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Finanzprodukt

24. Februar 2009

Wissen Sie, was? Ich glaube, ich kann den Kern der momentanen Finanzkrise in einem einzigen Wort erkennen! Das Wort heißt "Finanzprodukt".

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Der Schriftsteller Burkhard Spinnen. Foto privatBild: privat
Es ist ein unauffälliges Wort, es bezeichnet die verschiedenen Angebote der Banken: Kredite, Anlagemöglichkeiten etc. etc. Niemand denkt darüber großartig nach. Aber das sollte man tun, und ich versuche es einmal:

Die Arbeit von Banken ist gemeinhin als eine Dienstleistung verstanden worden. Doch im Laufe der Zeit haben sich die Bankenmathematiker immer raffiniertere Konstruktionen zur Geldvermehrung ausgedacht. Kaum einer hat noch begriffen, wie genau es da zugeht, doch solange man seine Zinsen bekam, hat das auch keinen interessiert. Die Kunden haben sich bloß gefreut – und die Bankenmathematiker sind sehr stolz auf ihre Geldvermehrungs-Konstruktionen geworden. Sie haben sich nicht mehr nur als Dienstleister, sondern als Hersteller, als Produzenten begriffen; und also haben sie ihre Angebote als "Produkte" bezeichnet.

Eine Aktie ist kein Produkt...

Im traditionellen Wortgebrauch stammen "Produkte" allerdings aus der dreidimensionalen Welt, meistens sind es aufwändig bearbeitete Rohstoffe. "Produkte" repräsentieren einen Material-, einen Arbeits- und einen Nutzwert; also knapp gesagt: "Produkte" waren bislang etwas GANZ ANDERES als Lebensversicherungen, Zertifikate, Aktien etc.

Es war also eine vielleicht nicht ganz freundliche Übernahme, mit der die Bankenbranche sich das Wort "Produkte" angeeignet hat. Sicher hat sie es getan, um damit einen positiven Nimbus zu übernehmen. Und das ist ihr auch gelungen. Aber ich frage mich: um welchen Preis?

…und Banken keine Produzenten

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Eine Aktie ist kein ProduktBild: picture-alliance/ dpa
Nun, der Preis ist vielleicht eine gewisse Selbstüberschätzung, mit der die Branche sich selbst (und viele andere) in die Krise gezogen hat. Ich glaube, solange man sich selbst als Dienstleister versteht, achtet man die, denen man Dienste leistet. Zumindest weiß man, dass man von der Produktivität seiner Kunden abhängig ist. Dienste kann sich eben nur leisten, wer sie sich leisten kann. Die Banken aber wollten selbst Produzenten sein. Ihre "Finanzprodukte" haben sich selbstständig gemacht. Die Banken haben die Frage entschieden, was zuerst war: Arbeit oder Geld? Ihre Wahl ist auf das Geld gefallen. Und jetzt ist die Arbeit beleidigt und macht sich auf und davon.

Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Gerade ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).