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Politik

"Schäbig und unmenschlich!"

Juri Rescheto
30. Mai 2018

Die russischen Reaktionen auf den von Kiew inszenierten Mord am russischen Journalisten Arkadi Babtschenko schwanken zwischen Erleichterung und Unverständnis. Vor allem seine ehemaligen Kollegen üben harsche Kritik.

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Ukraine vorgetäuschter Mord an Journalist Arkadi Babtschenko in Kiew
Bild: Reuters/V. Ogirenko

"Na, den wird seine Frau jetzt hoffentlich wirklich umbringen!" Etwas derb scherzt ein russischer User im Internet über die jüngste Posse um den angeblich getöteten Kreml-kritischen Journalisten Arkadi Babtschenko - und bringt damit auf den Punkt, was vielen Menschen in Russland gerade durch den Kopf geht. Nicht einmal seine eigene Frau soll darüber informiert gewesen sein, dass Babtschenko seinen Tod in der ukrainischen Hauptstadt Kiew zusammen mit dem ukrainischen Geheimdienst nur inszeniert hatte. Nur einen Tag nach dem vorgetäuschten Mord tauchte Babtschenko quicklebendig bei einer Pressekonferenz in Kiew wieder auf und bat seine Frau um Entschuldigung dafür, dass sie in den vergangenen 24 Stunden "durch die Hölle gehen musste". 

Ukraine Journalist Arkadi Babtschenko PK in Kiew | mit Lutsenko & Grizak
"Wieder auferstanden": Arkadi Babtschenko mit dem ukrainischen Geheimdienstchef Vasily Gritsak (li.) auf einer Pressekonferenz in KiewBild: Reuters/V. Ogirenko

Allgemein überwiegt Erleichterung im Netz und bei den offiziellen Reaktionen aus Moskau. Hauptsache, der Mann lebt, heißt es in den meisten Kommentaren. "Da fährt man zu seiner Gedenkveranstaltung und muss auf halbem Wege umkehren!", jubelt etwa der russische Kolumnist Alexander Plushev: "Lang sollst du leben, Arkadi!" Ähnlich äußert sich die Sprecherin des Russischen Außenministeriums Maria Sacharowa schon Minuten nach der "Auferstehung" des Journalisten in Kiew. Sie nennt es "die beste Nachricht" des Tages. "Ich wünsche mir, dass so etwas immer so endet." Und dann schlägt ihre Freude in unverhohlene Kritik um: "Schade, dass in anderen Fällen eine solche Maskerade nicht klappt." Für sie sei der "propagandistische Effekt" der Ukraine offensichtlich. So sehen es auch viele andere User in russischen Netzwerken: "Das ist die beste Reality-Show, die die Ukraine je hatte", spottet einer, "Babtschenko ist wieder auferstanden! Was wohl Jesus dazu sagen würde?", ein anderer.

"Dümmstmögliche Provokation gegenüber Russland"

Andere russische Politiker und Journalisten reagieren mit deutlich weniger Humor. Wladimir Dschabarow, Vizepräsident des außenpolitischen Ausschusses im Föderationsrat, ist geradezu empört über die Geschehnisse im Nachbarland: "Kiew hat die dümmstmögliche Provokation gegenüber Russland unternommen und sich damit vor der ganzen Welt blamiert." Und auch viele ehemalige Kollegen von Arkadi Babtschenko sind erzürnt - vor allem, weil mit ihren Gefühlen gespielt wurde. "Seine Einstellung gegenüber den Kollegen, die ihn beweint haben, vor allem aber gegenüber seiner Frau, ist absolut schäbig und unmenschlich", regt sich etwa Pavel Gusew, der Chefredakteur des "Moskowskij Komsomolez", auf: "Und das alles, um später sagen zu können, Russland sei an allem Schuld! Gott soll über seine Tat richten. Ich halte ihn nicht mehr für einen ehemaligen Kollegen." Gusew spricht von "einem absolut unmoralischen Spiel des (ukrainischen Geheimdienstes) SBU und dieses Menschen, der sich Journalist nennt!"

Ukraine Kiew Polizei vor dem Haus des ermordeten Journalisten Arkady Babchenko
Groß angelegte Inszenierung: Polizisten warten in der angeblichen Tatnacht vor dem Haus von Arkadi Batschenko Bild: Reuters/V. Ogirenko

Ilja Azar, Reporter der unabhängigen "Nowaja Gazeta", in der früher auch Babtschenko arbeitete, ist erleichtert und erzürnt zugleich: "Babtschenko lebt!!! Das ist wunderbar." Und doch findet Azar für das Vorgehen seines ehemaligen Mitstreiters deutliche Worte: "Das, was er sich zusammen mit dem SBU da ausgedacht hat, ist zu hart. Unter Journalistenkollegen geht gerade der Vorschlag um, Arkadi kollektiv die Fresse zu polieren." 

Gefährliches Spiel mit der Wahrheit

Auch der frühere Oligarch Michail Chodorkowski, heute einer der prominentesten Kremlkritiker, freut sich zwar, dass Babtschenko am Leben ist. Aber auch er findet kritische Worte: "Schade, dass die Geheimdienste nicht an die Folgen für die Glaubwürdigkeit denken. Von der Glaubwürdigkeit hängen auch ganze Leben ab." In diesem Sinne ist die Operation der ukrainischen Spezialkräfte auch für den Chef der Internationalen Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen", Christophe Deloire, ein neuer Schritt im Informationskrieg und ein gefährlicher Präzedenzfall. Deloire äußert seine "tiefste Empörung” über die Manipulation der ukrainischen Geheimdienste: "Es ist immer sehr gefährlich für eine Regierung, mit der Wahrheit zu spielen, vor allem wenn sie ausgerechnet Journalisten für ihre falschen Geschichten benutzt.”

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Juri Rescheto Chef des DW-Büros Riga