1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Fußballmatch in Korea - Mehr als nur ein Spiel

Fabian Kretschmer aus Korea
30. Oktober 2018

Die erfolgreichste Sportdiplomatie der Gegenwart nahm ihren Ursprung am Rande eines Turniers. Eine Reportage vom innerkoreanischen U15-Fussballderby von Fabian Kretschmer.

https://p.dw.com/p/37N77
Fußball-Freundschaftsspiel zwischen Nord- und Südkorea
Bild: DW/F. Kretschmer

Es ist ein sonnendurchfluteter Herbstnachmittag im Fußballstadion der südkoreanischen Provinzhauptstadt Chuncheon, als der Schiedsrichter das innerkoreanische U15-Derby anpfeift. Elf Spieler des Sportclub "25. April", eines Jugendvereins des nordkoreanischen Militärs, treffen auf die Jugendauswahl der südkoreanischen Provinz Gangwon. Auf den gut gefüllten Tribünen schwenken die Zuschauer die Vereinigungsflagge. Sie zeigt die gesamte koreanische Halbinsel auf weißem Grund. Unabhängig vom Ergebnis wird es an diesem Montag (29.10.2018) also nur einen Sieger geben.

Das Auftaktspiel des diesjährigen Ari-Jugendfußballturniers für junge Mannschaften aus Asien ist sportlich von untergeordneter Bedeutung. Aber es ist die Fortsetzung der entscheidenden (sport)diplomatischen Annäherung von Nord- und Südkorea. Vor einem Jahr wäre es noch undenkbar gewesen, dass Nordkoreaner gegen Südkoreaner in einem Fußballspiel gegeneinander antreten.

Von Kriegsstimmung zur Friedensolympiade

Den Strippenzieher, der das möglich gemacht hat, hat die DW nur wenige Stunden vor Anpfiff in einem örtlichen Restaurant getroffen. Bei gegrilltem Fisch, Rippchen und milchig-weißem Reiswein erzählt Choi Moon Soon seine bislang wenig bekannte Geschichte.

Choi, Gouverneur der bergigen Gangwon-Provinz im Osten der Halbinsel, ist ein volksnaher Politiker mit jovialem Gestus. Wenn er lacht - und das tut er herzlich und oft -, dann zeichnen sich tiefe Lachfalten auf seinen Wangen ab. "Noch im letzten Jahr dachten viele, dass bald der Krieg in Korea ausbricht. Die Lage war mehr als angespannt. Ich war trotzdem davon überzeugt, dass wir abseits der Politik durch gemeinsame Sportveranstaltungen den Kontakt mit Nordkorea halten müssen", sagt Choi im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Dabei hatten die beiden Nachbarstaaten während des Höhepunkt der Nuklearkrise sämtliche diplomatischen Gesprächskanäle gekappt: Die gemeinsame Sonderwirtschaftszone in Kaesong war längst geschlossen, humanitäre Hilfsprojekte lagen auf Eis, und an einen Kulturaustausch war gar nicht zu denken.

Fußball-Freundschaftsspiel zwischen Nord- und Südkorea  (DW/F. Kretschmer)
Zweikämpfe nur auf dem PlatzBild: Gangwon Provinz

Trotz aller Widerstände machte sich Gouverneur Choi im Dezember 2017 auf den Weg nach Kunming in China. Dort wurde das Ari-Fußballturnier des Jahres 2017 ausgetragen, mit Sponsorengeldern aus Südkorea und lokalen Teams aus Usbekistan, Vietnam, Weißrussland und Nordkorea.

Choi überreichte damals fernab der Öffentlichkeit dem Cheftrainer des Sportclub "25. April", Moon Ung, eine Einladung an Machthaber Kim Jong Un, an den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang teilzunehmen. Eine Handlung mit weitreichenden Folgen: Nur zwei Wochen später sagte Kim während seiner Neujahrsansprache zu, nordkoreanische Athleten in den Süden zu schicken. Nicht zum Ari-Turnier, sondern zu den Winterspielen.

Die Spiele in Pyeongchang lösten schließlich eine innerkoreanische Annäherung aus, wie es die beiden, offiziell noch immer im Krieg befindlichen Nachbarstaaten bislang noch nicht erlebt haben: Innerhalb weniger Monate hielten beide Staaten drei Gipfeltreffen ab, ein viertes soll noch in diesem Jahr folgen. Zudem haben beide Seiten mit der Minenräumung ihrer Landesgrenze begonnen und wollen noch innerhalb diesen Jahres ein innerkoreanisches Eisenbahnnetz instand setzen.

K-Pop für die nordkoreanischen Teenager

Die Initiative war nicht nur politisch, sondern auch sportlich erfolgreich. Heute spielen Koreaner aus beiden Teilen gegeneinander. Im Stadion von Chuncheon sorgt in diesem Jahr eine K-Pop Girlgroup während der Halbzeit mit Hotpants und Luftgitarren für Stimmung. Der 16-jährige Han Song Min - Baseballcap, Daunenjacke und runde Nickelbrille - schaut vom Oberrang auf das Spektakel. "Ich bin heute gekommen, um meinen Klassenkameraden auf dem Feld anzufeuern", sagt der Oberschüler aus dem Süden. Leider liegt sein Team mit 0:1 hinten - die körperlich überlegenen Nordkoreaner sind bereits in Führung gegangen.

Choi Moon Soon, Governeur der südkoreanischen Provinz Gangwon
Choi Moon Soon, Gouverneur der südkoreanischen Provinz Gangwon und Initiator der SportdiplomatieBild: DW/F. Kretschmer

Ob er es gut findet, dass heute seine Altersgenossen aus Nordkorea angereist sind? "Ich denke, solche Veranstaltungen führen dazu, dass sich die Beziehungen unserer Länder verbessern. Das wird letztlich dabei helfen, dass wir uns eines Tages wiedervereinigen", sagt Schüler Han ein wenig einstudiert.

Gemischte Gefühle

Die 84-jährige Yun Bok-su drei Reihen weiter blickt pessimistisch auf die jüngste Annäherung mit dem Norden: "Mir scheint der jetzige Kurs der Regierung überhastet. Ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll." Das Regime in Pjöngjang hat tiefe Narben in ihrer Familiengeschichte hinterlassen: Yuns Eltern lebten während der Kriegswirren der 1950er Jahre im nördlichen Teil der Halbinsel. Seither hat sie ihre Eltern nie mehr wiedergesehen.

Fußball-Freundschaftsspiel zwischen Nord- und Südkorea
Gäste aus NordkoreaBild: DW/F. Kretschmer

Laut den jüngsten Umfragen hat sich die Wahrnehmung Nordkoreas innerhalb der letzten Monate zwar immens verbessert, doch vor allem bei den Südkoreanern unter 20 ist die Bereitschaft für eine Wiedervereinigung mit zuletzt 20 Prozent auf einen historischen Tiefststand gesunken - vor allem aufgrund der befürchteten wirtschaftlichen Kosten.

Die südkoreanische Regierung mag deshalb kaum von Wiedervereinigung sprechen. Zu drastisch haben sich die beiden Länder in den letzten 70 Jahren auseinanderentwickelt. Doch gemeinsame Sportveranstaltungen wie das Ari-Turnier sind für Seoul ein wichtiger Stützpfeiler, um einen nachhaltigen Frieden auf der koreanischen Halbinsel aufzubauen.

Nordkorea Kim Jong Un und Moon Jae In auf dem Gipfel des Mt. Paektu
Südkoreas Präsident Moon Jae In und der nordkoreanische Dikatator Kim Jong Un auf dem Gipfel des Paektu im September 2018. Bilder, die die Sportdiplomatie möglich gemacht habenBild: Reuters/Pyeongyang Press Corps

Gouverneur Choi Moon Soon versucht in diesem Sinne, politisch heikle Fragen herauszuhalten und setzt weiter auf Sportdiplomatie. Seine Vision: Das nächste Ari-Fußballturnier soll im nordkoreanischen Wonsan stattfinden. Dort hat das Regime zuletzt einen Flughafen, Appartmentkomplexe und einen Golfplatz errichtet. "Wonsan könnte einmal das Symbol für die wirtschaftliche Öffnung des Landes werden, wie es Shenzhen in China ist", sagt er. Ebenfalls möchte Choi nordkoreanische Boxer auf den US-Markt vermitteln.

"Ich habe Kim Jong Un bereits zweimal getroffen und bin mir sicher, dass er mit den westlichen Werten vertraut ist. Nicht zuletzt weil er seine Schulbildung in der Schweiz genossen hat", sagt Choi. Er glaubt an einen sich vollziehenden Wandel in Nordkorea: Die berüchtigten Anti-US-Propaganda-Poster seien erstmals seit Ende des Koreakriegs aus dem Stadtbild von Pjöngjang verschwunden, der Führerkult um Kim Jong Un sei deutlich abgemildert und ausländische Touristen könnten sich freier in den Straßen bewegen.

Doch mit einem totalitären Diktator anstoßen und freundschaftliche Beziehungen pflegen? "Ich glaube, wir müssen die längerfristige Perspektive sehen: Unser Ziel ist es doch, dass die 25 Millionen Nordkoreaner eines Tages in den Genuss von Demokratie und freier Wirtschaft kommen."

Gelöste Atmosphäre am Spielfeld

Weitgehend unbelastet ist auch die Atmosphäre auf dem Spielfeld in Chuncheon. Die nordkoreanischen Jugendlichen siegen 3:1. Einige kommen bereitwillig zu den Reportern für Interviews. Ihre Trainer halten sich dezent im Hintergrund.

Torschütze Cho Jeon Ryong, noch sichtlich außer Puste, sagt, dass er die vielen Ballverluste in der zweiten Hälfte bedaure, doch die Mannschaft sei einfach "zu nervös" gewesen. Ob er sich freue, durch den Sport einmal nach Südkorea zu kommen? "Und ob! Auf dem kurzen Weg hierhin habe ich erst realisiert, wie nah wir überhaupt beieinander liegen."