Fußballfans als Kreditgeber
Bei Fußballclubs steht heutzutage nicht mehr nur der Sport allein im Mittelpunkt. Sie wollen und müssen auch Geld verdienen. Eine Möglichkeit ist, sich Geld von den Fans zu leihen: über sogenannte Fananleihen.
In der Saison 2016/2017 wechselte Leroy Sané vom FC Schalke 04 zu Manchester City. Der englische Club zahlte für ihn rund 50 Millionen Euro. Auch der deutsche Weltklassetorwart Manuel Neuer wechselte 2011 den Club: Bayern München zahlte für den damals bei Schalke 04 verpflichteten Spieler 27,5 Millionen Euro. Wenn Fußballclubs neue Spieler verpflichten, also einen Vertrag mit ihnen abschließen, setzt das voraus, dass sie ausreichend Finanzmittel dafür haben. Nach Angaben der Deutschen Fußballliga machten die 18 Clubs der 1. Fußballliga in der Saison 2014/2015 mehr als 2,6 Milliarden Euro Umsatz, sieben Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Längst sind Fußballclubs in Deutschland und in anderen europäischen Staaten mit mittelständischen Wirtschaftsunternehmen gleichzusetzen. Umsatz zu machen ist nach Ansicht von Börsenmakler Oliver Roth, der früher selbst Fußballprofi war, für Fußballclubs nicht immer einfach:
„Sie haben ja in der Regel, wenn sie groß sind, zumindest mal drei Standbeine, was die Einnahmeseite angeht: Sie haben TV-Einnahmen, Merchandising-Einnahmen und sie haben Zuschauereinnahmen. Wenn aber der sportliche Erfolg auf sich warten lässt, dann reduziert sich alles – und zwar relativ schnell innerhalb weniger Monate.“
Drei Einnahmequellen, Standbeine, haben große Vereine, also solche, die in der 1. Fußballliga spielen, zur Verfügung: Sie verkaufen an öffentliche und private Fernsehsender die Rechte für die Übertragung von Spielen, sie betreiben Merchandising, verkaufen also Fanartikel. Die dritte Einnahmequelle ist der Verkauf von Karten für Spiele. Aber wo bekommen die Vereine Geld her, wenn es auf dem Spielfeld mal nicht so gut läuft? Schließlich bleiben die „laufenden Kosten“, die ständigen Ausgaben, etwa für Gehälter, den Spielbetrieb oder die Verwaltung gleich hoch. Gerade in den Jahren von 2010 bis 2013 machte eine ganze Reihe von Vereinen Gebrauch von der starken Verbundenheit ihrer Fans, darunter auch der 1. FC Köln. Er ließ sich etwas Besonderes einfallen:
„Jede Liebe findet irgendwann ihren Anfang. Eine erfüllte Liebe besteht aus vielen kostbaren Augenblicken. […] Es ist nun an der Zeit, gemeinsam den nächsten Schritt zu tun, in Treue und Vertrauen auf die alte Liebe, eine Liebe, die sich verzinst: die Fananleihe des 1. FC Köln. Jetzt zeichnen unter FC-Anleihe.de.“
So hieß es in einem Video, mit dem der 1. FC Köln im Internet seine Fananleihe bewarb. Die Fans werden gebeten, die Anleihe zu zeichnen, sie zu unterschreiben und zu erwerben. Eine Anleihe ist so etwas wie ein Kredit: Der Fußballverein leiht sich also bei den Fans Geld. Er verkauft seine Anleihen zu einem bestimmten Betrag; der Fan, der zeichnet, erklärt sich bereit, dem Verein diesen Betrag zu leihen. Eine Anleihe ist nicht vergleichbar mit einer Aktie. Bei einer Aktie erwirbt der Aktionär praktisch ein kleines Stück Fußballverein. Das ist beispielsweise bei Borussia Dortmund möglich.
Der Herausgeber, in der Fachsprache der „Emittent“ der Anleihe, verpflichtet sich gegenüber dem Gläubiger, dem Fan, das geliehene Geld innerhalb eines bestimmten Zeitraumes mit Zinsen wieder zurückzuzahlen. Der Fan sollte also mehr als den geliehenen Betrag zurückbekommen. Für sein Investment erhält er ein Zertifikat, eine Schuldverschreibung in Form einer Urkunde. Ein derartiges Zertifikat ihres Lieblingsvereins HSV hat auch die Studentin Valeria in ihrem Zimmer hängen:
„Weil mein Vater mir vor ‘n paar Jahren mal so ‘n Anleihenset zu Weihnachten geschenkt hat. Er hat es eindeutig als Fanartikel gemacht. Er kennt sich zwar auch wirtschaftlich aus, aber er meinte tatsächlich: ‚Ja, ihr müsst die Zinsen ja dann auch nicht abholen. Das geht ja alles an unseren Verein und da muss man ja mal ‘n bisschen mithelfen‘.“
Nicht jeder Fan, der Anleihen gezeichnet hat, besteht auf der Rückzahlung inklusive Zinsen. Er holt den Zinsbetrag nicht ab. Dieser Betrag bleibt dann beim Verein. Börsenmakler Oliver Roth meint, dass Fußballanleihen für Fans – mit einer kleinen Einschränkung – eine gute Sache sein können:
„Wenn man einem Verein etwas Gutes tun will und ‘n bisschen darauf hofft, dass man damit vielleicht sogar noch ‘n bisschen Geschäft machen kann, dann kann man gerne einem Verein sein Geld leihen, wenn’s ein überschaubarer Betrag ist.“
Solange es sich nicht um hohe Summen handelt, der geliehene Betrag überschaubar ist, und man noch ein kleines Geschäft damit machen kann, also mehr als den geliehenen Betrag herausbekommt, kann ein Fan seinem Lieblingsverein Geld ohne Risiko leihen. Auf den ersten Blick, so scheint es, sind Fananleihen eine lukrative, einträgliche, Geldanlagemöglichkeit. Schließlich werfen sie oft eine Rendite, einen Gewinn, zwischen fünf und sieben Prozent ab. Eine hohe Rendite ist aber auch ein Signal dafür, dass das Risiko für einen Zahlungsausfall seitens des Vereins hoch ist, denn die Rendite muss auch erwirtschaftet werden. Fußballclubs nutzen dann gerne die Liebe ihrer Fans, den emotionalen Bezug, zum Verein aus, meint Börsenmakler Oliver Roth:
„Da neigt der Verein dann schon mal [dazu], zu sagen: ‚Du Fan, drück mal ‘n Auge zu, wir können’s momentan nicht zurückzahlen. Wir würden’s gern lieber in Spieler A oder Spieler B investieren. Die Zahlungsmoral ist da schlicht und ergreifend nicht wirklich groß. Und auch ‘n emotionaler Bezug ist hier oft gegeben, und das wird dann auch mitunter eben ausgenutzt.“
Gerät ein Verein finanziell in Schieflage, geht es ihm also finanziell nicht gut, und hat er Anleihen ausgegeben, setzt er darauf, dass die wahren Fans auch mal ein Auge zudrücken, es nicht so schlimm finden, wenn das geliehene Geld nicht zurückgezahlt wird. Die Einstellung, das Geld zurückzahlen zu müssen, ist nicht wirklich vorhanden, oder wie es der Börsenmakler formuliert: Die Zahlungsmoral ist schlicht und ergreifend, ohne Zweifel, schlecht. Bei geringen Beträgen stellt das für den Fan kein so großes Problem dar. Er könnte es verschmerzen. Es gibt allerdings auch Fußballanleihen von Clubs, bei denen es um sehr viel Geld geht, manchmal sogar mehrere Millionen Euro. Hier zielen die Clubs dann auf andere Anleger und verhalten sich auch anders, so Oliver Roth:
„Die geben wirklich ‘ne Anleihe raus, dann versprechen sie eben auch ein gewisses Maß an Zinsen. Das zahlen sie auch. Das sind eben nicht Fans normalerweise, die Investoren, sondern schon institutionelle Anleger.“
Mitte 2012 sammelte Schalke 04 beispielsweise bei institutionellen Anlegern über eine Anleihe zunächst 35 Millionen Euro ein. Etwa ein Jahr später wurde die Anleihe dann noch mal um 15 Millionen Euro aufgestockt, der Betrag erhöht. Zu institutionellen Anlegern zählen etwa Banken, Versicherungen, aber auch Unternehmen, die über Wertpapieranlagen beispielsweise die betriebliche Altersversorgung absichern. Fananleihen im ursprünglichen Sinn aber sind nur etwas für waschechte, richtige, Fans, die nicht das große Geld machen, sondern ihren Verein unterstützen wollen.