Flucht ins Frauenhaus
Für Frauen mit und ohne Kinder sind sie meist der letzte Zufluchtsort: Frauenhäuser. Dort finden sie Schutz und Hilfe, um ihr Selbstwertgefühl wieder aufzubauen – wenn sie denn einen Platz bekommen.
„Ich hab einfach gespürt, dass während der Beziehung eine Leere in meiner Seele entstanden ist, dass er meine Seele geklaut und gegessen hat.“
Wiktoria* versucht Worte für das zu finden, was sie erlebt hat: Sie hatte eine Beziehung mit einem gewalttätigen Mann. Dieser sperrte jemanden ein|sperren jemanden mit Gewalt in einen Raum bringen und nicht mehr rauslassen sie ein jemanden ein|sperren jemanden mit Gewalt in einen Raum bringen und nicht mehr rauslassen , beleidigte und kontrollierte sie. Er gab ihr damit das Gefühl, wertlos und allein zu sein – oder wie sie es bildlich ausdrückt: Er stahl, klaute, ihre Seele und aß sie auf. Eines Tages findet sie zufällig einen Flyer Flyer, - (m., aus dem Englischen) die Broschüre; das Informationsblatt mit Adressen von Hilfsangeboten. Als ihr Mann die Tür nicht wie üblich zuschließt, flieht sie. Sie trennt sich von ihm, beginnt mit einem neuen Mann ein neues Leben, fängt an, ihr Abitur nachzuholen und wird sogar schwanger. Doch das Glück ist nicht von langer Dauer. Auch ihr zweiter Ehemann beginnt, sie schlecht zu behandeln. Er beschimpft sie nicht nur, sondern verletzt sie auch körperlich. Wiktoria hat Selbstmordgedanken, weil sie sich schuldig fühlt:
„Ich hab danach immer gedacht, das ist meine Schuld, und ich hab immer den Fehler in [bei] mir gesucht.“
Mit ihrem Sohn flüchtet sie in ein Frauenhaus. Frauenhäuser sind soziale Einrichtungen Einrichtung, -en (f.) hier: eine kulturelle oder staatliche Stelle , die in der Regel von Verbänden und Vereinen getragen und mit öffentlichen Geldern finanziert werden. Hier können Frauen und ihre Kinder vorübergehend Schutz vor häuslicher Gewalt suchen, werden dort auch beraten und können sich mit anderen Betroffenen austauschen. Wie wichtig diese Institution ist, zeigen die Zahlen: Im Jahr 2018 wurden rund 114.000 Frauen Opfer häuslicher Gewalt oder Bedrohungen. Das sind die bekannten Fälle. Die Dunkelziffer Dunkelziffer, -n (f.) eine Anzahl von meist negativen Vorkommnissen bzw. Erscheinungen, die zwar geschehen sind, aber nicht entdeckt wurden ist weit höher.
Paula* teilt Wiktorias Schicksal. Ihre zweite Ehe fing ebenfalls gut an. Paula war zusammen mit ihrer Tochter aus erster Ehe aus Rumänien zu ihrem Mann nach Deutschland gezogen. Nach ein paar Monaten veränderte sich ihr Mann, wurde aggressiver. Paula zog aus, doch ihr Mann bettelte (jemanden) an|betteln nachdrücklich um etwas bitten sie an (jemanden) an|betteln nachdrücklich um etwas bitten , zurückzukommen. Da sie zu diesem Zeitpunkt schwanger war, wollte sie ihm eine zweite Chance geben. Sie kehrte zurück, doch er änderte sein Verhalten nicht. Daher floh auch sie in ein Frauenhaus.
Nicht jedes Opfer häuslicher Gewalt hat so viel Glück wie die beiden. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes Bundeskriminalamt, -ämter (n.) eine Behörde der Polizei, die für die nationale Verbrechensbekämpfen zuständig ist wurden im Jahr 2018 122 Frauen von ihrem Partner oder ehemaligen Partner getötet. 2017 lag die Zahl bei 147. Damals hatte das deutsche Komitee der internationalen Organisation UN Women UN Women (f., nur Singular) eine Unterorganisation der Vereinten Nationen (UN), die sich für das Recht und die Gleichstellung der Frauen einsetzt die zeitlich befristete Kampagne Kampagne, -n (f.) hier: die öffentliche Aktion für oder gegen etwas, um die Meinung der Menschen zu beeinflussen „#JedenDrittenTag“ gestartet. Damit sollte auf die erschreckende Tatsache hingewiesen werden, dass jeden dritten Tag eine Frau Opfer häuslicher Gewalt wird. Bettina Metz, Geschäftsführerin von UN Women Deutschland, findet diese Öffentlichkeit für das Thema „Gewalt gegen Frauen“ wichtig:
„Wir sehen es an der ‚#MeToo‘-Kampagne. Es sind immer mehr Frauen, die sagen: ‚Ja, mir ist das auch passiert‘ – und ganz erstaunt sind, wie viel anderen das auch passiert ist, dass sie nicht die einzigen sind.“
Mitte 2017 verbreitete sich der Hashtag ‚MeToo‘ rasant rasant sehr schnell über die sozialen Netzwerke. Mit den Worten: „Wenn du sexuell belästigt oder angegriffen wurdest, schreibe ‚Me too‘ als Antwort auf diesen Tweet Tweet, -s (m., aus dem Englischen) eine über den Kurznachrichtendienst Twitter versendete Nachricht “, rief die US-amerikanische Schauspielerin Alyssa Milano alle Frauen auf, ihrem Beispiel zu folgen. Millionenfach wurde dieser Twitter-Tweet seitdem verwendet. Immer mehr Frauen machten öffentlich, sexuelle Übergriffe erfahren zu haben. Außerdem stellten sie – wie Wiktoria und Paula – fest, dass sie mit ihren schlimmen Erfahrungen nicht alleine dastanden.
Wiktoria war sich allerdings anfangs nicht so sicher, ob sie überhaupt ins (an einen Ort) gehören einen festen Platz haben; an einer Stelle sein müssen Frauenhaus gehört (an einen Ort) gehören einen festen Platz haben; an einer Stelle sein müssen :
„Frauenhaus ist für Frauen, die richtige Gewalt erleben, und nicht ich. Das ist nix im Vergleich. Ich bin nicht geprügelt [worden], mein Gesicht sieht gut aus, und ich habe keine blauen Flecken.“
Dass man nicht unbedingt körperliche Gewalt erfahren muss, sondern dass psychische Gewalt in Form von Demütigungen, Beleidigungen und Einschüchterungen genauso schlimm sein können, hat Wiktoria in den Beratungsgesprächen erfahren. Hilfreich für sie war auch der Austausch mit anderen Betroffenen:
„Dadurch, dass da grundsätzlich alle Frauen von Gewalt betroffen sind, kann man drüber offen reden. Man fühlt sich nicht so alleine. Man unterstützt sich da und baut diese schwache Seele, die durch diese Gewalt fast ausgerottet ist, man baut das ganze kaputte Gerüst wieder auf.“
Wiktoria und Paula hatten Glück, einen Platz in einem Frauenhaus zu bekommen. Denn leider sind diese fast immer vollkommen überfüllt. Das bestätigt auch Hamila, Mitarbeiterin im Büro der beiden Frauenhäuser in Köln:
„Die Kölner Frauenhäuser sind das ganze Jahr echt [ein] paar Stunden [frei]. Wenn wir ‚grün machen‘, ist [das] nur [für ein] paar Stunde[n].“
Nach offiziellen Angaben fehlen in den etwa 350 Frauenhäusern 20.000 Plätze. Die Folge: Hunderte von Frauen müssen jährlich abgewiesen werden. In den drei Bundesländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen existiert ein Ampelsystem. Auf einer Karte im Internet kann man sehen, welche Frauenhäuser noch freie Plätze für Frauen mit oder ohne Kinder haben. Diese erscheinen grün. Gelb bedeutet, dass es nur freie Plätze für kinderlose Frauen gibt. Ein roter Punkt auf der Karte ist der Hinweis, dass das Frauenhaus belegt ist belegt (sein) so, dass eine Unterkunft von Personen besetzt ist (z. B. ein Hotel) .
Natürlich können Frauen auch Schutz bei Freunden oder der Familie suchen. Nur, so sagt, Franziska Giffey, Bundesministerin für Familien, Senioren, Frauen und Jugend:
„Für viele Frauen ist das eigene Zuhause ein gefährlicher Ort.“
Denn dort können gewalttätige Partner sie finden und wieder verletzen –anders als wenn sie im Schutz eines Frauenhauses leben. Bevor eine Frau den Weg dahin findet, kann sie sich aber auch erst mal telefonisch Hilfe suchen: über das sogenannte Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“. Unter einer zentralen, kostenlosen Nummer wird dort rund um die Uhr eine vertrauliche, auf Wunsch auch anonyme individuelle Beratung angeboten. Auch besteht die Möglichkeit eines Chats Chat, -s (m., aus dem Englischen) eine Unterhaltung im Internet, meist schriftlich und in kurzen Sätzen und der E-Mail-Beratung über die entsprechende Webseite. Diese unterschiedlichen Hilfsangebote sind sehr wichtig, denn viele Frauen wissen meist nicht, wie sie mit Gewalt, die ihnen angetan wurde, umgehen sollen. Und sie können dann, wie Paula feststellt, Mut fassen, ein neues, gewaltfreies Leben zu beginnen:
„Ich bin nicht alleine jetzt. Ich bin glücklich jetzt. Ich bin bereit jetzt, alleine weiter[zu]gehen. Ich merke das.“
___________________________________________________________________
*Name geändert
Flucht ins Frauenhaus
jemanden ein|sperren — jemanden mit Gewalt in einen Raum bringen und nicht mehr rauslassen
Flyer, - (m., aus dem Englischen) — die Broschüre; das Informationsblatt
Einrichtung, -en (f.) — hier: eine kulturelle oder staatliche Stelle
Dunkelziffer, -n (f.) — eine Anzahl von meist negativen Vorkommnissen bzw. Erscheinungen, die zwar geschehen sind, aber nicht entdeckt wurden
(jemanden) an|betteln — nachdrücklich um etwas bitten
Bundeskriminalamt, -ämter (n.) — eine Behörde der Polizei, die für die nationale Verbrechensbekämpfen zuständig ist
UN Women (f., nur Singular) — eine Unterorganisation der Vereinten Nationen (UN), die sich für das Recht und die Gleichstellung der Frauen einsetzt
Kampagne, -n (f.) — hier: die öffentliche Aktion für oder gegen etwas, um die Meinung der Menschen zu beeinflussen
rasant — sehr schnell
(an einen Ort) gehören — einen festen Platz haben; an einer Stelle sein müssen
Tweet, -s (m., aus dem Englischen) — eine über den Kurznachrichtendienst Twitter versendete Nachricht
belegt (sein) — so, dass eine Unterkunft von Personen besetzt ist (z. B. ein Hotel)
Chat, -s (m., aus dem Englischen) — eine Unterhaltung im Internet, meist schriftlich und in kurzen Sätzen