Gärtnern im Großstadtdschungel
Eine grüne Idylle mitten im öffentlichen Raum einer Stadt ist keine Utopie. Von Bürgern gemeinsam angelegte und bewirtschaftete Gärten auf ehemaligen Brachflächen zeigen, wie es geht. Ein Beispiel aus Bonn.
Gartenarbeit steht als Freizeitbeschäftigung direkt nach dem Entspannen auf der Beliebtheitsskala der Deutschen an zweiter Stelle. Vor allem junge Familien mit Kindern unterschreiben einen Pacht Pacht (f., nur Singular) eine befristete, vertraglich vereinbarte Nutzung von etwas (z. B. Land) gegen ein Entgelt vertrag für einen Schrebergarten Schrebergarten, -gärten (m.) ein kleiner Garten, der nicht direkt am eigenen Haus liegt und den man von einem Verein mietet und entfliehen so dem Großstadtdschungel Großstadtdschungel (m., nur Singular) umgangssprachlich für: eine hektische, laute, undurchdringliche Großstadt mit wenig Parks, Gärten o. Ä. . Die Städter sehnen sich nach Naturerfahrung, wollen oder können aber nicht immer weite Wege in Kauf nehmen. Doch was, wenn es keine Gärten mehr zu pachten gibt oder man – wie in Berlin – rund drei bis fünf Jahre auf einen Kleingarten warten muss, bevor es losgehen kann? Man nutzt einfach städtische Flächen und legt dort einen urbanen Nutzgarten an. Das Konzept dahinter heißt „Urban Gardening“, eine Art „Graswurzelbewegung“, die in den 1970er Jahren mit den ersten Gemeinschaftsgärten in New York begann.
„Grassroot movements“ sind Initiativen, die ein politisches oder gesellschaftliches Ziel verfolgen und aus der Bevölkerung heraus entstehen, um eigene Bedürfnisse und Interessen zu stillen. Dazu gehört auch, Essbares aus eigenem Anbau ohne große Transportwege zu produzieren. 2009 nahmen das Heft in die Hand nehmen umgangssprachlich für: Entscheidungen treffen bzw. die Führung übernehmen in Berlin engagierte Bürger* das Heft in die Hand das Heft in die Hand nehmen umgangssprachlich für: Entscheidungen treffen bzw. die Führung übernehmen und wandelten eine verwahrloste und vermüllte Brachfläche Brachfläche, -n (f.) ein Grundstück, das nicht bearbeitet wird und ungenutzt ist in einen städtischen Nutzgarten um, stellten Hochbeete Hochbeet, -e (n.) ein mit Erde und ggfs. anderen Materialien befüllter Kasten, der bepflanzt werden kann auf und bepflanzten sie. Das Beispiel machte Schule Schule machen umgangssprachlich für: von anderen nachgeahmt werden bzw. für andere als Vorbild dienen : In weiteren Städten entstanden ‚grüne Oasen‘ mitten in der Stadt. So auch 2017 in Bonn. Dort kamen die beiden studierten Agrarwissenschaftlerinnen Imke und Miriam auf die Idee, so was auch für die Bundesstadt umzusetzen, und riefen ihr Projekt „StadtFrüchtchen“ ins Leben. Ein Beweggrund war für beide das Thema Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit (f., nur Singular) hier: ein Schutz natürlicher Ressourcen durch eine umweltschutzgerechte Produktion :
„Ich wollte damals mit dem ‚StadtFrüchtchen‘ zeigen, wie nachhaltiges Leben in der Stadt funktionieren kann und wie man zeigen kann, dass man seine eigene Umwelt mitgestalten kann, und [ich] will mit dem ‚StadtFrüchtchen‘ auch dazu einladen, das zu tun. / Und meine Beweggründe waren auch ’n bisschen, gerade den Städtern das auch wieder ’n bisschen näher zu bringen, was das überhaupt bedeutet, selber Lebensmittel anzubauen. Wie zum Beispiel eine Paprikapflanze aussieht und nicht nur die geerntete Paprika, die man dann verpackt im Supermarkt findet.“
Es gab aber noch einen weiteren Beweggrund bei den Überlegungen, meint Imke:„Dass es cool wäre, in der Stadt ’nen Ort zu haben, an den man Menschen zusammenbringen kann und denen zeigen kann, wie man Lebensmittel produziert und mit Lebensmitteln umgeht, und wie man vielleicht auch zusammen kochen könnte und anbauen könnte, und das auch Kindern beibringen könnte.“
„Urban Gardening“ bedeutet also auch, in Gemeinschaft zu gärtnern, voneinander zu lernen – beispielsweise wie man ein Hochbeet richtig anlegt oder Schädlinge bekämpft – und Zeit miteinander zu verbringen. Was dann passiert, ist nur logisch: Es entsteht nicht nur ein Garten, sondern auch ein soziales Netzwerk um ihn herum – auch bei den „StadtFrüchtchen“–, erzählt Imke:
„Wir haben viele Familien, die den Garten nutzen und mit den Kindern zum Spielen kommen, auch zum Gärtnern kommen. Dann haben wir auch relativ viele Studenten, die alle um den Garten drumrum wohnen und keinen Garten haben, die zum Sonnen kommen oder zum Kaffeeklatsch, und die Leute von den Stadtwerken Bonn machen da ihre Mittagspause viel.“
Die ‚grüne Oase‘ im Bonner Stadtzentrum ist ein Ort zum Entspannen, nicht nur für die direkten Anwohner, sondern auch schon mal für Mitarbeiter der Stadtwerke Bonn, einem kommunalen Nahverkehrs-, Versorgungs- und Entsorgungsunternehmen. Egal, ob man sich in die Hängematte Hängematte, -n (f.) ein Tuch oder Netz, das (z. B. zwischen zwei Bäumen oder Stangen) aufgespannt wird, um darin zu liegen legt, in eines der aus Badewannen gebauten Sofas setzt oder sich am Tisch zur gemütlichen Plauderei beim Kaffee, dem Kaffeeklatsch, versammelt: Der kleine Stadtgarten bietet – neben dem Aspekt des Gärtnerns – auch das. Probleme mit der Stadtverwaltung bei der Verwirklichung ihrer Idee hatten sie nicht, sagt Miriam:
„Von der Stadt werden extra Flächen angeboten, die für ‚Urban Gardening‘ genutzt werden sollen oder zur Verfügung stehen – und darüber sind wir auch darangekommen. Wir pachten diese Fläche für ’nen relativ geringen Beitrag im Jahr und haben relativ geringe Auflagen und können eigentlich relativ frei uns entfalten.“
Diese sogenannten „Grabelandflächen“ stehen nicht als Bauland im Bebauungsplan Bebauungsplan, -pläne (m.) ein rechtsverbindlicher Plan zur baulichen Entwicklung einer Stadt/Gemeinde, in dem bestimmte Regelungen festgeschrieben sind der Stadt und können deshalb zur Anlage eines Stadtgartens genutzt werden. Die Vorgaben, die Auflagen, dafür sind nicht sehr streng. So ist beispielsweise nicht erlaubt, ein kleines Gebäude zu errichten oder einfach, ohne Absprache mit der Stadt, Bäume und Sträucher zu pflanzen. Ansonsten dürfen sich die Stadtgärtner frei entfalten, können tun, was sie möchten. Denn eine Initiative wie „StadtFrüchtchen“ hat auch für die Stadtverwaltung Vorteile, meint Imke:
„Die Stadt spart damit halt auch Geld, weil sie Pflegekosten abgeben, und dafür zahlen wir halt etwas über 60 Euro an Pacht, und [es] ist quasi eine Win-win-Situation und wird vom Amt für Stadtgrün unterstützt.“
Beide Seiten profitieren, es ist eine Win-win-Situation. Die Stadt bekommt eine jährliche Pacht von 60 Euro und muss sich nicht um die Pflege der Fläche kümmern. Und die Initiative erntet, was sie anbaut und tut etwas fürs gemeinschaftliche Miteinander. Auch anfängliche Widerstände, negatives Feedback, aus der Nachbarschaft konnten überwunden werden. Und das lief laut Miriam ganz von selbst:
„Am Anfang hat man ja immer noch total viel Energie, sich halt mit so was auseinanderzusetzen, wo man dann irgendwie denkt: ‚Ja, das kann doch so nicht sein!‘ Wenn man dann irgendwann merkt, es kommt nicht noch mehr Feedback aus der Nachbarschaft und der Großteil der Nachbarschaft ist eigentlich eher begeistert davon oder nutzt den Garten auch, ich glaube einfach, dadurch wurde den Menschen auch einfach der Wind aus den Segeln genommen.“
Imke und Miriam konnten die meisten Anwohner von ihrer Idee überzeugen bis begeistern, so dass die kritischen Stimmen nach und nach verstummten. Diesen Nachbarn wurde der Wind aus den Segeln genommen, ihren Argumenten wurde die Grundlage entzogen. Beide sind glücklich darüber, wie sich ihre „Grasswurzel“-Initiative“ entwickelt hat, meint Imke:
„Ich sehe, dass ganz viel Motivation auch übertragen wird an Leute, die sich in dem Garten oder mit dem Garten auseinandersetzen oder im Garten treffen, und sehe einfach immer so, dass die auch Lust haben, sich zu organisieren, und wirklich Spaß am Gärtnern haben, aber auch Spaß da dran haben, so ’ne Vorbildfunktion für andere zu sein, und dass dieser Garten zu so ’ner Plattform geworden ist, die mit so viel Begeisterung genutzt wird.“
Dass ihr urbaner Garten eine Art Plattform, ein Versammlungsort und Treffpunkt, geworden ist, treibt die beiden an, weiterzumachen. Sie wollen nicht nur den schon vorhandenen Stadtgarten noch ein bisschen ausbauen, sondern vielleicht auch – wenn die Voraussetzungen stimmen – weitere „StadtFrüchtchen“-Gärten gründen:
„Wir müssen einfach gucken, ob es überhaupt Flächen gibt, die auch uns ansprechen würden, wo man das Konzept auch wieder ähnlich so verwirklich könnte. Aber wir sind nicht abgeneigt. Oder? / Nein, überhaupt nicht!“
Letztlich wäre es dann wie bei richtigen Graswurzeln: Diese breiten sich langsam unterirdisch aus – bis eine dichte Wiese da ist. Stadtgärten sorgen nicht nur für bessere Luft, frisches Gemüse und gute Laune, sondern dienen auch als ‚Tempel des Wissens‘ für Groß und Klein. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten, inklusive des Klimas.
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* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird manchmal auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beiderlei Geschlecht.
Gärtnern im Großstadtdschungel
Pacht (f., nur Singular) — eine befristete, vertraglich vereinbarte Nutzung von etwas (z. B. Land) gegen ein Entgelt
Schrebergarten, -gärten (m.) — ein kleiner Garten, der nicht direkt am eigenen Haus liegt und den man von einem Verein mietet
Großstadtdschungel (m., nur Singular) — umgangssprachlich für: eine hektische, laute, undurchdringliche Großstadt mit wenig Parks, Gärten o. Ä.
das Heft in die Hand nehmen — umgangssprachlich für: Entscheidungen treffen bzw. die Führung übernehmen
Brachfläche, -n (f.) — ein Grundstück, das nicht bearbeitet wird und ungenutzt ist
Hochbeet, -e (n.) — ein mit Erde und ggfs. anderen Materialien befüllter Kasten, der bepflanzt werden kann
Schule machen — umgangssprachlich für: von anderen nachgeahmt werden bzw. für andere als Vorbild dienen
Nachhaltigkeit (f., nur Singular) — hier: ein Schutz natürlicher Ressourcen durch eine umweltschutzgerechte Produktion
Hängematte, -n (f.) — ein Tuch oder Netz, das (z. B. zwischen zwei Bäumen oder Stangen) aufgespannt wird, um darin zu liegen
Bebauungsplan, -pläne (m.) — ein rechtsverbindlicher Plan zur baulichen Entwicklung einer Stadt/Gemeinde, in dem bestimmte Regelungen festgeschrieben sind