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Frankreich: Wirtschaft gegen Rechts

8. Dezember 2015

Viele Franzosen haben rechts gewählt. Der Erfolg des Front National hat auch ökonomische Ursachen. Daher fordern Wirtschaftsvertreter nun Maßnahmen, um die Wirtschaft zu stärken und damit die Rechten zu schwächen.

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Frankreich Regionalwahlen Unterstützer des Front National
Bild: Getty Images/P. Aventurier

Der in der ersten Runde der Regionalwahl siegreiche Front National (FN) hatte besonders dort gepunktet, wo überdurchschnittlich viele Menschen ohne Job sind. Als Reaktion forderte die Arbeitgeberseite in Frankreich einen Notfallplan zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit. Auf diese Herausforderung müsse die Regierung eine ähnliche entschlossene Antwort finden wie auf die Anschläge von Paris, verlangte der Chef des Arbeitgeberverbandes, Pierre Gattaz, am Dienstag im RTL-Rundfunk.

Der französische Arbeitsmarkt hat sich bis heute nicht vom Ausbruch der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008 erholt. Im dritten Quartal lag die Erwerbslosenquote mit 10,6 Prozent auf dem höchsten Stand seit 1997. Nach einer Prognose der Wirtschaftsweisen in ihrem Gutachten für die Bundesregierung kann die Quote in Frankreich im kommenden Jahr auf 10,7 Prozent steigen. Auch für 2017 könne sie über der Zehn-Prozent-Marke liegen, so die Wirtschaftsweisen.

Gattaz kritisiert weiter: "Wenn ich sehe, dass der FN ein Renteneintrittsalter von 60 Jahren propagiert und Lohnerhöhungen, frage ich mich: Wer soll das bezahlen?" Er meint, letztlich müssten die Firmen die Zeche zahlen, die ohnehin schon unter der Steuerlast ächzen würden.

Frankreich: Arbeitsamt
Wo viele Arbeitslose sind, war der Front National besonders erfolgreich.Bild: picture-alliance/dpa

Reformen angehen!

Das Jacques-Delors-Institut propagiert die rasche Umsetzung von Wirtschaftsreformen in Frankreich als das beste Rezept gegen den Aufstieg des fremdenfeindlichen FN. "Es ist das Nichtstun, das den Front National so stark gemacht hat", sagte der Direktor der in Berlin ansässigen deutsch-französischen Denkfabrik, Hendrik Enderlein, am Montag. "Wenn der Aufschwung zurückkommt, wird man das auch am Wahlergebnis ablesen können", so der Frankreich-Kenner.

Aus Furcht vor einem weiteren Aufstieg der rechtsextremen Partei seien unpopuläre Reformen lange unterlassen worden. In den vergangenen zwölf Monaten sei die Regierung zwar aktiver geworden. "Aber das hätten wir schon vor fünf Jahren gebraucht. Denn bis Strukturreformen wirken, braucht es Zeit, wie die deutschen Hartz-IV-Reformen belegen.", so Enderlein.

Was den Arbeitsmarkt betrifft, müsse nach Enderlein für mehr Flexibilität gesorgt werden. "Es ist nicht so sehr die 35-Stunden-Woche, die Jobs verhindert", ergänzte der Experte. Den Unternehmen müsse vielmehr ermöglicht werden, flexibler und schneller auf veränderte Nachfrage reagieren zu können.

Unter anderem die De-Industrialisierung hat zu den Problemen am Arbeitsmarkt geführt. So trägt die Industrie in Frankreich inzwischen nur noch 11,2 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, nachdem es im Jahr 2000 noch knapp 16 Prozent waren. In Deutschland liegt der Anteil derzeit mit über 22 Prozent mehr als doppelt so hoch und ist in den vergangenen 15 Jahren nahezu konstant geblieben. Frankreich profitierte deshalb in den vergangenen Jahren weit weniger vom Aufstieg der Schwellenländer. Zwar gibt es heimische große Unternehmen wie die Autobauer Renault und Peugeot Citroen oder der Atomkonzern Areva, aber ein breiter und exportstarker Mittelstand fehlt.

Weniger Staat!

Enderlein hält es außerdem für nötig, den Staatseinfluss auf die Wirtschaft zurückzudrängen. Der FN dagegen will den staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft noch vergrößern. Für die Marktwirtschaft in Europa sei der FN daher eine Gefahr, glaubt Anton Börner, Chef des Außenhandelsverbandes in Deutschland. Die Partei verspreche das Sozialstaatprinzip auf Erden, sagte Börner im Handelsblatt (Montagsausgabe). Gemäß den Parolen von Marine Le Pen wird Frankreich unter dem FN auch aus dem Euro aussteigen. "Wenn Frankreich sich wieder als reiner Nationalstaat begreift, der vor allem protektionistisch handelt, wird ganz Europa in Mitleidenschaft gezogen", befürchtet Börner.

Das Wirtschaftswachstum in Frankreich lahmt auch bereits seit eingen Jahren. Zwar schaffte Frankreich zwischen 1996 und 2011 ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent, während Deutschland nur auf 1,4 Prozent kam, doch von diesem Tempo ist der Nachbar zuletzt weit entfernt gewesen. 2014 reichte es gerade zu einem Mini-Plus von 0,2 Prozent, in diesem Jahr sollen es 1,2 Prozent sein. Die französische Notenbank senkte gerade erst ihre Wachstumsprognosen für 2016 auf 1,4 und für das Präsidentschaftswahljahr 2017 auf 1,6 Prozent.

Deutsche Wirtschaft besorgt

Auch andere deutsche Wirtschaftsvertreter reagierten besorgt auf den Sieg der FN. "Die Entwicklung ist ein alarmierendes Signal", betonte der Präsident des Verbandes der Familienunternehmer, Lutz Goebel. "Mit Blick auf die Präsidentschaftswahl 2017 wäre der Aufwind des Front National mit seiner wirtschaftlichen Abschottungspolitik ein Schritt zurück ins Mittelalter."

Frankreich ist seit Jahrzehnten der größte Exportkunde der deutschen Wirtschaft, dürfte diese Position im zu Ende gehenden Jahr aber an die USA verlieren. "Eine Verschlechterung der bilateralen Handelsbeziehungen nach den Gewinnen des Front National erwarte ich nicht", sagte jedoch der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven.

Zweite Wahlrunde am Sonntag

Der FN geht am Sonntag in sechs der 13 Regionen Frankreichs als stärkste Kraft in die zweite und entscheidende Wahlrunde. Die vom Wähler abgestraften Sozialisten haben ihre Kandidaten aus mehreren Hochburgen des FN zurückgezogen, um die Wahlchancen der Republikaner gegenüber dem FN zu erhöhen. Doch die von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy geführten Konservativen lehnen eine wahltaktische Unterstützung durch die Sozialisten ab. Sollten sich die politischen Lager auch bei der Präsidentenwahl 2017 nicht auf Absprachen einigen, könnte der fremdenfeindliche FN Beobachtern zufolge sogar den Elysee-Palast erobern.

iw (rtr, Handelsblatt)