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Politik

Schwere Vorwürfe gegen ukrainische Ermittler

Roman Goncharenko
7. November 2018

Nach dem Tod der Aktivistin Kateryna Handsjuk wächst der Druck auf die Polizei und Justiz. Dank ihrer Prominenz erregt der Säureangriff auf sie mehr öffentliche Aufmerksamkeit als viele Attacken auf Aktivisten zuvor.

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Ukraine Tod der Aktivistin Kateryna Gandziuk
Aktivistin Kateryna Handsjuk starb knapp vier Monate nach dem Säureangriff Bild: DW/L. Rzheutska

Man braucht starke Nerven, um sich das knapp dreiminütige Video anzuschauen, das Kateryna Handsjuk Ende September in einem Krankenhaus in Kiew aufgenommen hat. Die 33-jährige Frau hatte schwerste Hautverletzungen erlitten, als man sie Ende Juli vor ihrem Haus im südukrainischen Cherson mit Schwefelsäure angegriffen hatte. "Ich weiß, ich sehe jetzt schlecht aus", sagt Handsjuk in dem Video. "Und doch sehe ich immer noch besser aus als Gerechtigkeit und Justiz in der Ukraine." Handsjuk wirft den Behörden vor, seit Jahresbeginn in mehr als 40 Fällen, in denen es um Angriffe auf Aktivisten geht, keine Ermittlungserfolge vorgewiesen zu haben. "Warum müssen wir es aushalten, wenn man uns umbringt oder verstümmelt?", fragt sie.

Wenige Wochen später starb Handsjuk - vermutlich an den Folgen des Attentats. Medienberichten zufolge soll sich eine Trombe gelöst haben. Die genaue Todesursache ist allerdings weiterhin nicht bekannt. Am Mittwoch wurde Handsjuk in Cherson beigesetzt.

Speerspitze einer Bewegung für Reformen

Die Nachricht über ihren Tod löste Bestürzung und Empörung in der Ukraine aus. Das liegt nicht nur daran, dass Handsjuk eine bekannte Aktivistin war. Sie hatte sich bereits bei der Orangen Revolution 2004 engagiert, war Kommunalpolitikerin und zuletzt unter anderem Beraterin des Bürgermeisters von Cherson. Sie hatte einen Namen als scharfzüngige Kämpferin gegen Korruption und für eine neue prowestliche Ukraine in einer Region mit starken prorussischen Kräften.

Demonstration in Kiew wegen zahlreicher Angriffe gegen Aktivisten in der Ukraine
Demonstranten zeigen Kateryna Handsjuk nach dem SäureangriffBild: DW/A.Magazova

Aktivisten in der heutigen Ukraine sind vor allem junge Menschen, die sich in Nichtregierungsorganisationen oder Freiwilligengruppen engagieren. Sie prangern Korruption an, machen dunkle Geschäfte von Politikern und Behörden öffentlich, organisieren Demonstrationen und fordern Reformen vor allem in der Justiz. Sie verstehen sich als die Speerspitze der landesweiten Euromaidan-Bewegung, die im Herbst 2013 mit Protesten in Kiew begann und zum Machtwechsel führte.

Generalstaatsanwalt reicht Rücktritt ein

Der Fall Handsjuk ist auch deshalb so prominent, weil er als Beispiel sowohl für zunehmende Übergriffe auf Aktivisten als auch für überfordert wirkende Ermittler gilt. Denn zunächst wurde lediglich wegen Rowdytums ermittelt. Erst später führte unter anderem der öffentliche Druck dazu, dass der Säureanschlag als schwere Körperverletzung und dann als versuchter Mord eingestuft wurde. Mehrere mutmaßliche Täter wurden festgenommen, doch die Hintermänner sind bis heute unbekannt.

Ukraine Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko
Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko: Will er wirklich zurücktreten?Bild: picture alliance/NurPhoto/D. Shamkin

Im ukrainischen Parlament führte der Fall Handsjuk am Dienstag zu einem Rücktrittsangebot des Generalstaatsanwalts Jurij Luzenko - allerdings nicht wegen schleppender Ermittlungen. Luzenko, ein enger Vertrauter des Präsidenten Petro Poroschenko, warf einigen Aktivisten vor, Ermittlungen durch Weitergabe von Details an die Presse zu behindern. Eine Probeabstimmung im Parlament zeigte keine Mehrheit für seine Ablösung als Generalstaatsanwalt. "Eine Theater-Vorstellung", nennt der Kiewer Journalist und DW-Gastkolumnist Serhij Rudenko Luzenkos Rücktrittsangebot. Nun hängt Luzenkos Schicksal von Poroschenko ab. Am Mittwoch wurde bekannt, dass der Generalstaatsanwalt beim Präsidenten sein Rücktrittsgesuch eingereicht hat.

Test vor Präsidentenwahl

Rudenko meint, dass der Fall Handsjuk zu einem Test für die gesamte ukrainische Regierung werden könnte, vor allem für die Sicherheitsbehörden. Denn es gehe um Dutzende Fälle, in denen proukrainische Aktivisten in verschieden Regionen der Ukraine brutal zusammengeschlagen, mit Messern verletzt oder angeschossen wurden. Manche wurden sogar getötet wie Anfang August Vitalij Oleschko in Berdjansk. "Die Polizei, der Inlandsgeheimdienst SBU und die Staatsanwaltschaft haben sich unfähig gezeigt, diese Taten schnell aufzuklären", sagt Rudenko. "Wäre Handsjuk nicht gestorben, würde sich weder der Präsident noch das Parlament an solche Fälle erinnern."

Im Parlament wurde inzwischen ein Untersuchungsausschuss für den Fall Handsjuk gegründet. Ergebnisse werden allerdings frühestens Ende Januar erwartet. Damit dürften sie mitten im Wahlkampf für Aufregung sorgen: Im März finden in der Ukraine Präsidentschaftswahlen statt, und Poroschenko möchte wiedergewählt werden. Sein Abschneiden dürfte auch von den Ermittlungen im Fall Handsjuk abhängen.