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Fußballfieber im Gotteshaus

Tatiana Petrenko21. Juni 2006

Fußball vereint, deshalb schauen viele Fußball-Begeisterte die WM-Spiele in Kneipen und auf Fan-Meilen. Für familienfreundliches Public-Viewing geht man dagegen in die Kirche.

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Friedlicher können Fußball-Freunde wohl kaum sein als in der Kölner JohanneskircheBild: DW/Tatiana Petrenko

Der kleine Nicolas sitzt am Stuhlrand mit ausgestrecktem Hals. Er will den entscheidenden Moment nicht versäumen: wenn sein Held auf dem Fußballfeld erscheint. Plötzlich leuchten Nikolas' Augen auf: "Ballack!" Michael Ballack ist der beste Spieler der deutschen Mannschaft – davon ist der Junge fest überzeugt. Warum? "Weil er der Kapitän ist", erklärt Nicolas.

Public-Viewing in einer Kirche
Gespräche über Fußball in ungewöhnlicher Umgebung - und in aller RuheBild: DW/Tatiana Petrenko

Das Spiel Deutschland gegen Ecuador verfolgen Nicolas und sein Vater auf einer Großleinwand. Die Leinwand befindet sich weder in einer Kneipe noch auf einer Fan-Meile. Sie steht in einer Kirche.

Religion und Fußball haben viel gemeinsam

Die Johanneskirche in Köln-Brück ist einer der mehr als 20 evangelischen Kirchen im Raum Köln-Bonn, die sich für die Zeit der WM in Public-Viewing-Orte verwandelt haben. Die Kirche steht offen nicht nur für Gemeindemitglieder, sondern für alle Fans, die Fußballfieber in einem Gotteshaus miterleben möchten.

"Eine Fußballweltmeisterschaft findet in Deutschland einmal in 30 Jahren statt. Die Kirche konnte so ein Event nicht ignorieren", erklärt Pfarrer Martin Garbisch. "Ein Fußballturnier ist ein Fest, jedes Spiel ist mit einer Menge Emotionen verbunden, manchmal sogar mit Euphorie. Wir möchten, dass Gemeindemitglieder solche großen Ereignisse zusammen erleben."

Außerdem hätten Fußball und Religion viel gemeinsam. "Zum Beispiel, viele Jugendliche vergöttern ihre Lieblingsspieler", sagt der Pfarrer. "David Odonkor wird seit dem Deutschland-Polen Spiel sogar Flankengott genannt."

Nicht nur für Familien

Die Initiative kam bei den Gemeindemitgliedern gut an. Rund 100 Menschen besuchten die Johanneskirche am Tag des Eröffnungsspiels. Zum Spiel Deutschland gegen Ecuador erschienen sogar noch mehr Besucher. "Wir haben mit so einem Publikumsandrang nicht gerechnet, weil das Spiel heute noch vor dem Feierabend anfängt", wundert sich Garbisch.

Den 37-jährigen Steffan hat ein Freund in die Kirche mitgebracht. "Ich bin aus Neugier gekommen. Ein Kumpel hat mir erzählt, in Johanneskirche gebe es Public Viewing. Ich dachte mir: interessant!" sagt Steffan. "Ich habe die Spiele bereits an vielen Orten geguckt – im Stadion, in einer Kneipe, am Heumarkt in Köln. Aber eine Kirche ist 'was Besonderes."

Public-Viewing in einer Kirche
Damit auch die Kleinsten etwas sehen können, sitzen sie in der ersten ReiheBild: DW/Tatiana Petrenko

Nicole ist schon zum zweiten Mal hier. Wie viele andere Gäste, hat sie ihr Kind mitgebracht. "Mein Mann ist Polizist, er muss während der WM fast jeden Tag arbeiten", erzählt Nicole. "Er hat keine Zeit, mit unserem Sonn Fußball zu gucken. Ich habe keine Lust, mit dem Kind in eine Kneipe oder auf eine überfüllte Fan-Meile zu gehen. In einer Kirche fühle ich mich sicher, und die Kinder haben ihren Spaß."

Tatsächlich haben sich zwei Duzend Kinder vor der Leinwand breit gemacht. Sie verfolgen das Geschehen mit weit geöffneten Augen, kauen Würstchen und Brezeln. Der jüngste Fan ist gerade mal ein Jahr alt geworden.

Deutschland braucht einen Sieg

Das Spiel gegen Ecuador hielten die meisten Zuschauer für äußerst wichtig, obwohl die beiden Gegner es bereits ins Achtelfinale geschafft haben. "Wenn Deutschland verliert, muss es in der nächsten Runde gegen England spielen – eine starke Mannschaft", erklärte Steffan kurz vor dem Anpfiff. "Außerdem wird das Ergebnis für die Stimmung innerhalb der Mannschaft sehr wichtig sein."

Weniger Übereinstimmung gab es zu den Prognosen für das Spiel: vom optimistischen 0:4 bis zur Niederlage. "Ich habe mir alle Spiele mit Ecuador angeschaut, und kann Ihnen sagen: sie haben nicht durch Zufall gesiegt", meint der 12-jährige Johannes.

Sieg für Optimisten

Am Ende siegten diesem Spiel die Deutschen – und die Optimisten, wie die 7-jährige Arnika. Sie hat sogar das Endergebnis richtig getippt: 0:3. Allerdings war dies ihre zweite Prognose. Ursprünglich hatte sie ihrer Mannschaft einen 0:10 Sieg prophezeit, aber "die Erwachsenen haben gelacht".

Von dem Sieg sind allerdings nicht alle Gäste begeistert. "Gegen Ecuador gewinnen – das ist kein großes Verdienst", - meint ein Zuschauer. "Die sind doch Fußballzwerge, sogar ein Amateurclub könnte sie besiegen".

Steffan teilt die Kritik seines Kumpels nicht: Mit dem Auftritt der Deutschen ist er zufrieden. "Unsere Mannschaft hat gewonnen, weil sie reibungslos gespielt haben. Sie besaßen den Ball oft, attackierten ständig. Es gibt nichts einzuwenden", sagt er. "Ecuador ist ein starker Gegner, das haben die vorherigen Spiele demonstriert."