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Politik

Schwierige Vorwahlen in Frankreich

Elizabeth Bryant jdw
22. Januar 2017

Fünf Jahre nach ihren durchschlagenden Wahlerfolgen befinden sich Frankreichs Sozialisten in einem bedauernswerten Zustand. Am Sonntag suchen sie einen Kandidaten für die Präsidentschaft. Aus Paris Elizabeth Bryant.

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Frankreich | Präsidentschaftswahl | TV-Debatte
Bild: Reuters/Pool/E. Feferberg

Frankreichs Präsident geht lieber ins Theater, als die TV-Debatte der potentiellen Präsidentschaftskandidaten seiner Partei zu verfolgen. Hollandes Umfragewerte sind so tief gesunken, dass der Amtsinhaber vergangenen Monat ankündigte, sich nicht zur Wiederwahl zu stellen. Seine Sozialisten müssen  jetzt einen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl im April küren. Am Sonntag darf jeder Franzose gegen eine Teilnahmegebühr von zwei Euro seine Stimme dazu abgeben.

Allerdings: Wen auch immer die Sozialisten ins Rennen um das Amt im Elysée-Palast schicken, hat kaum ein Chance zu gewinnen, sagen Umfragen und Experten. "Die Situation ist völlig aussichtslos", so der Pariser Analyst Bruno Cautres. "François Hollandes Mandat steht dafür, dass die Sozialisten ihre Identität verloren haben."

Sieben Bewerber, drei Favoriten

Angesichts der tiefen Unzufriedenheit der Wähler mit der Regierung könnte man erwarten, dass sich linke Politiker in dieser Wahlperiode nicht gerade um eine Kandidatur reißen. Tatsächlich aber stellen sich sieben von ihnen zur Wahl, unter ihnen Ex-Premier Manuel Valls und drei frühere Minister. "In Frankreich ist es für Politiker in Ordnung, Rückschläge einzustecken. Manchmal wird das sogar als positiv bewertet", erklärt Jean Petaux von der Universität Science Po Bordeaux.

Frankreich Francois Hollande und Manuel Valls nach einer Kabinettssitzung
Manuel Valls (rechts) steht Präsident Hollande (links) wohl zu nah, um ein Chance auf dessen Nachfolge zu habenBild: picture alliance/AP Photo/M. Euler

Valls steht für den liberalen Flügel der Partei, obwohl er sich als Kandidat um eine linke Rhetorik bemüht. Als Hollandes Premierminister, der er von April 2012 bis Dezember 2016 war, drückte er umstrittene Änderungen in der Arbeits- und in der Sicherheitspolitik durch. Dabei umging er das Parlament mit einer Regel, die er nun aus der französischen Verfassung streichen lassen will.

"Das heißt, man kann ihn verantwortlich machen für die Fehler der letzten fünf Jahre", sagt Petaux. Außerdem habe Valls den strategischen Fehler begangen, sich daran zu beteiligen, Hollande von einer erneuten Kandidatur abzuhalten.

Valls größte Konkurrenten verkörpern den linken Parteiflügel. Der schillernde frühere Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg steht für eine Anti-Sparpolitik und Protektionismus, sein Motto: "Made in France". Der Überraschungskandidat im Rennen ist Ex-Bildungsminister Benoît Hamon, der Marihuana legalisieren und ein Basiseinkommen von 750 Euro einführen will. Beide hatten sich während der US-Vorwahlen als Fans des linken US-Senators Bernie Sanders bekannt.

Hamon und Montebourg liegen in Umfragen eng beieinander, kurz hinter Valls. In einer Stichwahl am 29. Januar könnte der verbleibende der beiden aber die Wähler des anderen auf seine Seite und so am Ex-Premier vorbeiziehen und Präsidentschaftskandidat der Sozialisten werden.

Abgeschlagen in die Präsidentschaftswahlen

Dort jedoch dürfte das Ende der Fahnenstange für jeden der drei erreicht sein. Niemand rechnet damit, dass ein Sozialist auch nur die erste Runde der Präsidentschaftswahl übersteht, geschweige denn eine Chance in der Stichwahl im Mai hätte.

Die größten direkten Rivalen der Sozialisten nehmen nicht einmal an der Vorwahl teil - zum Beispiel der erfahrene Politiker der radikalen Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon.

In einer Umfrage, die das gesamte politische Spektrum beleuchtet, haben 32 Prozent der Franzosen gesagt, dass sie ein positives Bild von Mélenchon haben. Spitzenreiter dieser Studie mit 40 Prozent war der Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, der als unabhängiger Kandidat antreten will. Eine andere Umfrage sieht Macron auf dem dritten Platz hinter dem konservativen Kandidaten François Fillon und der rechtsnationalen Marine Le Pen.

Schweiz Emmanuel Macron
Der unabhängige Kandidat Emmanuel Macron gilt als schärfster Konkurrent um die linke WählerschaftBild: picture alliance/dpa/J.-C. Bott

Macrons Kandidatur wird von manchen als Verrat gesehen, da er einst als Schützling des Präsidenten galt. Gerüchte, Hollande werde Macrons Kandidatur unterstützen, hat das Präsidentenbüro jedoch bereits dementiert.

"Am Anfang dachten alle, Macron sei ein Geschöpf der Medien", erklärt Analyst Cautres, "jetzt sehen wir, dass sein Aufstieg das Bedürfnis der Wähler nach neuen Gesichtern in der französischen Politik widerspiegelt."

Erneuerung unerlässlich

Für die Sozialisten markieren die Wahlen das Ende von demütigenden fünf Jahren an der Macht, in denen Frankreich von drei großen Terroranschlägen getroffen wurde, die Arbeitslosigkeit auf 13 Prozent stieg und heftige Streiks die Reaktion auf Wirtschaftsreformen waren, die Ökonomen als weitgehend zaghaft bewerten.

Hollandes Präsidentschaft sei eine "immense Verschwendung", klagte Paris' linke Bürgermeisterin Anne Hidalgo in einem Interview mit der Tageszeitung "Le Monde", sie habe Frankreichs Linke "in die absolute Verwirrung" geführt. Die Grundfesten der Partei seien erschüttert, heißt es in einem Leitartikel des Blatts, einschließlich der traditionellen Basis in der Arbeiterschaft, "die dem populistischen Sirenengesang des Front National erlegen sei."

Petaux glaubt, dass Hollande historisch etwas günstiger bewertet werden dürfte. Schuld trage die ganze Partei, die, statt sich in den Jahren der Opposition zu erneuern, bis heute ihre lang verstorbene Ikone François Mitterand preise: "Die Sozialisten haben es während der ganzen Zeit versäumt, an einem neuen Programm zu arbeiten." Der Wahlsieg 2012 habe sich vor allem aus der Ablehnung des damaligen Amtsinhabers Nicolas Sarkozy ergeben: "Man darf einen Sieg nicht mit Stärke verwechseln."

Wenn die Sozialisten die Macht in diesem Frühjahr abgeben, wäre das endlich die Zeit für Reflexion und Wiederaufbau: "Die Partei muss daran arbeiten, sich zu wandeln, ein bisschen wie die britische Labour-Partei unter Tony Blair", sagt Petaux mit Blick auf den ehemaligen britischen Premierminister, der maßgeblichen Anteil an der Wiederbelebung seiner Partei in den 1990er Jahren hatte. "Da haben wir eine echte ideologische Revolution erlebt."