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Reise

Wandern im Tessin

11. April 2019

Nirgendwo in der Schweiz beginnt der Frühling so zeitig wie im Kanton Tessin. Neben milden Temperaturen bietet die Region hohe Berge, weite Seen und eine mediterrane Flora. Das wussten auch viele Künstler zu schätzen.

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Lago Maggiore
Typisch Tessin: Berge, Palmen und viel Sonne - der Lago Maggiore mit den Brissago-InselnBild: DW/C. Deicke

"Sie suchen also den Frühling?" Jörg Deubner-Marty zeigt in seinen Garten. Dort blühen rote Kamelien und weiße Magnolien, auch der Blauregen zeigt erste Blütenknospen: "Hier finden Sie ihn!" Er betreibt ein kleines Hotel mit Restaurant im Ortskern von Carona. Das Haus stammt von 1790, der Garten gehört zum Hotelkonzept. Zwischen Palmen und Kamelien sollen die Gäste zur Ruhe kommen. Ich sinke in einen der Rattansessel auf der Wiese und bestelle Kaffee.

Garten im Tessin
Die Kamelien blühen: Sonnenterrasse im Gartenhotel Villa CaronaBild: DW/C. Deicke

Das Künstlerdorf Carona ist Zwischenstopp auf meiner zehn Kilometer langen Wanderung im Süden der Schweiz. Der italienischsprachige Kanton Tessin gilt als sonnigste Region der Schweiz, nirgendwo beginnt der Frühling so zeitig wie hier, nirgendwo gibt es so viele Sonnenstunden im Jahr. Die Landschaft ist malerisch: steile Berge, klare Seen, palmengesäumte Ufer, dazu italienische Lebensart.

Bei Nieselregen in Berlin gestartet, wickelte ich mich im Flugzeug noch fest in die Winterjacke. Schon in Zürich strahlte die Sonne, im Tessin ist es nun 20 Grad Celsius warm.

Berg San Salvatore, Lugano
Der San Salvatore ist Luganos HausbergBild: DW/C. Deicke

Eine historische Standseilbahn bringt mich von der Stadt Lugano aus auf den 912 Meter hohen San Salvatore. Der Rundumblick von oben ist spektakulär: unten der Luganersee, ringsum Alpenberge, noch verschleiert im Morgendunst. Von hier aus starten mehrere Wanderrouten, die Tour nach Carona ist ein Klassiker.

Rückzugsort für Künstler

Der Weg führt über Steine, Geröll und Stufen durch den noch kahlen Wald. Gelbe Primeln und violette Veilchen leuchten durch welkes Laub, Vögel zwitschern. Nach sieben Kilometern und etwa einer Stunde bin ich in Carona.

Das Dorf Carona im Tessin
Carona: Nur 800 Einwohner, aber sechs KirchenBild: DW/C. Deicke

"Es heißt, wenn man hier mehr als sieben Jahre wohnt, wird man etwas verrückt - aber auch glücklich", erzählt Hotelier Jörg Deubner-Marty nun: "Darum waren hier auch immer viele Künstler." Das rote Porphyrgestein aus dem nahen Steinbruch entfalte diese bewusstseinsverändernde Wirkung, wenn es ins Grundwasser sinke - soweit die Legende.

Tatsächlich haben in Carona schon im 15. Jahrhundert Steinmetze, Architekten, Maler, Bildhauer und Stukkateure gelebt. Ihre Kunstfertigkeit war geschätzt, sie wirkten an Bauten wie dem Mailänder Dom oder dem Moskauer Kreml mit.

Während der Nazizeit kamen deutsche Künstler auf ihrem Weg ins Exil nach Carona, unter ihnen der Schriftsteller Bertolt Brecht. Die Künstlerin Meret Oppenheim, bedeutende Vertreterin des Surrealismus, lebte und arbeitete in den 1970er Jahren in dem Dorf und hinterließ eine Plastik auf einem der Plätze.

Plastik "Hermesbrunnen" von Meret Oppenheim
Plastik "Hermesbrunnen" von Meret OppenheimBild: DW/C. Deicke

Einer der bekanntesten Besucher war der spätere Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse. Er zog 1919 ins Tessin und lernte im selben Jahr in Carona seine zweite Frau, Ruth Wenger, kennen. In der Erzählung "Klingsors letzter Sommer" beschreibt er einen Ausflug in das Dorf "Kareno" und meint damit Carona: "Dahinter das Dorf Kareno, uralt, eng, finster, sarazenisch, düstere Steinhöhlen unter verblichenem braunen Ziegelstein…".

Von Carona nach Morcote

Carona hat seinen ursprünglichen Charme bewahrt. Es ist sehr still in dem Bergdorf, nur wenige Besucher streifen durch die Gassen. Unverputzte Feldsteinmauern, Kopfsteinpflaster, Holzbalkone, Töpfe und Pfannen an einer Häuserwand erzeugen eine urige Atmosphäre.

Carona im Tessin, Dorfansicht
"Gassen bedrückend, traumschmal und voll Finsternis", so beschreibt Hermann Hesse den OrtBild: DW/C. Deicke

800 Einwohner hat Carona heute, sie stammen aus mehr als 30 Ländern. Offenbar wirkt das Künstlerdorf anziehend auf Menschen, die einen Neuanfang suchen. Auch Hotelbesitzer Jörg Deubner-Marty hat hier ein neues Leben begonnen: Er kommt ursprünglich aus Dresden in der damaligen DDR.

Neben dem romantischen Dorfkern hat Carona eine weitere Sehenswürdigkeit: den Parco San Grato. Der botanische Garten liegt auf 700 Metern Höhe. Auf 20 Hektar wachsen hier Rhododendren, Azaleen und Koniferen. "Im April und Mai bilden die blühenden Büsche einen überaus farbenreichen und duftenden Teppich", heißt es in der Broschüre des Parks. Noch blüht hier wenig, ich bin wohl etwas zu früh. Ich genieße den Blick auf die Berge, den immergrüne Gewächse wie Eiben und Zypressen an vielen Stellen des Parks freigeben.

Der Weg führt weiter Richtung Morcote. Es liegt am Ufer des Luganersees, 700 Meter weiter unten. Es geht steil bergab, über gefühlt zehntausend Treppenstufen. Schon auf der Hälfte der nur drei Kilometer langen Strecke fühlen sich meine Unterschenkel an wie aus Gummi. Ich erahne den Muskelkater, der sich morgen einstellen wird. Warum genau mache ich das hier?

Barockkirche Santa Maria del Sasso am Luganersee
Barockkirche Santa Maria del Sasso: ein schönes Motiv, fand schon Hermann Hesse. Er hat sie gemalt.Bild: DW/C. Deicke

Die Abendsonne wirft einen gleißenden Streifen auf den See. Der Anblick lässt Zweifel verfliegen. Immer wieder raschelt es, wenn aufgestörte Eidechsen ins trockene Laub flitzen. Zwischen kahlem Geäst blühen Kirschbäume und Haselnusssträucher mit langen Blütenkätzchen. Der Weg scheint kein Ende zu nehmen. Irgendwann taucht eine Turmspitze in der Tiefe auf: Das muss Morcote sein.

Auf wackeligen Beinen erreiche ich die Uferpromenade des Ortes, die bereits im Schatten liegt. Morcote ist ein beliebtes Ausflugsziel mit Kunsthandwerkerläden, Anlegestellen für Ausflugsschiffe, Restaurants mit Seeblick. Ein Kunstliebhaber ließ hier in den 1930er Jahren einen Park mit exotischen Pflanzen und Architektur aus aller Welt anlegen: ägyptische Tempel, griechische Skulpturen, ein siamesisches Teehaus - als Erinnerung an seine Reisen. Am anderen Ufer liegt Italien.

Der Artikel ist auf einer Pressereise mit Unterstützung von Schweiz Tourismus entstanden.