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Literatur

Friedenspreis für Amartya Sen

18. Oktober 2020

Wie kann die Welt sozial gerechter werden? Für seine globalen Theorien wurde der indische Armutsforscher Amartya Sen in der Frankfurter Paulskirche geehrt.

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Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2020 | Amartya Sen
Bild: Arne Dedert/dpa/picture-alliance

Amartya Sen im DW-Interview: "Ich bin um den Säkularismus in Indien besorgt" (engl.)

"Die Hallen der Buchmesse verwaist, die Reihen in der Frankfurter Paulskirche spärlich besetzt, der Preisträger auf einem anderen Kontinent. Das sind wahrlich ungewöhnliche Zeiten", verlas der Schauspieler Burkhard Klaußner beim Festakt in Frankfurt die ersten Worte der vorbereiteten Rede des Bundespräsidenten. 

Frank-Walter Steinmeier konnte nicht persönlich in der Paulskirche sprechen. Das deutsche Staatsoberhaupt musste sich wegen der akuten Corona-Infektion eines seiner Personenschützer in Quarantäne begeben. 

Der diesjährige Preisträger des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der Inder Amartya Sen (86), war per Livestream aus Boston/USA zugeschaltet, wo er seit vielen Jahren an verschiedenen Universitäten lehrt und forscht.

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2020 | Amartya Sen
Nur wenige geladene Gäste lauschten in der Paulskirche dem aus den USA zugeschalteten Preisträger Amartya SenBild: Arne Dedert/dpa/picture-alliance

Festakt in der Paulskirche im Corona-Modus

Bundespräsident Steinmeier bezeichnete in der verlesenen Ansprache den Wirtschaftsphilosophen als "Weltbürger" und "moralische Instanz", er sei "wie kein anderer verbunden mit der Idee der globalen Gerechtigkeit". Aber sein Werk bleibe nicht akademisch. Er wolle die Welt nicht nur begreifen, er wolle sie verändern. "Und Amartya Sen hat sie verändert", lobte Steinmeier. "Er schreibt gegen die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten dieser Welt." 

Die zum Teil sehr politische Rede schloss mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für die Demokratie. Sie sei die bestmögliche Staatsform, so Steinmeier, aber sie müsse auch politische Antworten finden für die großen Fragen dieser Zeit: für die Coronakrise ebenso wie für die lebensbedrohliche Klimakrise und alltägliche Diskriminierungen: "Stellen wir uns dieser Verantwortung", so sein Appell am Ende.

Vordenker in einer globalisierten Welt

Preisträger Amartya Sen lauschte den Lobesworten in Deutschland ernst und konzentriert. In seiner Wahlheimat Boston war es vier Uhr früh. Das sei nicht seine Zeit, wie er in Interviews gern lachend erzählt, da ginge er normalerweise erst ins Bett - nach einem arbeitsreichen Tag. 

Geboren wurde Amartya Sen am 3. November 1933 im indischen Shantiniketan in Westbengalen. Er wuchs auf einem Universitäts-Campus auf, war durch die wissenschaftliche Arbeit seiner Eltern früh mit einer philosophischen und politischen Gedankenwelt vertraut.

Nach dem Ökonomie-Studium in Kalkutta ging er in die USA, um dort weiter Philosophie und Weltwirtschaft zu studieren. Schon seit den 1960er-Jahren arbeitete Sen an zahlreichen renommierten Hochschulen, darunter Delhi, Stanford, Berkeley, Oxford und Cambridge. Er gehört heute zu den renommiertesten Forscher auf seinem Gebiet.

Amartya Kumar Sen schaut zur Seite
Philosoph und Ökonom Amartya Sen: Ein Pionier der globalen ArmutsforschungBild: picture-alliance/AP Photo/G. Ertl

Seit 2004 lehrt und forscht der indische Ökonom und Philosoph als Professor an der renommierten Harvard Universität in Cambridge/USA. Die Arbeit mit den jungen Studenten erfülle ihn sehr, sagt er. Sie seien seine besten Lehrmeister - mit ihren politischen Ansichten und Ideen für die Welt von heute. Das mache ihn in seinem hohen Alter glücklich. 

Auch die weltweite Corona-Pandemie zwinge alle Menschen, Politiker und auch Forscher wie ihn, vieles neu zu denken. Der Gedanke "nicht, was ist gut für mich, sondern was ist gut für den anderen" sollte unsere Entscheidungen leiten. Es brauche einen neuen Einfallsreichtum im Umgang mit anderen Menschen - und auch mit Krisen. "Wir sollten unser Leben in einem größeren, globalen Zusammenhang sehen", so seine mahnenden Worte.

Nobelpreis als Ansporn und Verantwortung

1998 bekam Amartya Sen für seine innovativen Forschungen zur Wohlfahrtsökonomik von Entwicklungsländern den Nobelpreis für Wirtschaft. 2020 entschied sich der Stiftungsrat des Friedenspreises des deutschen Buchhandels für Sen: Er stelle nach wie vor das Wohlergehen der Menschen als Grundvoraussetzung für Frieden ins Zentrum seines Denkens.

Zu Sens wichtigsten Forderungen zähle es, "gesellschaftlichen Wohlstand nicht allein am Wirtschaftswachstum zu messen, sondern immer auch an den Entwicklungsmöglichkeiten gerade für die Schwächsten", so Karin Schmidt-Friderichs, Verlegerin und Vorsteherin des Börsenvereins, in ihrer Laudatio auf den Preisträger in der Paulskirche. "Sein inspirierendes Werk ist Aufruf dazu, eine Kultur politischer Entscheidungen zu fördern, die von der Verantwortung für andere getragen ist und niemandem das Recht auf Mitsprache und Selbstbestimmung verwehrt", hieß es in der Jurybegründung weiter. 

Auch der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldman (SPD) würdigte in seinen Begrüßungsworten die Wirkung von Amartya Sens globalen Forschungen: "Ihnen hören die Menschen zu. Und das verstärkt in einer Zeit, in der die Lebensweise der Menschheit in die Krise geraten ist."

Nobelpreisträger  Amartya Sen mit Brille und Stift in der Hand
Klarer Denker und gefragter Wirtschaftsexperte: Nobelpreisträger Amartya Sen (2012)Bild: Matthew Lloyd/Getty Images for ReSource 2012/Getty Images

Die weltweit viel beachtete Auszeichnung ist mit 25.000 Euro dotiert. Geehrt werden jedes Jahr internationale Persönlichkeiten, die in Literatur, Wissenschaft oder Kunst international zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen haben. Der Stiftungsrat des Friedenspreises, eine unabhängige Jury, wählt alljährlich den Preisträger aus eingesandten Vorschlägen aus. Seit 1950 vergibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels den renommierten Preis.

2019 war in Frankfurt der brasilianische Fotograf und Umweltschützer Sebastiao Salgado damit für seine nachhaltige Arbeit ausgezeichnet worden. Auch der Historiker Fritz Stern, der Philosoph Jürgen Habermas und die Geisteswissenschaftler Aleida und Jan Assman wurden mit dem Preis bereits geehrt.