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Ferien für immer

Marcus Bösch28. März 2013

Sie haben vermutlich noch einige Jahre vor sich. Das ist nicht der Text auf einem Zettel der in einem bröseligen Glückskeks steckt, sondern die Wahrheit. Machen Sie doch noch was. Wiederholen Sie sich.

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Die vier Freundinnen Faith (Selena Gomez), Cotty (Rachel Korine), Candy (Vanessa Hudgens) und Brit (Ashley Benson, v. l.) in einer Szene des Kinofilms "Spring Breakers" (Foto: dpa)
Szene aus dem Film "Spring Breakers"Bild: picture-alliance/dpa/Wild Bunch

Gestern ist der Groschen gefallen. Ich habe etwas sehr Grundsätzliches verstanden. Ich saß in einem riesigen Kinosaal. Es roch nach Haarspray und billigen Alkopops. Ich saß in Reihe Fünf, aß Industrie-Nachos und mir wurde schwindelig. Die riesige Leinwand war so nah. Ich schaute einen Film namens Spring Breakers.

Sexuelle Freizügigkeit

Während des Spring Breaks (Frühlingsferien) suchen amerikanische Studenten oft warme Orte der USA, Mexiko oder der Karibik auf, um ausgiebig zu feiern. Dabei kommt es oft zu starkem Alkohol- und Drogenkonsum, sexueller Freizügigkeit, Promiskuität und öffentlicher Zurschaustellung von Nacktheit.

Trotzdem geht es meiner Meinung nach in dem Film um etwas ganz anderes. Auch wenn die Ex-Freundin des ehemaligen Teeniestars Justin Bieber, ein gefallener Disneystar und die Frau des Regisseurs die ganze Zeit in Bikinis herumlaufen. Und auch wenn das New Yorker Magazin mit dem passenden Namen "New Yorker" hier eine gelungene Reflexion über das Thema Mord sieht.

Remix

Ich finde, es geht in dem Film um das Leben und um das Vergessen im digitalen Zeitalter. Auch wenn im ganzen Film nur ein einziges Mal Computer zu sehen sind. Die natürlich nicht benutzt werden, schließlich stehen sie in einem Hörsaal. Sie sind Staffage und leuchten vor sich hin. Und trotzdem.

Brit (Ashley Benson, l.), Candy (Vanessa Hudgens) und Alien (James Franco) in "Spring Breakers" (Foto: dpa)
Brit (Ashley Benson, l.), Candy (Vanessa Hudgens) und Alien (James Franco) in "Spring Breakers"Bild: picture-alliance/dpa/Wild Bunch

Wichtige Sätze werden in dem Film wiederholt. Immer wieder. Direkt nacheinander. Etwas zeitversetzt. Etwas modifiziert. Am Anfang ging mir das auf die Nerven. Und dann habe ich es verstanden. Der tolle Regisseur Harmony Korine bedient sich hier der zentralen Kulturtechnik des 21. Jahrhunderts. Nimmt sie aus dem Internet und bannt sie auf Zelluloid. Er remixt und er wiederholt.

Wir scannen

Das ist etwas, woran sich Deutschlehrer, Bildungsbürger und alle Menschen, die ausschließlich mit linearen Medien aufgewachsen sind, noch gewöhnen müssen. Im Zeitalter des Informationsüberflusses, der Gleichzeitigkeit und des Überangebots an Angeboten sinkt die Aufmerksamkeitsspanne, die Toleranz und die Akzeptanz. Wir scannen. Hier und da. Bleiben kurz hängen und driften weiter.

Und genau hier haut einem Harmony Korine seinen zentralen und einfach zu merkenden Kernslogan um die Ohren. "Spring Break forever" und dann noch einmal "Spring Break forever". Es wird etwas hängenbleiben, wenn man es nur oft genug anbringt. Und genau so funktionieren soziale Netzwerke und genau so sollten wir sie nutzen.

Immer wieder

Bis gestern trieb mich ein eitler Stolz. Ich verstand meinen Twitterstream als Gesamtwerk. Tausende Tweets, die übereinander gestapelt ein Ganzes ergeben. Das ist Blödsinn. Niemand wird diese Tweets nacheinander, linear konsumieren - egal ob vorwärts oder rückwärts.

Das Überangebot und die Gleichzeitigkeit verhindern das. Und das bedeutet: Weg mit dem falschen Stolz, der besagt: Aber das habe ich doch schon gestern gepostet. Warum hat das niemand gemerkt? Darum! Es ist 2013. Sagen Sie es noch mal. Und noch mal. Und immer wieder. Wenn es für Sie relevant ist.

Für immer

Denn das Internet und die Welt werden Sie und dich und mich und ihn und sie und uns vergessen. Es wird Frühlingsferien geben. Noch mal und dann immer wieder. Und zwar ohne uns. Die einzige Chance, die wir haben ist, dass etwas hängen bleibt, wenn wir es nur oft genug anbringen, wiederholen, remixen und noch mal sagen. "Spring Break forever".

Unser Netzkolumnist Marcus Bösch verabschiedet sich hiermit aus der Reihe "Digitalitäten". 27 Folgen lang hat er uns mit seinem Blick auf die schräge und surreale Welt des Internets und seiner Bewohner unterhalten und auch zum Nachdenken bewegt. Die Redaktion bedankt sich herzlich dafür.

Marcus Bösch (Foto: DW/M. Bösch)
Bild: DW/M.Bösch

Die "Digitalitäten“ gehen im April in die nächste Runde. Die Autorin freut sich schon darauf.