angebot Berlins, sich nun an der Awacs-Mission zur Radarüberwachung des Luftraums in Afghanistan zu beteiligen, um Personal für den Einsatz über Libyen freizusetzen. (...)"

Die Neue Osnabrücker Zeitung hält sich dagegen mit einem eindeutigen Urteil noch zurück:

"Bald wird sich zeigen, wer Recht hat: Russlands Regierungschef Wladimir Putin, der den Angriff mehrerer NATO-Staaten auf libysche Regierungstruppen mit einem Kreuzzug vergleicht. Oder die Kritiker der deutschen Kriegs-Enthaltung, die darauf verweisen, die internationale Gemeinschaft, wer immer das sein soll, vollbringe ein gutes Werk durch ihre Luftschläge. Wenn diese Gemeinschaft so international ist und ihre Sache so gerecht, wird sich zweifellos bald jemand ins Oberkommando drängen und die Amerikaner entlasten. Schließlich sind deren Streitkräfte in Afghanistan und im Irak schwer belastet, in Teilen ausgezehrt, die USA in islamischen Ländern schlechter gelitten als noch vor zehn Jahren. Tritt die NATO an die Stelle der USA, dann ist politisch wenig gewonnen. Denn Putins Unterstellung lautet ja: Der Westen will sich Libyen botmäßig machen. Und die NATO gilt außerhalb ihrer Grenzen nun mal als Instrument amerikanisch-europäischer Machtprojektion. Was sie auch sein soll."

Zur militärischen Intervention in Libyen meint der Kommentator der Düsseldorfer Westdeutschen Zeitung:

"Gaddafi wird zur Nagelprobe für die NATO. Mit jedem weiteren Tag, den sie hilflos um ihre Position ringt, verliert sie an Akzeptanz in der Welt. Vergessen werden sollte auch nicht, dass zur gleichen Zeit Soldaten mehrerer Nato-Staaten ihr Leben riskieren, um die UN-Resolution durchzusetzen. Ihren Ruf als globale Feuerwehr hat die Nato spätestens jetzt endgültig verwirkt."

"Koalition der Heuchler" – so schließlich überschreibt die ebenfalls in Düsseldorf publizierte Rheinische Post ihren Meinungsartikel:

"Der Militäreinsatz in Libyen wurde klar definiert: Zivilisten sollten mit allen dazu nötigen Mitteln vor den Angriffen der Truppen Muammar al Gaddafis und der angekündigten Rache seiner Schergen geschützt werden. Angesichts der militärischen Lage war Gefahr im Verzug. Man kann Franzosen, Briten und Amerikanern also schlecht vorwerfen, voreilig losgeschlagen zu haben. Gemessen am Auftrag ist der Einsatz bisher ein voller Erfolg. Und dass Deutschland diese Intervention trotz aller Vorbehalte durch eine entsprechende Stimmabgabe im UN-Sicherheitsrat nicht wenigstens moralisch unterstützt hat, bleibt ein politischer Fehler. Natürlich gibt es berechtigte Zweifel, was die längerfristigen Auswirkungen des Einsatzes betrifft. Die Bombardements haben Gaddafi zunächst die Krallen gestutzt, seinen Sturz dürfen sie laut UN-Resolution indes nicht herbeiführen. Ein Regime-Wechsel wäre aber wohl Voraussetzung für eine Wiederherstellung der libyschen Einheit. Aber konnte man den unmittelbaren Schutz der libyschen Bevölkerung abhängig machen von solchen Zweifeln? Natürlich nicht. Es musste gehandelt werden. Das Befremden, ja die Empörung, die da jetzt von der Arabischen Liga, vereinzelt von westlichen Verbündeten und sogar von Russlands Premier Wladimir Putin über den Militäreinsatz geäußert wird, ist pure Heuchelei."

zusammengestellt von: Esther Felden
Redaktion: Diana Hodali