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Campions statt Champions

Tom Mustroph
28. November 2017

Bei der "League of the Camps" stehen sich in Beirut wöchentlich Fußballteams aus den lokalen Flüchtlingslagern gegenüber. Eine rein palästinensische Liga wie bei der Gründung vor 13 Jahren ist es längst nicht mehr.

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Beirut - Flüchtlingslager Chatila - Fussball Team
Bild: DW/T. Mustroph

Sonntagabend, die Dämmerung senkt sich über Beirut. Auf den Fußballfeldern am Rande des Stadtparks, nur durch eine Schnellstraße vom Flüchtlingscamp Chatila getrennt, geht das Flutlicht an. Am Rande des einzigen Großfelds breitet ein Mann das orangene Trikot des Karmel-Klubs aus und lässt sich knieend darauf nieder. Sein Oberkörper bewegt sich auf und ab. Der Mann betet. Das Trikot auf dem Rasen ist sein "Teppich". Dann schlüpft er ins Trikot und wird zum Fußballer. Er ist bereit für das sonntägliche Match der "League of the Camps".

Mehr als ein Dutzend Teams

Seit 2004 wird diese palästinensische Lagermeisterschaft in der libanesischen Hauptstadt Beirut ausgetragen. Am Anfang waren es sechs Teams. "Jetzt sind wir mehr als ein Dutzend. Teams aus Chatila, aus Sabra, aus Bourj Al Barajneh", zählt Tarek die Lager auf, aus denen die Teams kommen. Er ist Trainer des Karmel-Klubs aus Chatila. Seit mehr als 20 Jahren schon. "Ich habe sie alle aufwachsen sehen", meint er lachend, und weist auf die Männer und Jugendlichen um ihn herum. Auf Mutaz, 28, in Chatila geboren und Kraftfahrer von Beruf. Auf Mohammed, 18, ebenfalls im Lager Chatila geboren und gegenwärtig auf einer Gastronomiefachschule eingeschrieben. Auf Omar, der nicht verraten will, was er sonst so macht und wie alt er ist. Aber Fußball sei sein Leben, versichert er, und die anderen nicken eifrig.

Traum von der Profikarriere geplatzt

Beirut - Flüchtlingslager Chatila
Ligaspiel auf dem GroßfeldBild: DW/T. Mustroph

Auch der stämmige Kerl mit den Torwarthandschuhen nickt. Er, der ebenfalls Mohammed heißt, ist nicht in Chatila geboren. Ihn hat Tarek nicht aufwachsen sehen. "Unser Torwart kommt aus Syrien, aus Raqqa", sagt Tarek, und übersetzt in knappen englischen Worten, was sein Keeper jetzt auf arabisch erzählt. Als Jugendlicher habe er sich Hoffnungen auf einer Karriere in der ersten Liga gemacht. Dann sei der Krieg gekommen, dann der "Islamische Staat". Fußball in Raqqa? Mohammed lacht bitter auf. Jetzt wohnt er am Rande von Chatila in einer Wohnung, schlägt sich auf dem Bau durch. Und sonntags spielt er Fußball.

Palästinenser und Syrer kicken gemeinsam

Die palästinesische Lagermeisterschaft ist im Laufe der letzten Jahre zu einem syrisch-palästinensischen Wettbewerb geworden. Fünf Syrer spielen regelmäßig in Tareks Karmel-Klub. Auch andere Teams haben Syrer aufgenommen. "Das geht alles friedlich. Wir leben zusammen in und um die Lager. Wir lieben Fußball. Und wir spielen zusammen", erzählt Tarek. Komplette syrische Teams gibt es seines Wissens noch nicht. Aber das ist wohl nur eine Frage der Zeit.

Wie Bienenwaben

Schon jetzt lässt sich darüber streiten, ob Chatila noch ein palästinensisches Camp ist oder schon ein syrisches. Zu den etwa 23.000 Palästinesern kamen seit der brutalen Niederschlagung der Revolution so viele Menschen aus dem Nachbarland, dass die gegenwärtige Einwohnerschaft des Lagers inzwischen auf 50.000 Personen geschätzt wird. Das Lager ist eine Kleinstadt. Auf etwa anderthalb Quadratkilometern drängt sich Haus an Haus. Wie Bienenwaben sind die Stockwerke übereinander geschichtet. Die Mischung aus Platznot und dem gerade zur Verfügung stehenden Material ließ die Gebäude sieben, acht Etagen hoch in den Himmel schießen.

Im Flüchtlingslager Chatila
Das Flüchtlingslager Chatila ist inzwischen eine KleinstadtBild: DW/T. Mustroph

Engpass Sport

Straßenfußball ist in dieser Enge kaum möglich. Die dänische NGO "GAME Lebanon" veranstaltet einmal wöchentlich ein Street Soccer Camp in Chatila. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Immerhin gibt es ein Kleinfeld. Es liegt hinter hohen Zäunen, der Eingang ist mit einem Fahrradschloss gesichert. Der Zustand ist top: gepflegter Kunstrasen, die Kreidemarkierungen entsprechen den FIFA-Normen, die Tore wirken stabil. Selbst Flutlicht gibt es. Kleiner Schönheitsfehler: Es spielt niemand hier. "Wenn du jemanden spielen sehen willst, musst du nach 16 Uhr, besser nach 18 Uhr kommen. Da gibt es die ersten Anmeldungen", erzählt Mohammed, der so freundlich war, für uns das Tor zu öffnen. Sorgsam schließt er es nach uns wieder, kennt keine Gnade mit den Altersgenossen, die mit Ball in der Hand sehnsüchtig auf das grüne Geviert blicken.

"Das ist der Libanon"

"Man muss Geld zahlen, 20 Dollar die Stunde. Dann kannst du dort spielen", erzählt Karmel-Coach Tarek. "Das Kleinfeld im Camp können wir uns nur einmal die Woche leisten, eine Stunde für das Kinderteam, eine weitere Stunde für das Männerteam. Wir spielen dann mit fünf Feldspielern und einem Torwart gegeneinander", sagt er, und fügt seufzend hinzu: "Es ist so teuer." Das Feld wird von der Stadt verwaltet, sie erhebt die Gebühren. "Das ist der Libanon", zuckt er mit den Schultern.

Absurd ist die Sache schon. NGOs finanzieren Sportevents für Kinder und Jugendliche in den Camps. Das schmucke Kleinfeld hingegen wird durch eine Bezahlschranke abgeschirmt. Die unweit gelegene Förderschule der syrischen NGO "Basmeh & Zeitooneh" - 700 Kinder werden in zwei Schichten unterrichtet, es gibt 3000 Anmeldungen - hat auf dem Dachgeschoss des angemieteten Schulhauses einen Mini-Sportplatz eingerichtet, weil auch für sie der Sportplatz um die Ecke viel zu teuer ist.

Flutlicht auf allen Plätzen

Immerhin wissen sich die Alt-Bewohner des Camps und auch die Neuankömmlinge selbst zu helfen. Jeden Sonntag können sie das Großfeld gegenüber dem Lager für ihre "League of the Camps" nutzen. "Der Platz ist kostenfrei. Und mit den Libanesen einigen wir uns gut", sagt Tarek. Ein knappes Dutzend Kleinfelder gibt es hier neben dem großen Rasen. Alle Plätze haben Flutlicht. Libanesische Freizeitteams und Flüchtlinge aus Asien und Afrika spielen hier miteinander. Täglich tragen sie eine "Mini-WM" aus: Es wimmelt es auf den Plätzen von Messis, Ronaldos und Neymars, sogar das eine oder andere Schweinsteiger-Trikot ist dabei.

Trainer Tarek aus dem Flüchtlingslager Chatila
Die kleinen Kicker sehen zu Trainer Tarek aufBild: DW/T. Mustroph

Bei der palästinensisch-syrischen Lagermeisterschaft herrscht eine andere Kleiderordnung. Jedes Team hat seine eigenen Trikots. Das schafft Zusammenhalt und Zugehörigkeit. Fast ehrfürchtig berühren die Kids des Nachwuchsteams von Karmel die vereinseigenen Trikots und streifen achtlos ihre Messi-, Neymar-, CR7-Textilien ab: Alltagskleidung, Massenware eben. Was ist schon der FC Barcelona gegen Karmel 1969 Chatila?