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Freigelassener Oppositioneller warnt vor Lukaschenko

Galina Petrowskaja / js24. August 2015

Der weißrussische Oppositionspolitiker Nikolai Statkewitsch wurde vorzeitig aus der Haft entlassen. Im DW-Interview spricht er über die Motive des Präsidenten Lukaschenko und die Situation im Land vor der Wahl.

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Der Ex-Präsidentschaftskandidat Nikolai Statkewitsch. (Foto: privat)
Bild: privat

DW: Was sind Ihre ersten Eindrücke in der Freiheit, wie fühlen Sie sich?

Nikolai Statkewitsch: Ich fühle mich ganz ok. Als sie mir im Gefängnis zuletzt den Blutdruck gemessen haben, lag er bei 120 zu 80, wie bei einem Astronauten. Aber bisher hatte ich noch keine Möglichkeit, einmal innezuhalten, in den Himmel zu schauen. Ich bin gerade mitten im Prozess der Rückkehr. Ich fühle mich noch nicht ganz frei, weil das alles so schnell passiert ist.

Lukaschenko hat sechs politische Gefangene auf einmal freigelassen, ohne dass zum Beispiel Sie ein Gnadengesuch eingereicht hätten. Wie erklären Sie sich das?

Ganz einfach, eine Diktatur handelt meistens aus dem Motiv des Geldmangels. Nun täuscht die weißrussische Führung eine Liberalisierung vor, um finanzielle Mittel aus dem Westen zu erhalten, obwohl eine Liberalisierung und Reformen unter so einem Regime nicht möglich sind. Denn sie würden das Regime zu Fall bringen. Jetzt wurden zwar sechs Gefangene freigelassen, aber andere sind schon wieder hiner Gittern.

Darüber hinaus hat das Regime, das derzeit mit dem Westen liebäugelt, eine realistische Chance, finanzielle Mittel von Moskau zu erpressen. Denn Russland könnte vor einer möglichen Annäherung zwischen Weißrussland und dem Westen zurückschrecken.

Eine Wahlkampagne von Lukaschenko in Minsk. (Foto: DW)
Lukaschenkos Wahlkampf-Plakate in der weißrussischen Hauptstadt MinskBild: DW/E. Daneyko

Die weißrussische Opposition hat im Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl 2015 keine Gesamtstrategie. Haben Sie einen konkreten Aktionsplan, wie sich die Regierungsgegner bei den Wahlen am 11. Oktober verhalten sollten?

Ich habe schon im vergangenen Jahr vorgeschlagen, eine geeinte Opposition zu bilden. Der Vorschlag ist nicht durchgekommen, die Opposition hat sich nicht zusammengeschlossen und jetzt wurde sie in eine Sackgasse getrieben, wo es für sie keine vernünftige Strategie mehr geben kann.

Jetzt Gegenkandidaten zu unterstützen, würde nur dazu führen, dass sie letztendlich Alexander Lukaschenko zu seinem Sieg gratulieren müssten. Denn das Ergebnis steht eigentlich schon vor der Wahl fest. Die Wahlen zu boykottieren wäre aber auch nicht sinnvoll. Nachdem zwei Oppositionsführer nicht in der Lage waren, 100.000 Unterzeichner zu finden, die notwendig sind, um sich als Präsidentschaftskandidat registrieren zu lassen, würde dieser Boykott als Haltung der Schwächlinge interpretiert werden.

Darüber hinaus muss man berücksichtigen, dass viele Leute so oder so nicht zu den Wahlen gehen wollen. Und ohne die oppositionell eingestellten Wähler wird es ein einstimmiges Ergebnis für den einen Kandidaten (Anm. d. Red.: Präsident Lukaschenko) geben.

Die Opposition sollte verstehen, dass es bei dieser Wahl nicht um einen möglichen Machtwechsel geht. Wir dürfen eine Legitimierung dieses Regimes durch den Westen nicht zulassen, auch wenn Minsk hofft, das mithilfe von mehreren "Schein-Kandidaten" zu erreichen. Ich werde versuchen, diese Lage mit anderen Oppositionspolitikern zu diskutieren.

Warum ist es so wichtig, das Regime als aus westlicher Sicht nicht legitimiert darzustellen?

Das Risiko, dass Weißrussland seine Souveränität verliert, war nie größer, weil die Politik der letzten 20 Jahre zu einem Verzicht auf Unabhängigkeit zugunsten von russischen Interessen führte. Für seinen eigenen Schutz ist Lukaschenko bereit, alles zu tun. Und als legitimierter Präsident kann er erreichen, dass das zum Gesetz wird.

Vor der Freilassung der politischen Gefangenen gab es zwischen Minsk und der Europäischen Union eine Art von Übereinkunft: Die weißrussische Regierung zeigte eine für den Westen akzeptable, neutrale Haltung zur Situation in der Ukraine. Trotzdem erwiderte der Westen, dass es keine Annäherung geben könnte, solange ein ehemaliger Präsidentschaftskandidat und andere politische Gefangene noch in Haft sind. Die Hauptsache ist jetzt aber, dass westliche Politiker eines verstehen: Es wäre falsch, in Lukaschenko einen Verteidiger der Unabhängigkeit Weißrusslands zu sehen. Er braucht die westlichen Gelder nicht für Reformen - sondern, um diese beiseite zu schaffen.

Der weißrussische Oppositionspolitiker und ehemalige Präsidentschaftskandidat Nikolai Statkewitsch wurde im Dezember 2010 festgenommen und im Mai 2011 in einem international kritisierten Prozess zu sechs Jahren Lagerhaft verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, am Tag der Präsidentschaftswahl Massenunruhen in Minsk gegen Lukaschenkos Wiederwahl organisiert zu haben. Statkewitsch wurde am 22. August zusammen mit fünf anderen politischen Gefangenen vorzeitig aus der Haft entlassen.

Das Interview führte Galina Petrowskaja.