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Politik

Oettinger erntet mit Wahlempfehlung heftige Kritik

29. Mai 2018

Im DW-Interview gibt EU-Kommissar Oettinger der neuen Führung in Rom einen Vertrauensvorschuss - und erwartet, dass die Märkte den italienischen Wählern den Weg weisen. Damit erntet er heftige Kritik.

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Günther Oettinger im DW-Interview
Bild: DW/M. Hofmann

Exklusivinterview mit EU-Haushaltskommissar Oettinger

"Wir haben Vertrauen in den Präsidenten Italiens, der Koalitionspartner möglicher Regierungen auf ihre Rechte und Pflichten hinweist, die sich aus der Mitgliedschaft der Europäischen Union und der Eurozone ergeben", sagt EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger in einem Exklusivinterview der Deutschen Welle. Ebenso habe man aber auch Vertrauen in die neue technokratische Regierung.

Die Befürchtung, dass die populistischen Parteien bei möglichen Neuwahlen noch stärker werden könnten und dass es womöglich zu einem Austritt Italiens aus der Eurozone oder gar der EU selbst kommen könnte, teilt Oettinger nicht: "Meine Sorge ist und meine Erwartung ist, dass die nächsten Wochen zeigen, dass die Märkte, dass die Staatsanleihen, dass die Wirtschaftsentwicklung Italiens so einschneidend sein könnten, dass dies für die Wähler doch ein mögliches Signal ist, nicht Populisten von Links und Rechts zu wählen."

Die empörte Reaktion folgte auf dem Fuß:  Der Chef der rechten Lega, Matteo Salvini, schrieb auf Twitter: "Verrückt, in Brüssel kennt man keine Scham. Der EU-Haushaltskommissar, der Deutsche Oettinger, sagt, dass die Märkte den Italienern zeigen werden, die richtige Sache zu wählen. Wenn das mal keine Drohung ist... Ich habe keine Angst." Er forderte Oettingers Rücktritt.

Ähnlich empört äußerte sich der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio: "Diese Leute behandeln Italien wie eine Sommer-Kolonie, wo sie herkommen und Ferien machen."

Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratschef Donald Tusk distanzierten sich von Oettinger. Juncker sei über die "unklugen Bemerkungen informiert worden", sagte ein Kommissionssprecher. "Die Italiener und nur die Italiener werden über die Zukunft ihres Landes entscheiden und niemand sonst." Tusk schrieb auf Twitter. "Mein Appell an alle EU-Institutionen ist: Bitte respektiert die Wähler. Wir sind hier, um ihnen zu dienen, nicht um ihnen Vorgaben zu machen."

Oettinger selbst entschuldigte sich kurz darauf für seine Äußerungen. "Es war nicht meine Absicht, respektlos zu sein", teilte er am Dienstagabend mit. Er respektiere vollkommen den Willen der Wähler, ob sie links, rechts oder in der Mitte stünden - in jedem Land. "Italien als Gründerstaat spielte und spielt eine wichtige Rolle in der europäischen Integration und ich hoffe, das es auf diesem Weg voranschreiten wird."

In dem Interview der Deutschen Welle zeigte sich Oettinger optimistisch, dass Italien auch künftig Nettozahler bleiben werde, also mehr Geld an die EU zahlt als es zurückbekommt. Zum einen profitierten viele Unternehmen vom Binnenmarkt. Außerdem gebe die EU zunehmend mehr Mittel etwa für die Erdbebenhilfe oder für den Grenzschutz. "Das heißt, wir richten unseren Haushalt zunehmend auf die Bedarfe gerade für Italien aus."

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Die Akzeptanz für die EU steigt wegen Erdogan, Trump, Brexit

Im Allgemeinen spürt der EU-Kommissar, dass die Akzeptanz der EU bei der Bevölkerung deutlich steigt: "Das hat mit Erdogan zu tun, mit Trump zu tun und mit dem Brexit zu tun. Die Menschen merken schon, dass man im europäischen Team handlungsfähig ist."

Interview Günther Oettinger
Günther Oettinger im Gespräch mit DW-Korrespondent Bernd RiegertBild: DW/M. Hofmann

Gerade in einem "absehbaren Handelsstreit" mit den USA lägen die Vorteile der Gemeinschaft doch auf der Hand: "Was wäre ein Land wie Italien, wie Deutschland alleine? Aber als europäischer Binnenmarkt, als Union haben wir die Möglichkeit, auf Trump zu reagieren."

Dass müssten auch EU-Kritiker innerhalb der Union sehen: Befragt, ob es ihn ärgere, wenn Premierminister wie Viktor Orbán zuhause in Ungarn auf die EU schimpften, aber gleichzeitig in Brüssel die Hand aufhielten, sagte Oettinger: "Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Aber es ist nicht akzeptabel. Regierungen in allen Mitgliedsstaaten neigen dazu, Erfolge zu nationalisieren und Probleme zu europäisieren. Und das ist eine unfaire Arbeitsteilung."

Gegen Trump muss Europa zusammenstehen

Gerade vor dem Hintergrund der Kritik Orbáns oder der polnischen Regierung verteidigte der 64-Jährige die neue Regelung, die die Einhaltung von rechtsstaatlichen Grundsätzen zur Bedingung für die Vergabe von EU-Mitteln macht. Dabei gehe es nicht um Erziehung: "Da geht es um die Interessen des europäischen Steuerzahlers. Wir investieren Milliarden und müssen sicher sein, dass die Mitgliedstaaten und ihre Verwaltungen die Mittel ordnungsgemäß bewirtschaften und danach ordnungsgemäß abrechnen. Da kann es zum Streit kommen. Und um Betrug und Korruption und Untreue am europäischen Haushalt zu verhindern, muss man gegebenenfalls vor Gericht ziehen. Deswegen brauchen wir die Garantie, dass Richter unabhängig sind. Dass die dritte Gewalt von niemanden gebeugt werden kann, dass Recht gesprochen wird und nicht Richter von ihrer Regierung abhängen."

Obwohl die Beziehungen zur Regierung von Präsident Donald Trump angespannt seien, bleibe Amerika der engste Partner und Freund Europas. Immerhin sei die große Mehrheit der 330 Millionen US-Bürger europa-freundlich. Wenn Trump allerdings Strafzölle gegen europäische Produkte erhebe, müsse man eng zusammenstehen - egal welcher Staat gerade am meisten betroffen sei: "und wenn dann Autos betroffen sind müssen alle anderen helfen. Wenn Bordeaux betroffen ist oder wenn Produkte aus Italien betroffen sind, müssen die anderen einstehen. Wir müssen als Union sehen, wenn wir einen im Regen stehen lassen sind am Ende alle benachteiligt."

 

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
Kommentarbild Muno Martin
Martin Muno Digitaler Immigrant mit Interesse an Machtfragen und Populismus