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Spinnens Wortschau

16. Januar 2011

Die Bedeutungen der Wörter verschieben sich. Das geschieht nur in den allerseltensten Fällen sprunghaft, meistens vollzieht sich ein Bedeutungswandel sehr langsam…- so wie beim Finanzieren.

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Der Schriftsteller Burkhard Spinnen (Foto: privat)
Burkhard SpinnenBild: privat

Wer bemerkt, dass ein Wort nicht mehr genau so gebraucht wird, wie er es gewohnt war, der bemerkt dabei gleichzeitig, dass er älter geworden ist, erheblich älter sogar. Deshalb reagieren die meisten Menschen auch sehr negativ auf die Wahrnehmung eines sprachlichen Bedeutungswandels und begegnen der Neuerung mit Ablehnung. Denn wer will schon von den Beweisen dafür umgeben werden, dass er altert?

Man muss also immer vorsichtig sein, bevor man gegen einen Bedeutungswandel loswettert. Und auch ich bin jetzt ganz vorsichtig, wenn ich von meiner Erfahrung berichte, dass sich über die Zeit meines bisher gelebten Lebens die Bedeutung von Finanzieren im Alltagssprachgebrauch ein wenig - na ja - ein bisschen mehr als ein wenig verschoben hat.

Ohne Moos nix los

Aufgewachsen bin ich mit der Bedeutung von Finanzieren als "Bezahlen-Können". Wenn einer sagte: "Das kann ich nicht finanzieren", dann war das eine etwas vornehmere Variante des Satzes: "Dafür habe ich nicht die Kohle, die Knete, die Mäuse im Portemonnaie." Und auch das Angebot einer Ratenzahlung hätte daran nichts geändert. Egal, in wie kleine Teile ein zu zahlender Betrag gestückelt wird, bezahlen muss man ihn doch; und wer das Geld dafür nicht hat, der verzichtet besser auf die Anschaffung.
Doch das war früher, als mein Vater einen Umschlag mit Geld von der Bank holte, ihn zum Autohändler trug und Minuten später der einzig und alleinige Besitzer eines Volkswagens mit Schiebedach war. Mittlerweile hat sich die Alltagsbedeutung von Finanzieren ein kleines, aber wesentliches Stück verschoben - das jedenfalls lehrt mich permanent die Werbung.

Eine Faust mit Euroscheinen kommt durch ein Loch in der Wand (Foto: Fotalia / Light Impression)
Mit der richtigen Finanzierung geht allesBild: Fotolia/Light Impression

Finanzieren statt bezahlen

Denn heute heißt Finanzieren nicht "Bezahlen-Können", sondern einfach nur "Bezahlen". Natürlich in Raten. Aber keines der super-super-günstigen Angebote, zu denen man sein Auto, seinen Fernseher, seinen Computer finanzieren kann, spricht ja davon, wie man sich das Geld zum Abbezahlen verschafft. Finanzieren heißt heute einfach: Nicht jetzt gleich zahlen, sondern demnächst ein wenig und dann wieder demnächst ein wenig und so weiter. Gerade so, als würde durch die Aufteilung der Betrag tatsächlich kleiner und bei genügend kleinteiliger Aufteilung sogar wahrhaft verschwindend klein.

Ich weiß, es geht hier um Werbung. Und die lügt bekanntlich immer. Aber es geht noch um mehr. Es geht darum, wie im Sprachgebrauch der allgegenwärtigen Werbung Vorstellungen verändert werden. Längst wird kaum noch Reklame mit der Qualität der Produkte gemacht, verkauft wird über den Preis. Und natürlich über den kleinen, kleineren, noch kleineren und schließlich unsichtbaren Preis. In diesem Reden von der quasi freischwebenden Finanzierung aber verschwindet der Gegenwert des Produktes. Es verschwinden unsere Arbeit, unsere Mühe und Anstrengung, die doch einmal jedem Erwerb vorangegangen sind. Nichts wird mehr erspart, aber alles finanziert. Und am Ende heißt die Armut nur noch Schuldenfalle.

Autor: Burkhard Spinnen
Redaktion: Gabriela Schaaf

Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Zuletzt ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).