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Dafür statt dagegen

Ruth Reichstein (Euranet)9. Februar 2009

Überall in Europa kommt die Atomkraft wieder in Mode. Auch die Akzeptanz in der Bevölkerung steigt. In Finnland ist das besonders extrem: Eine Gemeinde im Westen des Landes hat sich für ein Atommüllendlager entschieden.

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Ein Atomkraftwerk in Frankreich (Foto: AP)
Seit dem Gas-Streit kommt Atomkraft wieder in ModeBild: AP

Meter um Meter sprengen sie sich durch den Fels. 200 Meter unter der Erdoberfläche bauen die Bewohner von Eurajoki an ihrer Zukunft, einer hoch radioaktiven Zukunft. Denn in dem Tunnel, an dem sie arbeiten, sollen in ein paar Jahren Fässer mit Atommüll eingelagert werden. Der Müll kommt aus den benachbarten Atomkraftwerken. Die Höhlen im Granit wären damit das erste Endlager für hochradioaktiven Müll in Europa.

Der Geologe Kimmo Kampainen ist überzeugt von der Sicherheit: "Der Fels hier ist sehr stabil", sagt er. "Wir haben keine Probleme hier mit Erdbeben oder größeren Steinschlägen. Der Boden hier hat sich schon seit Jahrhunderten nicht mehr verändert." Angst vor dem strahlenden Müll hat der 33-Jährige nicht, obwohl er nur wenige Kilometer vom Endlager entfernt wohnt, in einem der idyllischen Holzhäuser von Eurajoki. Und mit seiner Zuversicht ist Kampainen nicht allein: Was in anderen Teilen Europas unvorstellbar wäre, ist hier - im verschneiten Westen von Finnland ganz normal.

Die elektrischste Gemeinde Finnlands

Polizisten entfernen protestierene Atomkraftgegner von den Gleisen (Foto: AP/09.11.2008)
Andernorts wird heftig gegen Atomkraft protestiert (Archivbild 2008)Bild: AP

Der Bürgemeister des 6000-Einwohner Städtchen Eurajoki hat sich um das radioaktive Endlager sogar beworben. "Wenn wir das Endlager hier haben, können wir mehr Atomkraftwerke baue", erklärt er. "So einfach ist das. Und wir müssen Verantwortung übernehmen. Wenn man von den Atomkraftwerken profitieren wolle, müsse man sich auch um den Abfall kümmern.

Zwei Atomkraftwerke laufen schon in Eurajoki. Sie versorgen die Region mit Strom und geben über 400 Menschen Arbeit. Atomkraft gilt hier als Markenzeichen: "Elektrischste Gemeinde Finnlands" nennt sich Eurajoki stolz. "Wenn wir unseren Lebensstandard halten oder sogar verbessern wollen, haben wir nur zwei Möglichkeiten", sagt der Bürgermeister. "Atomkraft oder Energie aus Russland. Wenn sie die Finnen fragen, fällt die Antwort eindeutig aus."

Geldquelle oder tickende Zeitbombe?

Ein Hochspannungsmast steht in der Sonne (Foto: AP/01.09.2004)
An die Risiken von Atomkraft denkt kaum jemandBild: AP

Und so soll auch die Zukunft aussehen: Der Bau des dritten Atommeilers läuft auf Hochtouren. Sogar ein vierter ist bereits in Planung, direkt neben dem Endlager.

An Risiken oder die Folgen möglicher Störfälle denkt hier niemand. Proteste gibt es praktisch keine; aber für die linke Politikerin Eija Ailasmaa ist der Atommüll eine tickende Zeitbombe: "Die Leute denken nur an die Arbeitsplätze und das Geld", klagt sie. "Aber das ist doch alles nichts wert, wenn man über die Risiken nachdenkt. Wir wissen nicht, ob der Fels halten wird und ob das Lager auch für unsere Kinder und Enkel sicher bleibt."

Mindestens 100.000 Jahre lang muss der Müll in dem Tunnel lagern, bis er nicht mehr gefährlich ist. Die Geologen rund um Kimmo Kampainen untersuchen in ihrem Labor regelmäßig Proben aus dem Tunnel. Aber auch Kampainen kann nicht zu 100 Prozent garantieren, dass der Fels so lange halten wird. Dennoch: Für die Bewohner von Eurajoki sind die Arbeitsplätze greifbarer als mögliche Gefahren in der Zukunft. Atomkraft, das bedeutet in Eurajoki eben nicht nur Licht und Wärme im Wohnzimmer. Strom ist in der "elektrischsten Gemeinde" Finnlands ein Ausdruck von Identität - allen Gefahren zum Trotz.