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Anpacken und umkrempeln

Thomas Kohlmann7. Oktober 2015

Um die zahlreichen niedrig qualifizierten Flüchtlinge aus den Krisenstaaten in Nahost, Afrika und Asien in den Arbeitsmarkt zu intergrieren, braucht das Land neue Konzepte. Vieles muss sich grundlegend ändern.

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Gruppenfoto Bäckerei Staib Kashif Iqbal Kayani Ghebru Aregay Ahemed Abdi Jama
Auf dem Weg zum Bäckergesellen: Kashif Iqbal Kayani (links), Ghebru Aregay (4. von rechts) und Ahemed Abdi Jama (rechts) mit deutschen KollegenBild: Bäckerei Staib

Bäcker Markus Staib ist einer, der nach vorn blickt. Und der, wie er selbst sagt, entschlossen ist, das Beste daraus zu machen, dass immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Bei ihm arbeiten seit dem 1. September drei Lehrlinge aus Somalia, Eritrea und Pakistan. Und bislang ist der Ulmer Handwerksmeister sehr zufrieden: "Sie haben sich hervorragend geschlagen, auch weil sie schon etwas älter sind als ein normaler Lehrling bei uns, der zwischen 16 und 18 Jahre alt ist. Bei denen ist der jüngste schon 25 Jahre alt , die haben eine ganz andere Reife."

Seit mehreren Jahren hat Staib Schwierigkeiten alle Lehrstellen in seiner Großbäckerei, in der 400 Menschen arbeiten, zu besetzen. Sein Plan, Auszubildende aus EU-Mittelmeerländern mit hoher Jugendarbeitslosigkeit ins Schwabenland zu holen, verlief im Sande - trotz enger Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer in Ulm. Bis man gemeinsam auf die Idee kam, die Lehrstellen mit Flüchtlingen zu besetzen. Eine gute Idee, findet Staib, fünf Wochen nach dem Start seines Experiments. "Es hört sich wirklich zu gut an, um wahr zu sein. Aber wir sind sehr positiv überrascht und es macht uns Spaß, mit ihnen zusammenzuarbeiten."

Doch während man sich in der Backstube zur Not auch mit Gesten oder ein paar Sätzen Englisch verständigen kann, sind die Herausforderungen in der Berufsschule schon größer - das weiß auch Staib: "Da sehen wir schon mehr Probleme auf uns zukommen. Da geht's ja um theoretisches Wissen, um Aufpassen und Zuhören, und vor allen Dingen ums Verstehen. Da wird's, denke ich, schon schwieriger als bei der praktischen Arbeit in der Backstube." Daher habe man dafür gesorgt, dass die Lehrlinge aus Somalia, Eritrea und Pakistan in der Berufschule jeweils neben einem deutschen Lehrling sitzen, der sie unterstützen kann.

Ulm Stadtansicht Münster Archiv 2003
Allein im Einzugsbereich der Handwerkskammer Ulm sind in diesem Jahr 1000 Lehrstellen unbesetzt gebliebenBild: picture-alliance/dpa

3+2-Lösung für Flüchtlings-Lehrlinge

Vor allem die Motivation der Flüchtlinge, die seit einem Jahr in Deutschland sind und bisher nicht arbeiten konnten, imponiert dem Ulmer Bäckermeister: "Jugendliche aus Deutschland haben oft gar keine Wertschätzung mehr dafür, was man ihnen bietet. Und da die Flüchtlinge aus einem Land kommen, wo eine Ausbildung nicht selbstverständlich ist, schätzen sie es deutlich höher ein. In dem Sinne tun wir ihnen einen Gefallen und sie uns."

Markus Staib Bäckerei Staib in Ulm Deutschland
Bäckermeister Staib: "Das Beste draus machen"Bild: Bäckerei Staib

Immer mehr Handwerker wie Markus Staib betreten bei der Beschäftigung von Asylbewerbern Neuland. In den Papieren der drei Lehrlinge stehe, so berichtet er, dass die Flüchtlinge in seinem Betrieb eine dreijährige Lehrzeit machen. Dazu müssten sie sich alle sechs Monate bei der Ausländerbehörde melden und bestätigen, dass sie noch bei ihm die Ausbildung machen.

Mittlerweile hat auch die Politik erkannt, dass es für Auszubildende und ihre Arbeitgeber mehr Rechtssicherheit geben muss, eine so genannte 3+2-Lösung, die garantiert, dass die Azubis in ihren drei Lehrjahren und mindestens zwei Jahre nach ihrer Gesellenprüfung keine Abschiebung fürchten müssen. "Aus meiner Sicht ist das natürlich sinnvoll, dass wir diese Personen nicht nur ausbilden, sondern dass wir auch einen Nutzen haben nach der Ausbildung. Dass wir nicht nur jetzt Lehrlinge, sondern später auch ausgebildete Gesellen haben", unterstreicht Staib.

Viele Handwerksbetriebe in der Ulmer Region suchen händeringend nach Nachwuchs. Allein im Einzugsbereich der Handwerkskammer Ulm, einer von 53 Kammern in Deutschland, die für den Alb-Donau-Kreis mit knapp 200.000 Einwohner zuständig ist, seien, so Staib, in diesem Jahr 1000 Lehrstellen nicht besetzt worden. "Wenn wir einmal die gesamten Handwerkskammern hochrechnen in ganz Deutschland und schaut, wieviel da zusammenkommt, dann ist das vielleicht nicht die Anzahl von 1,5 Millionen", rechnet Staib vor "Aber ich denke, wir haben viele Chancen und warum sollen wir sie nicht ergreifen."

Deutschland Migranten Integration Deutsch-Kurse
Deutschkurse: Je früher, desto besserBild: picture-alliance/dpa/W. Grubitzsch

Schwieriger Weg vom Flüchtling zur Fachkraft

Der Politikwissenschaftler Dietrich Tränhardt beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit der Integration von Zuwanderern. Ähnlich wie Staib hat auch er einen pragmatischen Ansatz: "Die Menschen, die zu uns kommen, sind alle sehr arbeitswillig. Sie wollen alle anpacken, aber es wird eine ganze Zeit dauern, bis das faktisch geschehen wird. Ein Grund sind die fehlenden Sprachkenntnisse und der zweite Grund ist die deutsche Bürokratie", meint Migrationsforscher Thränhardt.

Für ihn geht es vor allem darum, dass die Menschen schnell Jobs finden - und zwar nicht nur, weil das die übrige Gesellschaft finanziell entlastet: "Arbeit verschafft auch Selbstachtung und eine Stellung in der Gesellschaft und trägt zur Integration bei. Von daher sollte das Arbeitsverbot entfallen - das ist völlig kontraproduktiv."

Dazu kommen die noch immer viel zu langen Wartezeiten, bis die Menschen wissen, ob ihr Antrag auf Asyl anerkannt wird und sie eine dauerhafte Bleibeperspektive haben. Außerdem müsse das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das nach Thränhardts Einschätzung "total versagt" hat, neu aufgestellt werden und schon von Anfang an die Integration in den Arbeitsmarkt als zentrale Aufgabe im Auge haben. Pläne, nach denen der neue Chef Frank-Jürgen Weise Tausende Mitarbeiter aus der Bundesagentur für Arbeit in die Behörde mitbringen wolle, gehen nach Thränhardts Meinung genau in die richtige Richtung.

Prof. em. Dietrich Thränhardt
Migrationsforscher Thränhardt: "Das Arbeitsverbot sollte völlig entfallen"Bild: Privat

Doch dass unter den Hunderttausenden Flüchtlingen die von der deutschen Wirtschaft so dringend herbeigesehnten Fachkräfte rar gesät sind, wissen auch die Migrationsforscher. "Insgesamt gehören die Migranten, die als Schutzsuchende nach Deutschland gekommen sind, zu den am schlechtesten verdienenden Gruppen am deutschen Arbeitsmarkt", ist im aktuellen Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB zu lesen. Um das dauerhaft zu ändern, muss vor allem kräftig in Bildung und eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt investiert werden, unterstreicht Dietrich Thränhardt. "Wir brauchen mehr Lehrer, wir brauchen mehr Erzieherinnen in den Kindergärten - das ist ein rein quantitatives Problem. Wir brauchen eine ganz große Deutschkurs-Offensive, da muss ganz viel passieren. Und dann müssen die Bundesbehörden ihre Aufgaben erfüllen."