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Politik

Der Höhepunkt kommt erst in Wochen

Alexander Görlach
31. März 2020

Er lebt Mitten im gegenwärtigen Zentrum der Corona-Pandemie: New York City. Auch in der Weltstadt offenbart das Virus Diskriminierung und vielfach auch die schlechten Seiten von Menschen, meint Alexander Görlach.

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Zitattafel Prof. Dr. Alexander Görlach
Bild: DW

Das Epizentrum des Corona-Ausbruchs in den Vereinigten Staaten, New York, ist nur knapp einer totalen Quarantäne entgangen, die US-Präsident Trump für die internationale Finanz-Metropole erwogen hatte. Anstelle dessen gilt nun die strenge Empfehlung an alle, die in diesem Bundesstaat leben, nicht mehr innerhalb der USA zu reisen. Vereinzelt haben andere Bundesstaaten Kontrollen eingeführt und halten Fahrzeuge mit einem Nummernschild des "Empire State" an.

Präsident Trump schwankt in seinen Aussagen merklich zwischen einer totalen Quarantäne und seiner ursprünglichen Ansage, die USA an Ostern - das ist in zwei Wochen - wieder für den normalen Geschäftsbetrieb zu öffnen. Bis Montag (30.3.) stieg die Zahl der registrierten Neuinfektionen auf über 143.000 und über 2400 Tote, in der Stadt New York verdoppelten sich die Fälle innerhalb dreier Tage.

Der errechnete Höhepunkt ist Ende April

Die Krise ist also weder für den Bundesstaat noch die Stadt New York bald vorbei, so sehr sich der Präsident auch anderes wünschen mag. Der errechnete Höhepunkt der Krise ist Ende April. Zu diesem Zeitpunkt werden viele New Yorker bereits sechs bis sieben Wochen in ihren vier Wänden ausgeharrt haben. Die Demokraten lasten unterdessen Donald Trump Schuld an, durch sein zunächst laxes Verhalten zu Beginn der Pandemie den Tod von Amerikanern in Kauf genommen zu haben.

USA Corona-Pandemie New York
Im Vergleich zu sonst sind die Straßen in New York wie leergefegtBild: picture-alliance/AP Photo/B. Matthews

In New York City fehlen Berechnungen zufolge rund 25.000 Beatmungsgeräte. Ähnlich wie in Italien steht auch hier zu befürchten, dass nicht alle Menschen behandelt werden können und zum Sterben nach Hause geschickt werden. Bürgerrechtsgruppen sind bereits jetzt alarmiert, dass eine solche Selektion von diskriminierenden Vorurteilen bestimmt sein könnte. Dabei wirkt das Virus selbst diskriminierend: Diejenigen, die es sich ökonomisch leisten können, sitzen bereits seit zwei Wochen in Quarantäne. Andere, deren Überleben von ihrer Arbeit im Kontakt mit anderen Menschen abhängt, harren so lange vor Ort aus, wie es nur irgend geht. Dadurch erhöht sich natürlich ihr Ansteckungsrisiko.

Zum Monatswechsel sind die Mietzahlungen fällig und viele New Yorker werden nicht in der Lage sein zu zahlen. Einige Vermieter haben schon hässliche Nachrichten verschickt, wonach diejenigen, die nicht pünktlich ihre Miete überweisen, ihre Wohnung verlieren sollen. Im Zuge solcher "evictions", was auf deutsch nichts anderes als "Vertreibung" bedeutet, dürften hier neben den Fragen zu Grundrechten auch die nach Anstand und Mitgefühl gestellt werden: Denn wie kann es auch nur im Ansatz gerechtfertigt scheinen, Menschen mitten in dieser heftigen Krise auf die Straße zu setzen?

Ist China gegenüber den USA im Vorteil?

Die öffentliche Überlegung Präsident Trumps, New York City möglicherweise in einer Weise abzuriegeln wie das zuvor die chinesische Führung mit Wuhan gemacht hat, hat die Fragestellung noch einmal verschärft, ob Demokratien in Zeiten einer Pandemie die gleichen Möglichkeiten des Handelns haben wie Machthaber in einer Autokratie oder eine Diktatur. Häufig zeigen diejenigen, die diese Frage stellen, eine gewisse Sympathie für Staaten wie die Volksrepublik China, die eine solche autokratische "strongman"-Führung haben - den US-Präsidenten inbegriffen.

USA | Coronavirus | New York
Auch die Straßen von Brooklyn sind dieser Tage menschenleerBild: Reuters/J. Moon

Was die Lage in den USA betrifft, so ist dieser Systemvergleich zu hoch gestapelt: Hauptproblem des Landes ist, dass es hier keine große Wertschätzung für ein leistungsfähiges, öffentliches Gesundheitssystem gibt, was die harten Auseinandersetzungen der Jahre belegen, in denen US-Präsident Barack Obama eine Krankenkasse für alle einführen wollte. Die USA hinken an dieser Stelle allen anderen westlichen Demokratien hinterher. Nicht nur auf New York, sondern auf das ganze Land kommen deshalb nun extrem harte Wochen zu.

Alexander Görlach lebt in New York und ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hongkong.