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Folterprozess: Verteidigung fordert Freispruch

18. Februar 2021

Im weltweit ersten Prozess gegen Staatsfolter in Syrien wird das erste Urteil erwartet. Jetzt wurden in Koblenz die Plädoyers gehalten. Zentrale Frage: Hätte der Angeklagte Eyad A. den Befehl verweigern können?

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Koblenz Al-Khatib Prozess, Der Angeklagte Eyad A. verdeckt sein Gesicht mit einer Mappe und spricht mit einem Verteidiger
Welche Wahl hatte Eyad A. wirklich?Bild: Matthias von Hein/DW

Eyad A. tupft seine Tränen ab. Der Mann in dem magentafarbenen Sweat-Shirt ist offenbar gerührt. Von den Plädoyers seiner Verteidiger. Die legen gerade dar, warum der 44-Jährige ihrer Ansicht nach keine andere Wahl hatte, als die Befehle seiner Vorgesetzten zu befolgen. Auch wenn er damit Menschen der Gefahr von Folter aussetzte. Andernfalls hätte er nicht nur sich selbst in Lebensgefahr gebracht, sondern auch seine Familie. "Entschuldigender Notstand" heißt das in der Sprache der Juristen. Der soll ihm den Freispruch bringen.

Eyad A., der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter aus dem ländlichen Osten Syriens, wird Justizgeschichte schreiben: Weil im weltweit ersten Prozess um zwei mutmaßliche Mitglieder des syrischen Foltersystems am kommenden Mittwoch (24.2.) das erste Urteil gesprochen wird, gegen ihn. Nach 60 Verhandlungstagen sieht das Gericht das Verfahren gegen Eyad A. als "entscheidungsreif" an und hat es abgetrennt vom Prozess gegen den ebenfalls in Koblenz angeklagten Geheimdienstoberst Anwar R..

Prozess gegen Assads Folterer

Staatliche Folter in "nahezu industriellem Ausmaß"

60 Verhandlungstage, in denen die Grausamkeit, Rücksichtslosigkeit und Brutalität des syrischen Regimes in vielen schwer erträglichen Details durch eine Fülle von Zeugen, Gutachtern und Experten aufbereitet und dokumentiert wurde. Die Staatsanwaltschaft spricht in ihrem Plädoyer von Tötungen und Folter in "nahezu industriellem Ausmaß".

Sie weist nicht nur darauf hin, dass der Horror in Syrien andauere und das Assad-Regime seine Macht gefestigt habe. Sie erinnert auch daran, dass selbst in Koblenz "der Atem des Regimes" zu spüren war: Zeugen wollten teilweise nur anonym aussagen; manche Zeugen wurden in sozialen Medien nach ihrer Aussage verunglimpft und bedroht; einer musste in den Zeugenschutz; bei anderen wurden Verwandte in Syrien eingeschüchtert.

Dieser historische Prozess, in dem deutsche Staatsanwälte vor deutschen Gerichten Syrer anklagen, die in Syrien andere Syrer gefoltert und ermordet haben sollen, wird durch das Völkerstrafgesetzbuch möglich. Darin gilt das sogenannte "Weltrechtsprinzip". Damit kann die deutsche Justiz Völkerrechtsverbrechen auch dann aufarbeiten, wenn sie nicht in Deutschland begangen wurden und Deutsche weder Täter noch Opfer sind.

Eine junge Frau zeigt ein großes Fotos ihres Vaters, dahinter sind viele weitere Porträts zu sehen
Im Foltersystem verschwunden: Wafa Mohammed zeigt ein Bild ihres Vaters - und anderer VermissterBild: DW/M. von Hein

Zwei ungleiche Angeklagte

In Koblenz müssen sich Anwar R. und Eyad A. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten, allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Der frühere Oberst Anwar R. soll als Leiter der Vernehmungsabteilung im Gefängnis der berüchtigten Abteilung 251 in Damaskus für schwerste Folter an mindestens 4000 Menschen verantwortlich sein. Mindestens 58 Häftlinge sollen die schweren Misshandlungen nicht überstanden haben und gestorben sein.

Eyad A. wird der Beihilfe zur Folter und Freiheitsberaubung in 30 Fällen beschuldigt. Verglichen mit dem studierten Juristen und gewandt auftretenden Anwar R. ist Eyad A. ein vergleichsweise kleines Licht. Er stammt aus ärmlichen Verhältnissen auf dem Land. Viele Möglichkeiten zum Geldverdienen gab es da nicht. Mitte der 1990er Jahre heuert Eyad A. beim Geheimdienst an, zunächst als Sport-Trainer. Sein Aufstieg in der Hierarchie bleibt beim Rang eines Feldwebels stecken.

Anwar R. galt nach seiner Desertion als potenzielle Quelle wichtiger Informationen, schloss sich der Opposition an und flog bequem mit einem Visum von Jordanien nach Deutschland, wo er sofort Asyl bekam. Eyad A. wiederum brauchte nach seiner Flucht 2013 über fünf Jahre, um nach Deutschland zu kommen.

Koblenz Al-Khatib Prozess, Der Angeklagte Anwar R. sitzt neben seinen Verteidigern; neben ihm steht ein Justizbeamter
Vom Geheimdienstoberst zum Oppositionellen zum Angeklagten: Anwar R. Bild: Matthias von Hein/DW

Offenherzige Auskunft beim BAMF und BKA

Als Eyad A. seinen Entscheidern im Asylverfahren gegenübersaß, hat er offen über seine frühere Arbeit beim Geheimdienst gesprochen. Deshalb wurde er Monate danach noch einmal von einem Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA) als Zeuge vernommen. Schon seit 2011 sammelt der Generalbundesanwalt in Karlsruhe in einem "Strukturermittlungsverfahren" Beweise für Verbrechen des syrischen Staates. Dem BKA-Mann gab Eyad A. umfassend Auskunft; die Mitschrift umfasst über 30 Seiten. Darin berichtet er etwa davon, dass selbst in der Cafeteria der Abteilung 251 die Schreie der Gefolterten zu hören waren.

Und er berichtet von einem Ereignis im Herbst 2011, auf dem die Anklage gegen ihn basiert. Zu der Zeit war Eyad A. - gegen seinen Willen, wie er beteuert - in die Abteilung 40 versetzt worden. Die unterstand Hafez Makhlouf, einem Cousin von Machthaber Bashar al-Assad, und hatte einen Ruf als brutale Schlägertruppe. 

Im September oder Oktober sei Eyad A. zur Auflösung einer Demonstration beordert worden. Dort sei Makhlouf mit einem Mercedes-Geländewagen vorgefahren, habe ein Sturmgewehr genommen und gezielt auf die Demonstranten geschossen. Mit den Worten: "Wenn ihr den Präsidenten liebt, dann schießt auf die Verräter" habe er die anderen ebenfalls zum Schießen auf die Demonstranten aufgefordert. Eyad A. gab an, er habe sich ruhig verhalten und nicht auf die Menschen gezielt. Dies sei der Moment gewesen, als er sich entschlossen habe zu desertieren.

Mit der Aussage, die dann folgte, wurde Eyad A. vom Zeugen zum Beschuldigten: Nach den Schüssen habe Eyad A. mit seinen Kollegen die Straßen nach fliehenden Protestierenden durchsucht. Dabei seien mindestens 30 Personen festgenommen worden. Die wurden alle ins Foltergefängnis der Abteilung 251 gebracht. Die Misshandlungen hätten schon während der Fahrt begonnen und seien später im auch Al-Khatib genannten Gefängnis fortgesetzt worden.

Vom Zeugen zum Beschuldigten

Trotz der Fülle an Zeugen hat die Staatsanwaltschaft außer Eyad A.s eigener Aussage wenig gegen ihn in der Hand. Dazu kommt: Weil Eyad A. als Zeuge vernommen wurde und nicht als Verdächtiger, wurde er vor der Vernehmung nicht umfassend über seine Rechte belehrt. Das hat bereits zu einem Streit über die Verwertbarkeit der Aussagen vor Gericht geführt hat. Die Verteidigung jedenfalls hob in ihrem Plädoyer die Auskunftswilligkeit von Eyad A. hervor. Und betonte, dass seine Kooperation überhaupt erst zur Festnahme von Anwar R. geführt habe.

Ein Mann steht auf einer Galerie mit vielen Türen und hält einen Telefonhörer ans Ohr
Zeugenaussage: Regisseur Faris Fayyad hat die Folter am eigenen Leib erlebt - und inm Prozess ausgesagtBild: DW/M. von Hein

Tags zuvor hatte die Staatsanwaltschaft genau diese Kooperationsbereitschaft in ihrem Plädoyer noch vermisst. Bei aller ausführlichen Darlegung des syrischen Unterdrückungsapparats war dem Staatsanwalt wichtig, dass Eyad A. nicht stellvertretend für das Regime vor Gericht stünde. Hier würde nur über seinen persönlichen Fall geurteilt. Aber: Das System habe Menschen wie ihn für sein Funktionieren gebraucht, führte er aus.

Im Gegensatz zur Verteidigung hat die Bundesanwaltschaft die Ansicht vertreten, dass Eyad A. sich sehr wohl den Befehlen seiner Vorgesetzten hätte entziehen können. Am Ende forderte sie eine Haftstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten.

Wo sich Bundesanwaltschaft und Verteidigung einig waren: in der Würdigung der Folter-Überlebenden, die als Zeugen aufgetreten seien. Diese verdienten "höchsten Respekt".

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein