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Fatamas Sicht - ein DW-Blog

Fatama Amiri6. März 2014

Jeden Tag schreibt die 18-jährige afghanische Studentin Fatama Amiri (Name geändert) auf, was sie bewegt: wie sie die Zeit vor und nach der Präsidentschaftswahl erlebt und was sie in ihrem Leben noch beschäftigt.

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Afghanistan Präsidentschaftswahlen 2014 Bloggerin NOCH NICHT VERWENDEN
Bild: privat

27.04. 2014 – Armut

Ich sehe keinen Grund dafür, warum die afghanische Bevölkerung künftig unter der Armutsgrenze leben sollte. Meiner Meinung nach sind die unsichere Lage und die Propaganda der Taliban die Hauptgründe dafür, dass es den Menschen in Afghanistan nicht gut geht. Viele reiche Geschäftsleute geben ihre Unternehmen hier im Land auf, weil sie hier einfach zu viele Zukunftssorgen haben. Wir brauchen einen starken Präsidenten, der für die Sicherheit im Land garantieren und einen weiteren „Brain Drain“ verhindern kann.

Die Wahlen in Afghanistan sind zu einem politischen Spiel geworden. Den Preis dafür zahlt die Bevölkerung. Ich glaube, wenn es nur einen größeren Anschlag gibt, werden zigtausende Menschen der Stichwahl fernbleiben, aus Angst, mit ihrer Stimmabgabe ihr Leben zu riskieren. Die Armut im Land, die Bedrohung durch die Taliban und die Tatsache, dass wir noch keinen neuen Führer haben, all diese Faktoren beeinträchtigen das Leben der Menschen sehr.

26.04.2014 – Verspätetes Wahlergebnis

Heute habe ich mit Freunden über die Wahlen und die vermutlich anstehende Stichwahl zwischen zwei Kandidaten gesprochen. Ich glaube, wenn das amtliche Endergebnis sich verzögert, können die Taliban das Machtvakuum ausnutzen. Der friedlich verlaufene erste Wahlgang hat die Professionalität der afghanischen Sicherheitskräfte deutlich belegt – auch wenn er in erster Linie als Erfolg der Regierung dargestellt wurde. Meiner Meinung nach werden die Taliban keine Möglichkeit auslassen, die Wahlen zu attackieren und Warnungen auszusprechen an alle, die ihre Stimme abgeben wollen: Jeder, der sich in die Nähe eines Wahllokals begibt, bringt sein Leben in Gefahr.

Jeden Tag hören wir von Taliban-Drohungen und fürchten uns vor einem Anschlag in Masar-i Scharif. Ich fürchte, dass viele Menschen aus Angst nicht zur zweiten Wahlrunde gehen werden. Auch viele gut ausgebildete junge Menschen werden sich nicht beteiligen, und das ist ein schlechtes Zeichen.

Beim ersten Wahlgang haben die Taliban es nicht geschafft, die Wahlen zum Scheitern zu bringen. Ich habe Angst, dass sie nächstes Mal versuchen werden, Wahllokale anzugreifen. Die Wahl war ein Zeichen für die Einigkeit des afghanischen Volkes und ein Erfolg für die Sicherheitskräfte, die es geschafft haben, die Taliban in Schach zu halten. Sicherheit steht bei der Wahl an oberster Stelle – und wenn die Taliban Wahllokale angreifen, wird es unmöglich für die Armee sein, dafür zu garantieren.

Die afghanische Bevölkerung wünscht sich Frieden und keine Machtübernahme durch die Taliban. Die Menschen wollen ein demokratisches Land, in dem niemand diskriminiert wird. Ich hoffe, dass es dem Kandidaten, der am Ende gewinnt, gelingt, Afghanistan genau das zu bringen.

23.04.2014 - Strahlende Zukunft?

Meine ganze Familie ist davon überzeugt, dass die Taliban wieder an die Macht kommen, sobald die US-Truppen unser Land verlassen haben. Ich allerdings bin mir da nicht so sicher. Ich denke, wenn der künftige Präsident klug handelt, wird es ihm gelingen, eine Lösung für das Problem zu finden. Ich persönlich glaube nicht, dass wir amerikanische Soldaten brauchen, um unser Land zu beschützen, es ist nicht ihre Aufgabe, uns Frieden zu bringen. Das müssen wir selbst tun.

Es macht mich traurig, wenn ich höre, dass viele Menschen in der westlichen Welt mein Heimatland nur mit Taliban, mit Gewalt, Krieg und Terrorismus verbinden. Und es macht mich traurig, dass wir Afghanen als aggressiv gelten – dabei wünscht sich hier jedes Kind nichts mehr als Frieden und Stabilität.

Insgesamt denke ich, dass die Chancen für eine Machtübernahme der Taliban gering sind. Deshalb blicke ich optimistisch in die Zukunft. Vielleicht werde ich eines Tages glücklich und mit einem Gefühl der Sicherheit in meinem schönen Land auf. Noch allerdings liegt dieser Tag in weiter Ferne.

22.04.2014 - Mädchenfußball

Gestern Abend gab es im Fernsehen einen Bericht darüber, dass es in Masar-i-Scharif ein Fußballstadion gibt, wo Mädchen Fußball spielen können. In meiner Kindheit gab es so etwas noch nicht. Heutzutage haben afghanische Mädchen mehr Unterstützung und werden nicht mehr so sehr diskriminiert.

Zu Zeiten der Taliban-Herrschaft durften Frauen das Haus nicht ohne Begleitung verlassen und waren wertlos. Sie sollten nur Kinder bekommen, ihre Männer sexuell bedienen und sich um die Hausarbeit kümmern. Die Taliban haben Frauen schlechter behandelt als Tiere.

Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei, und ich sehe viele positive Veränderungen. Ich denke, Sport wird auch in der Zukunft eine wichtige Rolle für Afghanistan spielen und die Menschen zusammenbringen. Und ich träume davon, dass eines Tages afghanische Mädchen und Frauen bei internationalen Sportereignissen siegen werden und die afghanische Flagge vor den Augen der Welt gehisst wird.

20.04.2014 - In kleinen Schritten vorwärts

Mit jedem Tag der vergeht werde ich etwas optimistischer und sehe eine gute Zukunft für Afghanistan. Heute habe ich gehört, dass es so schnell wie möglich überall kabelloses Internet geben soll. Ich kann mich noch daran erinnern, wie schwierig es vor ein paar Jahren war, einfach nur Bilder oder Musik über das Internet zu verschicken. Man musste in ein Internetcafe gehen, um eine Mail zu schicken oder mit seinen Freunden in Kontakt zu bleiben.

Kabelloses Internet überall wäre großartig, weil man dann in Kontakt bleiben könnte, ohne das Haus verlassen oder stundenlang reisen zu müssen. Es wäre bestimmt auch gut für die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans. So könnten die Firmen ihre Produkte auf der ganzen Welt anbieten und bewerben.

19.04.2014 - Sieg über die Taliban

Letzte Nacht habe ich auf Facebook einige Bilder der Taliban gesehen. Das erinnerte mich an ihre unnachgiebige Härte und daran, dass sie Frauen und Mädchen verboten, zur Schule zu gehen. Dennoch habe ich nie aufgehört, zu lernen. Mit meiner Tante bin ich damals in geheime Kurse in Privathäusern geschlichen. Wenn wir erwischt worden wären, hätten uns die Taliban geschlagen, ausgepeitscht oder vielleicht sogar ermordet. Meine Tante trug ihre Bücher und ihren Laptop immer unter der Burka. Wenn wir gefragt wurde, sagten wir immer, wir wollten mit anderen Frauen lernen, Frauenkleider zu nähen.

Zum Glück können afghanische Mädchen heute lernen und kein Taliban kann ihnen Angst einjagen. Ich glaube, dass Bildung die beste Waffe ist, um unsere Gegner zu überwinden, das Land zu retten und eine strahlende Zukunft für Afghanistan zu schaffen. Ich wünsche mir ein vereinigtes Afghanistan, damit wir einen endgültigen Sieg über unsere Gegner erringen. Ich möchte am liebsten in die ganze Welt schreien, dass Afghanistan jetzt und für immer stark ist!

18.04.2014 - Zwangsheirat

In der Zeitung habe ich gelesen, dass ein sechsjähriges Mädchen einen alten Mann heiraten musste. Sie war gezwungen, es zu tun, weil ihr Vater beim Glücksspiel verloren hatte und seinen Einsatz nicht zahlen konnte. Mädchen wie dieses haben einfach keine Wahl, ihre Meinung frei zu äußern, sie dürfen nicht nein sagen. Und vor ihnen liegt ein schreckliches und isoliertes Leben. Sie müssen ihren Männern dienen, werden oft missbraucht und haben keine Chance, zur Schule zu gehen.

Leider herrscht in den ländlichen Gegenden Afghanistans die Überzeugung, dass es eine Schande ist, wenn ein Mädchen mit 16 Jahren noch nicht verheiratet ist. Ich denke, Zwangshochzeiten haben gravierende psychische und physische Auswirkungen auf minderjährige Mädchen. Sie werden dadurch sämtlicher Chancen beraubt und haben keine Rechte mehr.

Um Kinder künftig besser davor zu beschützen, wäre es meiner Meinung nach wichtig, dass die Lokalregierungen Eltern und Kinder über die negativen Auswirkungen von Zwangsheirat aufklären würden – damit mehr Menschen sich dagegen entscheiden, ihre Töchter viel zu früh zu verheiraten.

16.04.2014 - Strom

Heute habe ich in der Uni eine Hausaufgabe bekommen. Damit soll ich bis morgen fertig sein, sagte mein Professor. Aber diese Deadline ist viel zu knapp. Denn ich kann tagsüber oft nicht an meinem Laptop arbeiten. Wir haben nur abends Strom. Jetzt sitze ich hier, weiß nicht was ich tun soll und warte darauf, dass wir endlich Strom bekommen.

Ich finde es ist eine Schande, dass Masar-i-Scharif, eine der größten Städte Afghanistans, noch immer mit Energieknappheit zu kämpfen hat. Das betrifft nicht nur meine Familie, sondern unser ganzes Viertel. Flächendeckende Energieversorgung ist eine große Herausforderung für unser Land. Und Fehlender Strom hemmt die Entwicklung.

15.04.2014 - Gefängniskinder

Heute hat mein Vater für meinen kleinen Bruder ein teures Fahrrad gekauft. Das erinnerte mich auf einmal an all die Kinder in Afghanistan, die in Gefängnissen aufwachsen. Wenn die Mütter ins Gefängnis müssen und es niemanden gibt, der sich um die Kinder kümmern kann, dann gehen die Kinder mit ins Gefängnis. Sie sind unschuldige Opfer. Dennoch träumen sie davon, in die Schule zu gehen, draußen mit ihren Freunden zu spielen. Es tut mir weh, wenn ich mir vorstelle, wie diese Kinder an so einem grausamen und schmutzigen Ort aufwachsen müssen. Ich glaube es wäre wichtig, dass sich die Regierung der Gefängniskinder annimmt und eine Lösung findet.

14.04.2014 – Internet

Meine 13-jährige Schwester ist total auf das Internet fixiert, ständig ist sie auf ihrer Facebook-Seite und chattet mit Freunden. Sobald sie morgens aufgestanden ist, fährt sie ihren Laptop hoch und legt alles andere beiseite – nur um zu schauen, ob ihre Freunde online sind. Heutzutage sind afghanische Kinder und Jugendliche total im Bann der neuesten Computer-Entwicklungen. Sie verstehen schnell, wie man mit Programmen umgeht und arbeiten damit. Ältere Leute haben diesbezüglich viel mehr Respekt und sind neuen Technologien gegenüber oft skeptisch.

Der technologische Fortschritt hat das Leben der Jugend in Afghanistan sehr verändert. Ich denke, dass moderne Technologie zur Entwicklung unseres Landes beiträgt und Kinder und Jugendliche animiert, kreativ und frei zu denken. Und ich hoffe, dass die junge Generation durch ihren Zugang zur modernen Technologie auch die Kommunikation mit dem Rest der Welt verbessert und die Zukunft unseres Landes positiv beeinflusst.

13.04.2014 - Jugend

Gestern habe ich im Fernsehen einen Bericht gesehen. Darin hieß es, dass sehr viele Schulabsolventen in Masar-i-Scharif den Eingangstest für die Universität bestanden haben. Und dass ein Mädchen von hier das beste Ergebnis ganz Afghanistans erzielt hat. Es hat mich sehr stolz gemacht, dass junge Menschen so hart arbeiten und entschlossen sind, ihren Teil zu tun, um eine bessere Zukunft für unser Land zu formen.

Die junge Generation wird diejenige sein, die die Entwicklungen vorantreiben und die Hauptrolle in Afghanistans Zukunft spielen wird. Die Jugend lässt sich trotz widriger Umstände - beispielsweise im Bildungsbereich - nicht unterkriegen, sie möchte dem Rest der Welt zeigen, dass Afghanistan nicht nur für Armut oder Krieg steht. Diese jungen Menschen sind das Rückgrat unserer Nation. Und ich bin optimistisch, dass Afghanistans Zukunft von diesen mutigen und gut ausgebildeten Menschen geprägt sein wird.

12.04.2014 – Luftverschmutzung

Heute hatte mein kleiner Bruder einen ganz schlimmen Asthma-Anfall. Ich habe keine Ahnung, wie ein so kleiner Körper damit fertig werden kann. Der Arzt hat gesagt, die Krankheit hänge mit der Luftverschmutzung in Masar-i-Scharif zusammen. Mein Bruder ist bei weitem nicht der einzige Betroffene. Viele Einwohner von Masar klagen aufgrund der schlechten Luft über Kurzatmigkeit. Auch im Krankenhaus habe viele Kinder gesehen, die wegen Asthma behandelt wurden.

Ich denke, die Autoabgase hier verursachen Krankheiten wie Asthma oder auch Herzprobleme. Auch die Fabriken im Stadtgebiet stoßen jede Menge Qualm und Dreck aus. Im Krankenhaus habe ich gehört, wie sich Patienten darüber beschwert haben. Ich denke, solche Fabriken sollte es in Wohngegenden nicht geben. Und ich hoffe, dass die neue Regierung diesbezüglich einen anderen Kurs einschlägt.

11.04.2014 - Straßenkinder

Als ich zum Basar ging, sah ich eine große Gruppe von Straßenkindern, die sich als Verkäufer durchschlugen. Ich habe auch viele Bettlerinnen gesehen. Die meisten von ihnen sind Obdachlose, die auf den Straßen von Masar-i-Sharif leben. Es schmerzt mich, zu sehen, dass einige meiner Landsleute unter solchen Bedingungen leben müssen. Diese Menschen verbringen fast ihr ganzes Leben auf der Straße, um gerade mal so viel Geld zu verdienen, dass sie sich ein Brot davon leisten können.

Straßenkinder in Masar-i-Sharif
Bild: DW

Andere Afghanen haben von der Entwicklung und der Verbesserung des Lebensstandards profitiert - diese Kinder nicht. Nicht selten werden die Kinder sexuell missbraucht oder sind drogenabhängig. Würden diese Kinder Zugang zu Bildung bekommen und würde man sie fördern, dann wäre ihr Leben in Zukunft viel sicherer. Ich hoffe, dass der nächste Präsident die Zahl der Straßenkinder und der Bettlerinnen verringern kann, indem er ihnen finanziell unter die Arme greift und ihnen den Zugang zu einer Grundbildung ermöglicht.

10.04.2014 - Sicherheit

Auf dem Weg zur Uni sagte ein Freund, dass die amerikanischen Soldaten Afghanistan so schnell wie möglich verlassen werden. Aber ich glaube, dass sie bleiben werden. Die meisten meiner Freunde wünschen sich, dass die NATO hier bleibt. Denn nur so können die Taliban zurückgehalten werden.

Wir sprechen oft über das Sicherheitsabkommen [zwischen Afghanistan und den USA, Anm. d Red.], dass bisher nicht unterzeichnet wurde, was ein großes Risiko ist, da die afghanischen Sicherheitskräfte nur schlecht ausgerüstet und ausgebildet sind.

Wenn das Abkommen unterzeichnet würde, wäre das eine große Erleichterung für viele Afghanen. Nicht nur für die Sicherheit, sondern auch für all diejenigen, die für die Amerikaner arbeiten, wäre das gut, da sie sonst ihre Arbeit verlören.

Mit den Amerikanern wird es nicht zu großen Problemen in Afghanistan kommen und die Öffentlichkeit weiß, was die Amerikaner verlieren, wenn sie abziehen. Ich wünschte, dass der neue Präsident sich mit den Amerikanern einigt und das Abkommen unterzeichnet.

09.04.2014 - Singen und Träumen

Letzte Nacht habe ich ganz für mich allein ein Lied über afghanische Mädchen gesungen. Ich mag dieses Lied sehr. Die Sängerin ist Aryana Sayed. Es ist so toll, weil sie offen ausspricht, was mit Mädchen und Frauen in Afghanistan passiert: dass sie immer wieder misshandelt oder sogar getötet werden. Die Botschaft lautet: Misshandelt keine Frauen nur wegen falscher Werte oder alter Traditionen.

Die Texte sind sehr berührend. Sayed fordert die Frauen auf, nicht mehr zu weinen, denn ihre Zeit werde kommen. Ich habe das Lied so oft gehört, aber jedes Mal habe ich etwas anderes empfunden. Auch meine Freunde und meine Familie mögen den Song.

Während der Herrschaft der Taliban war es verboten, Musik zu hören. Sie hatten alle Kasetten und Radios zerstört. Heute aber gibt es Sängerinnen, die manchmal sogar Musik über Frauenrechte machen. Ich denke, Musik ist ein Weg, um die schreckliche Unterdrückung afghanischer Frauen zu beenden.

08.04.2014 – Lehrmethoden

Gestern musste ich an der Uni meinen Vortrag halten – bei dem Professor, der seine Noten danach verteilt, wer am besten auswendig gelernt hat. Ich hatte keinen Projektor zur Verfügung, daher musste ich meine Folien alle ausdrucken. Ich konnte einfach nicht alles im Kopf behalten, es war zu viel. Der Professor hat mir null Punkte gegeben. Und die Jungs in einem Seminar haben mich ausgelacht.

Ich habe mich sehr geschämt. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das Lehrsystem an meiner Universität sich zwar insgesamt verbessert hat, dass aber schlechte Professoren und Lehrbücher oder –materialien die positive Entwicklung ausbremsen. Viele Studenten sind sehr wissbegierig und wollen unbedingt etwas lernen, haben aber schon damit zu kämpfen, dass beispielsweise der Internetzugang nicht funktioniert.

Ich hoffe wirklich, dass die künftige afghanische Regierung sich mehr auf die Universitäten und den Bildungssektor im Land konzentrieren wird – und dass die Rahmenbedingungen für Studenten sich insgesamt verbessern: nicht nur, was die Einrichtungen und die Ausstattung angeht, sondern auch personell. Wir brauchen einfach mehr qualifizierte Lehrkräfte.

07.04. –Entschluss

Als ich am Wahltag auf die Wahlkarte geschaut und dort nur männliche Namen gelesen habe, habe ich einen Entschluss gefasst. Es hat mich traurig gemacht, dass keine Frau unter den Präsidentschaftskandidaten zu finden war. Ich habe mir selbst das Versprechen gegeben, dass ich eines Tages in die Politik gehen und mich gegen die Diskriminierung von Frauen einsetzen werde. Ich möchte für die Rechte afghanischer Frauen kämpfen.

Dabei musste ich an die Parlamentsabgeordete Shukria Barekzai denken. Sie sagte einmal, dass Frauen die Dinge selbst anpacken müssten, weil es niemand sonst für sie tue. Für mich ist Shukria Berekzai ein leuchtendes Beispiel.

Wir brauchen einfach dringend mehr Frauen, die sich offen einsetzen, damit wir eines Tages ohne Angst unsere Meinung sagen können. Ich möchte mit dazu beitragen, dass alle afghanischen Frauen im Alltag von Verbesserungen profitieren können.

06.04.2014 - Stolz

Gestern bin ich wählen gegangen. Ich musste mehrere Stunden warten, bis ich endlich dran war, weil der Andrang so groß war. Bevor ich los ging, hatte ich ein etwas mulmiges Gefühl wegen der Sicherheitslage und der Drohungen von Seiten der Taliban. Aber als ich dann sah, dass überall afghanisches Sicherheitspersonal war, um mich und andere zu schützen, fühlte ich mich sicher.

Ich habe mich auch gefreut zu sehen, wie viele Frauen zur Wahl gegangen sind, um über den nächsten Präsidenten und über die Zukunft des Landes abzustimmen.

Mein Vater hatte mir im Vorfeld gesagt, ich sollte den gleichen Kandidaten wählen wie er. Aber ich habe nicht auf ihn gehört – sondern dem Kandidaten meine Stimme gegeben, den ich für den richtigen halte.

Ich bin sehr stolz auf meine Mitbürger und mein Land. An diesem Wahltag haben wir alle ein Stück Geschichte geschrieben.

05.04.2014 – Wahltag

Heute ist ein ganz besonderer Tag für mich und mein Land. Es ist Wahltag in Afghanistan, und während ich mich darauf vorbereite, zum ersten Mal in meinem Leben meine Stimme für meinen Kandidaten abzugeben, habe ich das Gefühl, dass alle meine Träume wahr werden. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas einmal erleben dürfte.

Bevor ich zum Wahllokal gehe, habe ich lange gebetet. Ich habe tief Luft geholt und geflüstert: "Ich hoffe, dass diese Wahl meinem wunderschönen Heimatland Frieden und Wohlstand bringt und dass es keine Gewalt gibt." Außerdem habe ich dafür gebetet, dass ich mich für den richtigen Kandidaten entschieden habe – ungeachtet, welcher Volksgruppe er angehört.

Nach all den schrecklichen Dingen, die afghanische Frauen in der Vergangenheit durchleben mussen, habe ich jetzt die Gelegenheit, die Zukunft Afghanistans mit zu gestalten. Es ist wie ein Traum. Ich kann nicht mehr abwarten. So, ich gehe jetzt los. Morgen schreibe ich, wie es war.

04.04.2014 – Bildung

Beim Blick auf meinen Kalender stellte ich fest, dass ich heute eine Präsentation an der Uni halten muss. Ich bin sehr aufgeregt. Ich weiß, dass der Professor sich bei seiner Benotung daran orientiert, wieviel die Studenten auswendig gelernt haben, ihm geht es nicht um Kreativität oder Intellekt. Er ist sehr altmodisch, und ich finde seine Methoden völlig überholt. Ich muss ein ganzes Kapitel aus meinem Lehrbuch auswendig aufsagen, genau wie meine Kommilitonen.

Mit anderen Professoren habe ich keine Probleme. Ich bin sehr froh, Lehrer zu haben, die mit Hilfe von Stipendien im Ausland studieren konnten und dort moderne Lehrmedthoden kennenglernt haben. Von ihnen kann ich viel lernen. Ihnen geht es darum, die Studenten dazu zu ermutigen, ihr Wissen zu erweitern und etwas über die Welt zu lernen.

Ich denke, wir müssten einige unserer Lehrkräfte weiterbilden und ihnen neue Methoden beibringen, damit sie kreativer und offener werden. Viele meiner Kommilitonen sehen das genauso und erhoffen sich von der künftigen Regierung, dass sie diesbezüglich etwas unternimmt. Auch ich hoffe, dass es nach den Wahlen positive Veränderungen geben wird. Aber jetzt muss ich mich erstmal auf meine Präsentation vorbereiten.

03.04.2014 - Schlacht im Parlament

Gestern abend habe ich auf YouTube ein Video gesehen, in dem eine Debatte im afghanischen Parlament völlig außer Kontrolle geraten und eskaliert ist. Schon während der Debatte fiel auf, dass die Abgeordneten sich gegenseitig nicht grün waren. Aber was dann passierte … So etwas habe ich noch nie gesehen: Ein Abgeordneter hat einen anderen am Hals gepackt und ihn mehrere Male ins Gesicht geschlagen. Dieser wiederum griff zur einzigen gerade verfügbaren Waffe – und schlug mit seiner Wasserflasche nach dem Angreifer.

Die Männer gehörten verschiedenen Volksgruppen in Afghanistan an. Jeder trat als Fürsprecher für seine Gruppe auf. So etwas passiert oft im afghanischen Parlament. Meiner Meinung nach ist die einzige Möglichkeit, das zu beenden, die Wahl des richtigen Kandidaten. Einen, der die Diskriminierung und Rivalität unter den verschiedenen Volksgruppen beendet. Und genau das erwarten auch die Frauen, mit denen ich bei der Registrierung für die Wahlen gestern gesprochen habe. Ich hoffe, dass die Menschen in drei Tagen ihre Stimme demjenigen geben, der in der Lage ist, die Gräben zwischen den Volksgruppen zu überwinden.

02.04. 2014 – Registrierung für die Wahl

Gestern habe ich meinen Wählerausweis abgeholt. Ich musste lange warten, weil viele Frauen und Männer sich registrieren lassen wollten. Mir fiel auf, dass sie trotz der Sicherheitsbedenken voller Hoffnung waren. Ich habe ein paar Frauen gefragt, wen sie wählen – und sie haben bereitwillig darüber gesprochen. Wir haben ganz offen über Politik und über die anstehenden Wahlen geredet. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen so kurz vor der Wahl optimistisch gestimmt sind. Sie sind sich ihrer Verantwortung als Wähler bewusst. Das ist schon ein kleiner Schritt in Richtung Demokratie.

Eine Frau, die sich unsicher war, wem sie ihre Stimme geben sollte, fragte mich, ob ich ihr etwas über die Kandidaten berichten könnte. Also habe ich ihr erklärt, wer alles im Rennen ist, über welche Erfahrung die einzelnen Kandidaten verfügen, wofür sie stehen und welche Chancen sie haben. Ich denke, dass das Gespräch ihr geholfen hat, eine Entscheidung zu treffen.

Afghanistan Präsidentschaftswahlen 2014 Bloggerin
Bild: privat

Ich bin sehr aufgeregt, zum ersten Mal wählen gehen zu können. Wenn es nicht zu massiven Fälschungen kommt, dann ist die Wahl aus meiner Sicht schon ein großer Erfolg. Es ist unrealistisch, 100% freie und faire Wahlen in unserem Land zu erwarten. Jeder, mit dem ich mich unterhalten habe, sagt, Wunder werde es nicht geben. Aber jeder einzelne in Afghanistan wünscht sich in erster Linie eins: Dass der künftige Präsident die Probleme anpackt und Afghanistan langfristig Frieden bringt.

01.04.2014 - Geht wählen!

Heute saß ich in meinem TOEFL-Kurs und bekam mit, dass einige Studenten nicht vorhaben, ihre Stimme bei der Präsidentschaftswahl abzugeben –, weil sie das Ganze gar nicht richtig verstanden haben. "Der afghanische Präsident steht schon fest, also wäre es doch Zeitverschwendung, zur Wahl zu gehen", meinte beispielsweise meine Kommilitonin Nabila. Diese Aussage hat mich wirklich frustriert.

Ich habe versucht zu erklären, dass für den Ausgang der Wahl jede einzelne Stimme zählt und dass man seine Stimme für den Kandidaten abgeben sollte, den man für geeignet hält. Andernfalls könnte man es später bereuen, nicht teilgenommen zu haben.

Aber wenn schon gebildete Menschen nicht wirklich wissen, worum es eigentlich geht – was ist dann mit all denen, die noch nicht einmal lesen und schreiben können? Meine Kommilitonen hörten mir stumm zu. Ich merkte, dass meine Botschaft bei ihnen ankam und es mir gelang, sie zu einem Umdenken bezüglich der Wahl zu bewegen.

Afghanistan Präsidentschaftswahlen 2014 Bloggerin
Meine Mitstudenten wollen jetzt auch wählenBild: privat

Ich denke, dass nur die Afghanen selbst das Recht und die Pflicht haben, über ihren künftigen Präsidenten zu entscheiden, das kann niemand sonst für uns tun. Ich bin sehr froh, dass ich es geschafft habe, viele meiner Kommilitonen zu überzeugen. Sie sagen jetzt: "Wir gehen wählen. Nichts kann uns davon abhalten."

31.03.2014 - Auf dem Basar

Heute war ich auf dem Basar. Zwei Männer haben gestritten, und um sie herum hat sich eine Menschentraube gebildet. Sie beschuldigten sich lauthals, dass der andere jeweils den falschen Präsidentschaftskandidaten unterstütze. Einer sagte zu dem anderen: "Du bist Tadschike [eine Volksgruppe in Afghanistan, Anm. d. Red.]! Du musst den tadschikischen Kandidaten unterstützen!" Das zu hören tut weh.

Ich denke, wir müssen einen Kandidaten wählen wegen seiner Ziele und Werte oder seiner Pläne für das Land und nicht aufgrund seiner Volkszugehörigkeit. Ich glaube fest daran, dass wir einen Präsidenten brauchen, der etwas für das Land tut - unabhängig von seinem Stamm. Obwohl ich noch nicht weiß, wen ich wählen werde, weiß ich sicher, dass ich wählen gehe.

30.03.2014 - Wählen für die Zukunft

Gestern hat mir ein Fahrer erzählt, dass die Taliban die Wahllokale angreifen werden. Ich mache mir Sorgen, dass die Situation schlimmer wird, je näher die Wahlen kommen. Ich denke die Taliban versuchen, Frauen davon abzuhalten, zu wählen oder selbst zu kandidieren. Aber ich werde gehen, um ein Vorbild zu sein für andere Mädchen.

Mein Vater sagt, dass keiner der Kandidaten Frieden und Sicherheit nach Afghanistan bringen wird. Er ist sehr pessimistisch, was die Zukunft unsers Landes angeht, denn er glaubt, dass niemand die gegenwärtige Situation ändern kann. Aber ich glaube, dass nur wir Afghanen selbst und niemand sonst die Situation ändern können.

Wir können die Zukunft ändern, wenn wir einen ehrbaren und aufrichtigen Kandidaten wählen. Ich freue mich auf die Wahlen, denn als die Taliban noch in Afghanistan waren, waren Wahlen undenkbar. Ich hoffe wirklich, dass es während der Wahlen ruhig bleibt.

29.03.2014 – Sorgen an der Uni

Heute haben einige Kommilitonen und ich über die Sicherheitslage in Masar-i-Scharif gesprochen. Wir sind uns einig, dass es im Umfeld der Wahlen gefährlicher wird. Ich würde mich gerne auch über die Politik informieren, denn ich kenne noch nicht einmal alle Kandidaten. Aber ich habe Angst, an politischen Veranstaltungen teilzunehmen, wenn ich die Nachrichten sehe. Sogar der Universitätsprofessor hat vor Attacken der Taliban gewarnt. Dann frage ich mich oft, ob ich unter diesen Bedingungen mein Studium werde fortsetzen können. Manchmal möchte ich nicht mal mehr in die Uni gehen, denn ich weiß nicht, wie ich mit all diesen Problemen fertig werden soll.

Donnerstag, 27.3. - Abschlussfeier

Morgen habe ich die Abschlussfeier für meinen TOEFL-Test (TOEFL = standardisierter Englischtest für Nicht-Muttersprachler - Anm. d. Red.). Ich habe lange darauf gewartet und jeden Tag gezählt. Jetzt kommt die Zeit, um die Früchte meiner Arbeit zu genießen. Hoffentlich gibt es für mich eine richtige Feier mir einem Kuchen, Blumen und einem Geschenk von meinen Eltern. Ich werde meine Mitschüler vermissen. Wir werden eine wichtige Erinnerung teilen. Es heißt ja, dass Menschen kommen und gehen, aber Freundschaft bleibt. Dennoch bin ich glücklich, dass die zwei Monate vorbei sind.

Mittwochnachmittag, 26.3. - Eine Lektion

Der Unterricht war entsetzlich langweilig. Der Professor hielt eine endlose Vorlesung. Um ehrlich zu sein, habe ich kein Wort verstanden. Deswegen bin ich eingeschlafen, wurde aber leider erwischt. Der Professor hat mir Fragen gestellt und ich konnte nicht antworten. Es war unvorstellbar peinlich. Ich denke, dass passiert, wenn nur der Körper anwesend, der Geist aber abwesend ist. Ich habe meine Lektion gelernt: Schlafe niemals im Unterricht!

Mittwoch, 26.3. - Mode

In diesem Semester habe ich meinen Kleidungsstil komplett verändert. Heute habe ich einen roten Mantel und ein weißes Tuch getragen – und dazu eine rote Handtasche und rote Schuhe. Einige Jungs haben mir auf dem Campus hinterhergerufen: "Hey, du trägtst ja die Farbe der Liebe." Ich ziehe gern teure Kleider an, denn ich will gut aussehen. Wie üblich bin ich in den "Chadhary Khana" gegangen (Anmerk. der Red.: Jede afghanische Universität verfügt über einen solchen Raum speziell für Frauen. Hier tauschen die Studentinnen ihre Burka gegen kleinere Kopftücher) und habe meinen Lippenstift nachgezogen und mein Make-up kontrolliert.

Viele Kommilitonen haben mich auf meinen Mantel angesprochen und mir gesagt, wie gut er mir stehe. Sie haben auch gefragt, wo ich ihn gekauft habe. Aber das wollte ich ihnen nicht verraten, damit nicht bald alle mit diesem Mantel herumlaufen. Deshalb habe ich einfach gesagt, mein Onkel hätte ihn in der Türkei gekauft.

Dienstag, 25.3. - Angst

Auch wenn ich wütend auf meine Freundin bin, weil sie meine privatesten Geheimnisse weitererzählt hat, habe ich beschlossen, mir davon nicht den Tag verderben zu lassen. Ich bin zur Uni gegangen und habe meine Kommilitonen kennengelernt, denn das neue Semester hat jetzt begonnen. Der Professor hat uns gesagt, dass sich die Situation in Afghanistan vor den Wahlen weiter verschlechtern wird. Ich habe auch gelesen, dass die Taliban damit gedroht haben, Wahllokale anzugreifen. Das alles macht mir Angst. Trotzdem muss ich versuchen, meinen Alltag weiter zu leben. Das Leben in Afghanistan ist voller Probleme und Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Aber ich bin überzeugt, dass es für jedes Problem auch eine Lösung gibt. Man muss nur Geduld haben - wobei das eigentlich nicht meine Stärke ist. Aber ich habe für mich entschieden, dass ich nach vorne blicken und optimistisch sein will.

Dienstag, 25.3. - Vertrauensbruch

Letzte Nacht hatte ich einen furchtbaren Traum. Ich habe geträumt, jemand hätte mich in den Fluss gestoßen. Manchmal werden Träume später Wirklichkeit. Mir ist im wahren Leben heute etwas Ähnliches passiert: Meine beste Freundin hat einfach Dinge über meinen Freund ausgeplaudert! Meine Geheimnisse, die ich ihr im Vertrauen erzählt hatte. Das ist mir so peinlich und furchtbar unangenehm! Ich wünschte, ich hätte das nie gesagt. Ich kann nicht glauben, dass sie meine Gefühle so verletzen konnte. Es tut verdammt weh! Ich war immer ehrlich mit ihr und habe ihr vertraut. Seit der ersten Klasse war sie meine beste Freundin. Jetzt ist alles vorbei. Ich kann und will nicht mehr mit ihr befreundet sein.

Montag, 24.3. - Langeweile

Heute war ein langweiliger Tag. Ich war die ganze Zeit zu Hause. Die Uni geht bald los, und ich freue mich sehr darauf. Der Gedanke an ein neues Semester zusammen mit meinen Kommilitonen und meinen Professoren ist wunderbar. Aber leider habe ich weder ein schönes Kleid noch ein buntes Tuch oder eine modische Handtasche. Und das sind ja nun mal Dinge, die für Mädchen zählen und an die sie immer denken. Ich bin da nicht anders.

Wie wird das Semester werden? Ich werde neue Gesichter sehen. Ich bin ganz aufgeregt, mein Körper zittert. Ich habe etwas Angst vor meinen Kommilitonen. Ich werde mich überwinden und Mut aufbringen müssen, bis ich mich in ihrer Umgebung wohlfühle und unbefangen sein kann.

Ich werde mir wie geplant ein neues Kleid kaufen. Alle sollen staunen und sagen: "Wow, was für ein schönes Kleid!"

Sonntag, 23. März, 8:30 Uhr - Stau

Acht Uhr morgens. Tuut, Tuut - wieder ein Stau. Ausgerechnet auf dem Weg zu meinem TOEFL-Test, den ich nicht verpassen wollte, geriet in einen Stau. Die Straßen waren total verstopft, weil Autos, Busse, Motorräder, LKWs und alle möglichen anderen Fahrzeuge gleichzeitig unterwegs waren. An diesem Morgen sah der Stau besonders heftig und lang aus. Die Prüfung hatte schon begonnen - während ich seit einer Stunde festsaß, ohne mich einen Zentimeter vorwärts bewegt zu haben.

Blog Bild Fatama Amiri Kabul Verkehr
Bild: Fatama Amiri

Das Leben ist unvorhersehbar. Da hatte ich mich einen Monat lang auf den TOEFL-Test (TOEFL = standardisierter Englischtest für Nicht-Muttersprachler - Anm. d. Red.) vorbereitet. Und dann kam ich eine Stunde zu spät an. Der ganze Druck, die Frustration, die Sinnlosigkeit, der Gedanke, versagt zu haben - ich weinte stumm vor mich hin. Aber dann sagte ich mir: Warte! Gib nicht auf, hab Hoffnung. Du wirst es schaffen. Wie haben es andere Leute in einer solchen Situation geschafft, sich der Herausforderung zu stellen? Sicher nicht durch Nichtstun und warten.

Neun Uhr. Ich betrat das Klassenzimmer. “Es ist zu spät, um die Prüfung noch abzulegen“, rief mir mein Professor zu. Ich senkte den Kopf und sagte kein Wort, um mich zu verteidigen. Meine Klassenkameraden machten sich über mich lustig, bezeichneten mich als "dumm" oder "faul". Ich schämte mich. Dann bat ich den Professor inständig, mir bitte noch eine Chance zu geben, den Test zu schreiben: "Bitte, Sir!". "Na gut, aber nur fünf Minuten." Ich war so durcheinander, dass ich mich an nichts erinnern konnte. Ich hatte auf ein A+ gehofft, am Ende habe ich leider nur ein B+ bekommen.

Samstag, 22. März - Geburtstag nur auf dem Kalender

Aufwachen, heute ist Dein Geburtstag! Sei glücklich und entspannt! Ich sollte ein großes Lächeln auf dem Gesicht tragen. Aber wie kann ich meine Gefühle mit anderen Teilen? Soll ich laut rufen: "Leute, heute habe ich Geburtstag?"

Kann ich auf Glückwünsche hoffen? Darauf, dass meine Eltern mit ein gesegnetes und erfolgreiches Leben wünschen? Nein, das tun sie nicht. Vielleicht wollen sie mich mit einer Party überraschen, mit Geschenken, einem großen Kuchen und einem hübschen Prinzessinnen-Kleid? Träume ich etwa?

Es ist wieder so ein stressiger Tag: Ich muss zum Seminar und zum TOEFL-Kurs (TOEFL = standardisierter Englischtest für Nicht-Muttersprachler - Anm. d. Red.), ich habe Hausaufgaben zu erledigen, muss lesen und an meinem Blog arbeiten. Ich wünschte, ich könnte das alles um einen Tag verschieben.

Es ist fast vier Uhr nachmittags, und noch immer warte ich darauf, dass mir jemand zum Geburtstag gratuliert. Aber bislang nichts. Ich bin sehr enttäuscht. Niemals hätte ich gedacht, dass keiner mich schätzt und liebt und an mich denkt.

Es wird dunkel. Meine Mutter klopft an meine Tür, um mich zum Abendessen zu rufen. Lass mich in Ruhe! Ich habe keinen Hunger. Mein Kopf liegt auf dem Kissen, das nass ist von meinen Tränen. Die Dunkelheit umfängt mich. Ich schlafe mit gebrochenem Herzen und dem Gefühl der Sinnlosigkeit ein.

Freitag, 21. März, 14:15 Uhr - Festessen ohne Oma

Heute habe ich für Gäste gekocht. Meine Mutter hat afghanische Speisen zubereitet: Es gab Pawal und Kofta (Reis und Fleischbällchen). Wow, sah das alles gut aus. Ich wünschte, wir würden immer Nowruz (persisches Neujahr) feiern, dann hätten wir immer Gäste und Festtagsessen.

Es ist Essenszeit - aber Großmutter ist verschwunden. Meine Mutter sucht überall nach ihr, sogar in der Küche. Wir können sie nirgends finden. Vielleicht ist sie vor all dem Lärm geflüchtet. Oder sie ist einfach irgendwo eingeschlafen. Es heißt ja, wenn man alt ist, kann man fast überall schlafen.

Das Essen wird langsam kalt, und wir suchen immer noch nach Großmutter. Es ist gleichzeitig lustig und mysteriös. Wo ist sie nur? Während ich suche, höre ich plötzlich jemanden um Hilfe rufen. Die Stimme kommt aus der Toilette. Jemand hat Großmutter versehentlich eingeschlossen! Sie ist ärgerlich, aber wir müssen lachen, denn irgendwie ist das Ganze ja auch komisch.