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Frank: "Spannungen abbauen"

Jun Yan | re23. Mai 2013

Eine hochrangige nordkoreanische Delegation reist nach China, um den wichtigsten Verbündeten zu beruhigen, aber sich auch klar abzugrenzen. Trotz aller Kriegsrhetorik stehen die Zeichen auf Wandel, sagt Rüdiger Frank.

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Nordkorea-Experten Prof. Rüdiger Frank. Prof. Frank ist Deutscher und lehrt an der Universität Wien.
Rüdiger FrankBild: Privat

DW.de: Angesichts der jüngsten Entwicklungen in Nordkorea - beispielweise der Atombombentest und die Kriegsdrohungen gegen Amerika und Südkorea - hat China im UN-Sicherheitsrat den Sanktionen gegen Nordkorea zugestimmt. Eigentlich galt China immer als schützender Partner Pjöngjangs. Nordkorea reagierte mit einer weiteren Provokation: der Verschleppung chinesischer Fischer, die erst kurz vor der Reise einer hochrangigen nordkoreanischen Delegation nach China freikamen. Wie ist das verhalten Nordkoreas vor dem Hintergrund der Abhängigkeit von China zu erklären?

Rüdiger Frank: Gerade aufgrund der Tatsache, dass die Abhängigkeit Nordkoreas von China größer wird, versucht Nordkorea jetzt politisch einen gewissen Abstand zwischen sich und China zu bringen. Denn für Nordkorea gilt wie für alle anderen Länder auch: Permanente Freunde gibt es nicht, es gibt nur permanente Interessen. Das permanente Interesse Nordkoreas ist, seine Unabhängigkeit und seine Selbstständigkeit zu bewahren.

Vor zwei Wochen in Nordkorea hat man mir gesagt, dass man sich von China verraten fühle, weil China im UN-Sicherheitsrat für Sanktionen gegen Nordkorea gestimmt hat. Das heißt es gibt auch offiziell eine gewisse Missstimmung im Verhältnis der beiden Länder. Man wird versuchen das ganz schnell zu kitten, aber momentan ist es durchaus so, dass Nordkorea sein Missfallen gegenüber China zeigen möchte.

Welches Ziel verfolgt in diesem Kontext die ranghohe diplomatische Delegation Nordkoreas, die gerade China besucht hat?

Choe Ryong Hae [Leiter des Politbüros der Streitkräfte, Anm. der Redaktion] ist offenbar ein enger Vertrauter Kim Jong Uns und jemand, der in der Hierarchie der Führung sehr weit oben steht. Wenn er nach China reist, dann ist das schon ein sehr wichtiger Besuch mit einer potentiell sehr großen Bedeutung.

Worum geht es? Ich glaube es geht darum, das leicht gestörte Verhältnis zwischen den beiden Ländern wieder zu reparieren. Es wird auch darum gehen, China zu versichern, dass Nordkorea in keiner Weise die Absicht hat, auf der koreanischen Halbinsel einen militärischen Konflikt vom Zaun zu brechen. Möglicherweise geht es auch darum, den eigentlich schon lange anstehenden ersten Staatsbesuch von Kim Jong Un in China vorzubereiten. Kim Jong Un hat ja, obwohl er die Macht bereits vor anderthalb Jahren übernommen hat, das Land bisher nicht verlassen. Das bedeutet, es wäre an der Zeit - und China der erste Ort für einen solchen Besuch.

Nicht zuletzt sollte man auch nicht vergessen, dass Kim Jong Un nachweislich sehr an wirtschaftlichen Reformen nach dem Vorbild Chinas interessiert ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass Choe Ryong Hae in Peking auch über Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sprechen wird. Ich bin mir ganz sicher, dass es hier um eine Kooperation geht und weniger um Konfrontation.

Wie charakterisieren Sie das wirtschaftliche Verhältnis von Nordkorea und China?

Es ist so, dass die nordkoreanische Volkswirtschaft in zunehmendem Maße durch Chinesen dominiert wird. Und zwar in verschiedenen Bereichen, sei es in kleineren Geschäften, aber auch in größeren bis hin zum Bergbau. Chinesische Geschäftsleute sind sehr dynamisch, gehen sehr aggressiv vor und überschreiten dabei sicherlich auch die ein oder andere rote Linie.

Die Volkswirtschaft in Nordkorea ist nach wie vor eine staatliche. Das bedeutet, dass privatwirtschaftliche Aktivitäten zwar zugelassen sind, aber letztlich, gerade wenn sie größeren Umfangs sind, im Kontext der staatlichen Wirtschaftspolitik eingebunden bleiben. In China sind viele Geschäftsleute ausschließlich profitorientiert und da entstehen einfach unterschiedliche Vorstellungen über einen vernünftigen Ablauf des Geschäftes. China ist, glaube ich, auf Profitmaximierung ausgerichtet, während es in Nordkorea eine starke politische Komponente gibt. Das heißt, man möchte neben wirtschaftlicher Kooperation und natürlich auch Gewinn auch politische Ziele realisieren. Und diese beiden Sichtweisen können dann gelegentlich miteinander kollidieren.

Wo will Nordkorea wirtschaftlich hin? Welche Beobachtungen haben Sie auf Ihrem Besuch gemacht?

Es geht der Führung um Kim Jong Un in erster Linie einmal darum, das Land stabil zu halten, und zwar sowohl innenpolitisch als auch nach außen. Kim Jong Un hat angekündigt, dass er die Lebensbedingungen der Menschen verbessern will. Das bedeutet, er will mehr Lebensmittel und mehr Güter im Konsumbereich produzieren. Er möchte den Außenhandel ausweiten.

Dem Ganzen steht das momentan herrschende staatssozialistische System entgegen. Daraus folgt, dass der Weg Nordkoreas früher oder später in Richtung wirtschaftlicher Reformen gehen wird. Dabei orientiert man sich, denke ich, am chinesischen Vorbild. Man versucht, die Wirtschaft in Richtung privatwirtschaftlicher Elemente zu reformieren, gleichzeitig aber die Einparteienherrschaft beizubehalten.

In Nordkorea selbst sieht man eine ungeheure Zunahme an kommerziellen Aktivitäten, und zwar nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch außerhalb in den Provinzstädten und auf dem Land. Ich habe Menschen gesehen, die Bluejeans tragen. Ich habe mit Menschen offener als bisher sprechen können. Sie sind nicht weggelaufen, wenn ein Ausländer auf sie zugekommen ist und mit ihnen auf Koreanisch geredet hat. Das wäre normalerweise undenkbar gewesen. Die Verbreitung von Mobiltelefonen und von Tablet-Computern nimmt immer mehr zu.

Die Behörden versuchen natürlich nach wie vor ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten. Trotzdem dürfen Ausländer ihre Mobiltelefone mitnehmen, was bedeutet, dass man in Städten, die nahe der Grenze liegen - wie Kaesong - über südkoreanische Netze unabhängig mit dem Rest der Welt telefonieren kann. Das hat die Führung akzeptiert, sie nimmt das hin.

Es gibt viele kleine Zeichen, dass sich in Nordkorea einiges verändert. Ich habe auch den Eindruck, dass das Ausmaß an Propaganda-Slogans in der Stadt geringer geworden ist. Das Erscheinungsbild der Slogans hat sich radikal geändert. Sie sind viel weniger auffällig als noch vor kurzem. Die Zahl der Restaurants und Geschäfte ist gewachsen. In Pjöngjang hat man quasi alle 30 bis 40 Meter ein Restaurant oder ein Geschäft. Das heißt, die Menschen haben Geld, sie geben es aus, und es entsteht dafür eine Infrastruktur.

Dr. Rüdiger Frank hat den Lehrstuhl für "East Asian Economy and Society" an der Universität Wien inne und lehrt unter anderem an Universitäten in Seoul.  Vor zwei Wochen besuchte er Nordkorea.