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Politik

Müssen Flüchtlingsbürgen jetzt zahlen?

Notker Oberhäuser
17. August 2018

Kirchengemeinden und Privatleute, die vor Jahren Bürgschaften für Flüchtlinge übernommen hatten, werden jetzt zur Kasse gebeten. Nun wehren sie sich vor den Gerichten - die haben aber auch eine eindeutige Meinung.

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Paten für Geflüchtete
Bild: picture alliance/dpa/M. Reichel

Rund 7.000 Menschen in Deutschland haben in den vergangenen Monaten unangenehme Post von Jobcentern und Kommunen erhalten. Der Inhalt sind Zahlungsaufforderungen in teilweise fünfstelliger Höhe für Hartz IV-Leistungen und Aufwendungen für Wohnungen. Bürger und Kirchengemeinden sollen für den Unterhalt von Flüchtlingen aufkommen, für die sie teilweise bereits schon 2013 eine Bürgschaft übernommen hatten. So haben Kirchengemeinden nach Angaben des Landeskirchenamtes in Bielefeld allein in den westfälischen Kirchenkreisen Minden, Lübbecke, Vlotho und Herford für 58 Personen Bürgschaften vorgenommen. Wie andere Bürgen, waren sie davon ausgegangen, nur so lange für die Flüchtlinge aufkommen zu müssen, bis deren Asylverfahren positiv beschieden sind. Diese Position wurde damals unter anderem von den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen vertreten. Jetzt macht sich Unsicherheit breit.

Die Ursache für diese Unsicherheit liegt an einer Gesetzesänderung aus dem Jahr 2016: Damals verschärfte die Koalition die Regeln für den Zuzug nach Deutschland: "Eine Verpflichtungserklärung erlischt nicht durch eine Änderung des Aufenthaltsstatus", heißt es seitdem in Paragraf 68 des Aufenthaltsgesetzes. Verpflichtungen, die vor dem 6. August 2016 eingegangen wurden, enden nach drei, die anderen nach fünf Jahren. Im Januar 2017 wurde diese Regelung vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bestätigt.

Syrische Flüchtlinge in Deutschland Familiennachzug
Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Gericht entscheidet: Kirchengemeinde muss zahlen

Dieses Urteil des Bundesverwaltungsgerichts war auch Grundlage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Minden vom 8. August, das über eine Klage der evangelischen Kirchengemeinde Lübbecke urteilen sollte. Die Kirchengemeinde hatte Bürgschaften für syrische Kriegsflüchtlinge übernommen. Jetzt wehrt sie sich gegen eine Erstattungsforderung der Stadt für die Lebensunterhaltskosten einer Syrerin. Die Forderung der Kommune beläuft sich auf rund 10.000 Euro. 

"In den Verpflichtungserklärungen stand immer, dass die Verpflichtung des Bürgen mit der Ausreise endet", sagt ein Sprecher des Verwaltungsgerichts Minden im Gespräch mit der Deutschen Welle. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht bereits im Januar 2017 argumentiert, dass beide Aufenthaltstitel - also der Status als Asylbewerber und der als anerkannter Flüchtling - humanitären Zwecken diene. Aus diesem Grund bestehe auch kein Unterschied zwischen den beiden Aufenthaltstiteln, so die Begründung des Leipziger Bundesgerichts. Das Verwaltungsgericht Minden folgte dieser Linie und entschied, dass die Kirchengemeinde zahlen müsse.

Trabert: "Es ging um das Leben der Menschen"

Neben Kirchengemeinden erhielten auch Privatleute in den vergangenen Monaten Zahlungsaufforderungen von Arbeitsagenturen und Kommunen. Einer von ihnen ist der Mainzer Arzt und Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie Gerhard Trabert. Trabert steht für außergewöhnlich hohes humanitäres Engagement - als Mediziner, der Obdachlose behandelt und bei Einsätzen im Mittelmeer Flüchtlinge rettet. Im Jahr 2015 hat auch der Arzt Verpflichtungserklärungen für acht Syrer unterzeichnet. "Das musste damals immer schnell gehen", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle, "es ging um das Leben der Menschen". Deshalb habe er die Verpflichtungserklärungen schnell und gerne unterzeichnet.

Mediziner Gerhard Trabert
Der Arzt und Flüchtlingsbürge Gerhard Trabert fürchtet hohe Forderungen der Kommunen und JobcenterBild: picture alliance/dpa/P. Zschunke

Jetzt fordert das Jobcenter Gießen 10.000 Euro, das in Rendsburg in Schleswig-Holstein 15.000 Euro und das in Mainz 14.000 Euro von dem Arzt. "Und das sind nur die ersten Forderungen", sagt Trabert. Er fürchtet insgesamt Forderungen von 300.000 bis 400.000 Euro für alle acht syrischen Flüchtlinge. Wie andere Bürgen auch dachte der Arzt, mit der Anerkennung der Asylbewerber sei seine Verpflichtung für die syrischen Flüchtlinge beendet. Das sei 2015 auch von den politisch Verantwortlichen so gedeutet worden, sagt er.

Trabert kritisiert Vorgehensweise der Jobcenter 

Aber Trabert gibt sich weiter kämpferisch: "Ich stehe auch weiterhin zu meinen Entscheidungen, würde es wieder machen und weiche keine Millimeter zurück. Auch wenn der Staat mich zu Zahlungen verdonnert, dann habe ich zumindest diese acht Syrer aus einer lebensbedrohlichen Situation retten können". Auch, wenn es seinen finanziellen Ruin bedeuten sollte? "Dann ist es halt so", sagt er.

Gleichwohl kritisiert auch Trabert die Vorgehensweise der Jobcenter. "Die können nicht einfach die Menschen anderthalb Jahre unterstützen und dann von mir das Geld verlangen", sagt er. Er hätte sich in dem Fall eine direkte Information gewünscht. "Dann hätte ich mir auch selbst etwas überlegen können. Ich habe ein großes Haus - wir hätten das ganz anders regeln können." Diese Möglichkeit sei ihm genommen worden.

Seit März verschafft ein Moratorium den Zahlungspflichtigen eine Atempause: Behörden verschicken zwar weiter Bescheide, ziehen die Gelder aber bis auf weiteres nicht ein. An dieser sogenannten "befristeten Niederschlagung" werde derzeit weiter festgehalten, erklärte ein Sprecher des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Es sei Anliegen der Bundesregierung, im Umgang mit dem Konflikt "sachgerechte Lösungen zu finden", sagte der Sprecher.