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Fordert China die USA als Weltmacht heraus?

19. Januar 2011

Die strauchelnde Supermacht und der aufstrebende Riese: Wie wird sich das amerikanisch-chinesische Verhältnis weiter entwickeln? Darüber hat DW-WORLD.DE mit zwei Experten gesprochen: Andrew Denison und Gu Xuewu.

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Andrew Denison und Gu Xuewu im DW-Studio (Foto: DW)
Andrew Denison und Gu Xuewu im DW-StudioBild: DW

Andrew Denison ist Amerikaner und Leiter des Think Tanks Transatlantic Networks. Er sagt: Das 21. Jahrhundert wird wie das 20. ein amerikanisches sein.

Gu Xuewu stammt aus China und ist Professor für Politologie an der Universität Bonn. Seine These: An China kommt keiner vorbei.

DW-WORLD.DE: Herr Denison, wie viel Angst müssen die USA und der Westen vor Chinas Aufstieg haben?

Andrew Denison: Vor Chinas Aufstieg muss man keine Angst haben – dafür aber umso mehr vor Chinas Untergang. Der Westen bleibt in diesem Jahrhundert noch das entscheidende, reiche, verantwortungsvolle Machtzentrum auf der Welt.

Herr Gu, eine Umfrage des Beratungsunternehmens "Horizon" hat herausgefunden, das mehr als die Hälfte der Chinesen glauben, dass China die USA in zwanzig Jahren als Weltmacht Nummer 1 abgelöst haben wird. Sind ihre Landsleute da nicht ein bisschen zu optimistisch?

Gu Xuewu: Ja, das denke ich auch. Aus meiner Sicht ist das eine etwas übertriebene Wahrnehmung. China ist aufgestiegen, aber ob das Reich der Mitte in der Lage sein wird, die Führungsrolle der USA in der Weltpolitik zu übernehmen – da habe ich meine Zweifel. Eins aber ist klar: Der Westen steht vor einer großen Herausforderung und bekommt es mit einer sehr starken Konkurrenz aus China zu tun. Und das wird sich weiter zuspitzen.

Wenn es nicht die Führungsrolle ist – wie wird die Rolle Chinas aussehen?

Gu: Ich würde es als Mit-Führungsrolle bezeichnen. Die Hegemonie der USA wird untergehen, davon kann man ausgehen. Die Schwächen der Amerikaner haben sich in den vergangenen 20 Jahren offenbart, die Supermacht hat sich weltpolitisch und ökonomisch übernommen. Das heißt aber nicht, dass die USA ihre beeindruckende militärische Kapazität, ihre Finanzkraft, ihre ökonomische Produktionsfähigkeit und ihre innovativen wissenschaftlichen Kompetenzen verlieren werden. Sie werden nach wie vor eine führende Rolle spielen, aber gleichzeitig müssten sie wohl auch eine Mit-Führungsrolle der Chinesen akzeptieren. Sonst wird es problematisch.

Herr Denison, die Zeit der Hegemonie sei vorbei – stimmen Sie dem zu?

Denison: Nein. Ich glaube, China wird eher amerikanisch als dass Amerika chinesisch wird. In dieser Generation jedenfalls gehen die Kinder der Kommunistischen Partei weiterhin in die USA, um zu studieren. China wird als Weltmarkt Nummer 1 die Vereinigten Staaten irgendwann in der Zukunft übertreffen, aber als Weltmacht Nummer 1? Nein. China wird sicher ein enger und guter Partner der USA. Aber dass China eine führende Rolle bei der Lösung von Problemen beispielsweise im Umweltbereich haben wird, glaube ich nicht.

Herr Gu, wie konkurrenzfähig wäre die chinesische Währung, wenn der Yuan eine frei konvertible Währung wäre?

Gu: In der Tat ist der Wert der chinesischen Währung niedrig gehalten. Das hat damit zu tun, dass das Land sich in einer Transformationsphase befindet. Allerdings manipulieren beide Länder meiner Meinung nach ihre Währung. Nur die Methoden sind unterschiedlich. Die Chinesen benutzen die Kontrolle des Wechselkurses, um den Außenwert der eigenen Währung niedrig zu halten. Die Amerikaner auf der anderen Seite setzen geldpolitische Maßnahmen ein, um den Außenwert des Dollars massiv abzuwerten. Sie überfluten die Welt mit billigen Dollars. Insofern sehe ich hier einen dramatischen Interessenkonflikt: Die Chinesen fürchten sich vor den unberechenbaren Auswirkungen, die eine Freigabe des Wechselkurses haben könnte. Die Amerikaner ihrerseits haben ein erhebliches Problem, wenn der Export nicht angekurbelt werden kann.

Herr Denison, haben sich die USA da in einen Unterbietungswettbewerb treiben lassen?

Denison: Vielleicht haben sie diesen Wettbewerb gesucht. Letztlich sitzt Amerika hier am längeren Hebel. Solange China davon abhängig ist, Waren billiger zu verkaufen als sie herzustellen sind, und seine Währung niedrig halten muss, indem es ständig Dollars aufkauft, haben die Amerikaner einen ziemlich guten Deal. In diesem Sinne glaube ich, dass China eigentlich abhängiger ist vom amerikanischen Markt und der Rolle des Dollar als Reservewährung als umgekehrt Amerika von China und seinen zwei Billionen Dollar Staatsanleihen.

Wir haben aber gleichzeitig auch das Phänomen, dass die USA in vielen Technologiefeldern auch gegenüber anderen Konkurrenten – unter anderem aus Europa – zurückfallen. Die Autoindustrie steckt tief in der Krise, Boeing hat im Moment große Probleme, seine Produkte marktreif zu bekommen. Haben die USA technologische Entwicklungen verschlafen und beispielsweise im Maschinenbau den Anschluss verloren?

Denison: Ja, die Amerikaner haben auch verschlafen. Aber Innovation hat eine wellenartige Dynamik. Es gibt Zeiten, in denen amerikanische Industrien untergehen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass andere Industrien aufgehen. Grundsätzlich sind die amerikanischen Universitäten, die amerikanischen Nobelpreisträger und die amerikanischen Firmen dominierend, was Innovation angeht. Und es ist nicht einfach, im vernetzten Zeitalter ohne Informationsfreiheit diesen Vorsprung zu verkleinern. Ich denke, China kann sehr viel Geld in Forschung und Entwicklung investieren, aber der Gewinn für jeden investierten Dollar ist sehr viel kleiner, als wenn dieser Dollar in den USA investiert würde.

Herr Gu, Das Internet wird in China streng kontrolliert, soziale Dienste gehen nur ans Netz, nachdem sichergestellt ist, dass dort unliebsame Inhalte unterdrückt werden können. Inwiefern steht sich China hier selbst im Weg, wenn es die Entwicklung derartige Phänomene unterbindet?

Gu: Wenn es um Hightech und moderne technologische Informationsverbreitung geht, dann sehe ich bei den Chinesen kein Problem. Wenn es dagegen um die Verbreitung von Informationen geht, die aus Sicht der chinesischen Regierung die politische Stabilität des Landes beeinträchtigen könnten, dann wird es problematisch. Das Problem ist meiner Meinung nach das politische System Chinas. Das muss aus meiner Sicht geändert werden, weil die zunehmende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Ein-Parteien-Herrschaft wächst. Und das könnte dazu führen, dass die Probleme sich zuspitzen. Auf der anderen Seite gibt es auch politische Kräfte, die dafür sorgen, dass dieser Prozess langsam in Gang kommt. Wichtig ist die Frage, in welcher Geschwindigkeit dieser Prozess vonstatten gehen soll. Wenn es nach den USA und Europa ginge, dann würde es eine sofortige Schock-Therapie geben. Meiner Meinung nach aber – und das denken auch viele liberale Wissenschaftler – braucht das Land einen langsamen, kontrollierten Prozess, einen Top-Down-Prozess, so dass die Liberalisierung nicht im Straßenkampf endet. Das wäre negativ für sämtliche Seiten: für die Chinesen selbst, für die Region, aber auch für die amerikanischen Interessen in Asien.

Könnte der militärische Wettstreit zwischen China und den USA gefährlich werden? Lesen Sie weiter auf Seite 2

Aber es gibt auch noch andere Streitpunkte. Derzeit bahnt sich zumindest leicht ein militärischer Wettstreit an. Noch sind die USA nach landläufiger Meinung noch einen Schritt voraus, Herr Gu. Ist es wirklich nur ein Schritt?

Gu: Den Chinesen gegenüber sind die Amerikaner mindestens dreißig Schritte voraus. Deswegen verstehe ich auch die Aufregung bei den Amerikanern nicht. Die Amerikaner verfügen im militärischen Bereich in jeder Hinsicht über die absolute Überlegenheit. So zu reagieren, weil ein Emporkömmling ein gewisses modernes Waffensystem entwickelt, überrascht mich. Entweder ist man zu naiv oder zu empfindlich gegenüber einem aufstrebenden Land, das in der Lage ist ein kleines Segment militärisch auszubauen. Oder man hat in der Tat Angst und ist irgendwie unsicher.

Aber wenn während des Besuchs eines Verteidigungsministers eine neue Waffentechnologie gestestet wird, dann ist das doch eine Provokation.

Gu: Ich weiß nicht, ob das Zufall oder eine bewusst geplante Provokation war. Die Sache würde ich nicht unter- aber auch nicht überinterpretieren. Deswegen sage ich, man muss mit Gelassenheit reagieren. Vor dem Hintergrund, dass Hunderttausend amerikanische Soldaten vor der chinesischen Haustür sind, das muss man nun auch in Betracht ziehen. Deshalb rege ich mich nicht auf über eine solche Provokation oder einen solchen Zufall. Als Supermacht muss man auch die Psychologie beherrschen. Wenn nicht, würde ich sagen, dann sind die Tage der USA als dominierende Macht gezählt. Das kann keine Reaktion einer Supermacht sein.

Sollten die USA da gelassener sein, Herr Denison?

Denison: Ich glaube, Amerika ist relativ gelassen gegenüber der militärischen Stärke der Chinesen. Die USA werden Weltraum, Weltmeere und viele Landstriche dieses Planeten noch jahrzehntelang militärisch dominieren können. Die Amerikaner haben Sorgen, wenn Kim Jong Il auf einmal Südkorea angreift, und dass Amerika da zur Verteidigung einstehen muss. Die Amerikaner haben Angst vor tausend Raketen, die in Richtung Taiwan stationiert sind, dem die USA eine Bestandsgarantie gegeben haben. Die Amerikaner haben ein bisschen Sorge über die Behauptung der Chinesen, dass das gesamt südchinesische Meer territoriales Gewässer Chinas sei. Durch dieses Meer geht mehr als die Hälfte des weltweiten Schiffsverkehrs. Aber ich denke, China wird keine Chance haben, das umzusetzen. Wenn Amerika Angst vor dem chinesischen Militär, dann ist das in einem Punkt, dem Cyberkrieg. Die Fähigkeit chinesischer Hacker amerikanische Stromsysteme, Banksysteme, Verkehrssysteme lahm zu legen, das ist eine große Sorgen, da müssen wir uns schon Gedanken machen.

Die Manöver im gelben Meer, also zwischen der koreanischen und chinesischen Küste im letzten Herbst, das war ein Signal an China?

Denison: Ja, eindeutig. Dass die Freiheit der Meere, wie sie seit Jahrzehnten anerkannt ist, auch weiter gewährleistet bleibt. Auch die Freiheit Taiwans.

Korea gehörte, Herr Gu, zu den Staaten, die eigentlich nicht mehr so glücklich waren mit der amerikanischen Dominanz in den letzten Jahren; so auch Japan, den dortigen US-Stützpunkt wären viele gerne los geworden. Wenn China nun so demonstrativ auftritt, festigt das nicht die amerikanische Position in diesem Raum?

Gu: Nein, die Chinesen haben gemeinsame Interessen mit den USA, das Problem Nordkorea loszuwerden. Der Unterschied ist nur, wie macht man das? Wenn es nach den Chinesen ginge, würde Nordkorea zu einem zweiten Vietnam: Also Öffnung des gesamten Systems, langsam liberalisieren, langsam transformieren in eine moderne Gesellschaft. Aber daher glaube ich, es wird keine Kriege geben. Die Angst der Amerikaner vor einem Angriff Nordkoreas auf den Süden, das ist übertrieben. Ich war selber auf beiden Seiten der entmilitarisierten Zone und habe mit koreanischen Kollegen gesprochen. Peking und Washington könnten das Problem gemeinsam lösen, aber aus meiner Sicht ist Amerika in den letzten zwanzig Jahren zu pingelig. Denn was will Nordkorea? Sie wollen keine Atombombe, das ist eine Ausrede. Sie wollen diplomatische Beziehungen mit den USA. Aus irgendeinem Grund wollen die Amerikaner das nicht. Die Chinesen haben Südkorea anerkannt, die Amerikaner Nordkorea umgekehrt nicht. Ich habe in der Tat meine Zweifel, ob Washington willens ist, das Nordkorea-Problem zu lösen. Denn die Hebelkraft liegt in Washington, nicht in Peking. Ein diplomatisches Zeichen, das kostet nicht so viel, und das Problem wäre gelöst.

Zum Schluss eine Frage an beide: Wenn wir uns hier in 20 Jahren wieder treffen, was wird dann anders sein?

Denison: China wird eine Demokratie sein.

Gu: Davon gehe ich auch aus. Mit einem anderen, wahrscheinlich demokratisch-liberal strukturierten Staatsystem wird China mit den USA die weltpolitische Melodie spielen. Da bin ich sehr optimistisch.

Was wird China bis dahin an Amerika verändert haben?

Denison: Amerika wird chinesischer. Wir haben schon gute Beziehungen zu Chinesen, geschäftlich, wirtschaftlich. Amerika wird asiatischer, hispanischer, aber immer noch die Gedanken der europäischen Aufklärung in seinen Herzen tragen.

Das Gespräch führte Mathias Bölinger
Redaktion: Esther Felden / Sven Töniges