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Interview mit dem Bundespräsidenten

Die Fragen stellte Miodrag Soric8. Dezember 2006

Bundespräsident Horst Köhler spricht im Interview mit der Deutschen Welle über ethischen Journalismus und den Beitrag des Senders zum Bild Deutschlands im Ausland.

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Bundespräsident Horst Köhler (l.) und der Intendant der Deutschen Welle, Erik Bettermann
Hoher Besuch: Bundespräsident Horst Köhler (l.) und der Intendant der Deutschen Welle, Erik BettermannBild: B. Frommann

DW-WORLD.DE: Herr Bundespräsident, vor über 50 Jahren sagte Bundespräsident Theodor Heuss, Aufgabe der Deutschen Welle sei es zu entkrampfen. Wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sollte der deutsche Auslandssender der Welt ein authentisches Bild des neuen demokratischen Deutschlands vermitteln. Wie würden Sie heute die Aufgabe der Deutschen Welle beschreiben?

Bundespräsident Horst Köhler: Entkrampfen ist nicht mehr die [Haupt-]Aufgabe. Das Wichtigste ist, die Leistungsfähigkeit des Landes darzustellen, unsere Weltoffenheit, auch unsere kulturelle Vielfalt, also insgesamt ein Bild von Deutschland zu geben, wie es ist und wie es geschätzt wird. Deutschland hat einen guten Ruf als fairer Partner, als leistungsfähiges Land und ich glaube, wir haben das noch gar nicht genug vermittelt. Da kann die Deutsche Welle aus meiner Sicht eher noch mehr tun. Aber ich bin schon dankbar, dass sie das, was sie tut, so gut macht und damit zu eben diesem guten Ruf beiträgt.

Die Medienwelt boomt, das Internet gewinnt an Bedeutung, die Digitalisierung sorgt für Hunderte neuer Verbreitungswege bei Radio und Fernsehen. Medienhäuser, die Schritt halten wollen, müssen investieren. Welchen Stellenwert hat die Deutsche Welle für die Bundesrepublik Deutschland?

Ich glaube, es ist wichtig, mehr Informationen über unser Land nach außen zu kommunizieren. Wenn wir eine Vorstellung haben, dass wir uns in der Welt wie sie ist behaupten müssen, können wir durchaus noch mehr gewinnen, wenn wir unsere Stärken besser kommunizieren. Die Deutsche Welle sollte da einen wichtigen Teil übernehmen.

Herr Bundespräsident, Sie haben mehrere Jahre Ihres Lebens im Ausland verbracht, kennen Deutschland somit auch aus der Perspektive von außen. Wie wird Deutschland Ihrer Einschätzung nach von außen wahrgenommen? Hat sich dieses Bild in den vergangenen Jahren gewandelt?

Wir haben natürlich die Phase gehabt in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die geprägt war von den Verbrechen der Nazizeit, der Schulddiskussion. Heute nehmen die Menschen draußen wahr, dass wir nach dem Zweiten Weltkrieg eine 'gute Geschichte' hatten, dass wir in der Entwicklungszusammenarbeit, in den internationalen Organisationen, wie den Vereinten Nationen, eine konstruktive faire Rolle spielen. Ich glaube, all das dokumentiert, dass wir einerseits stolz sein können auf unser Land und das sollten wir auch kommunizieren. Auf der anderen Seite wissen wir aber auch, dass weitere Verantwortung kommt und dass wir uns nicht verstecken können in dieser zusammenwachsenden Welt mit den Aufgaben, die die internationale Gemeinschaft leisten muss. Und wenn ich meine eigene Erinnerung wach rufe, dann kann ich nur sagen – und oft haben mir dies auch andere gesagt -, 'eure Probleme in Deutschland möchte ich mal haben'. Die finden nämlich, dass es uns sehr gut geht.

Sie haben vor wenigen Tagen gesagt: "Ein ethisch fundierter Journalismus könne viel dazu beitragen, dass die Kulturen und Religionen der Welt einander mit mehr Respekt begegnen."

Welche Rolle sehen Sie für die Medien, auch für die Deutsche Welle, im sogenannten Dialog der Kulturen?

Das Wichtigste ist Information. Faire, offene Informationen. Die Menschen draußen sind klug, sie sind kritisch, man kann ihnen nichts vormachen. Und wenn wir unser Land so darstellen wie es im Inneren ist, mit seinen Stärken und Schwächen, dann setzt sich auch draußen schnell die Erkenntnis durch, dass wir ein verlässlicher Partner sind.

Sie haben mehrfach hervorgehoben, dass Ihnen bei Auslandsreisen ganz unterschiedliche journalistische Standards begegnet sind. Sie haben eine Konferenz über dieses Thema in Deutschland angeregt. Was sollte Aufgabe einer solchen Konferenz sein?

Ich habe eine Idee aufgegriffen, die andere formuliert haben, weil ich der Ansicht bin, dass Journalismus, der hauptsächlich nur skandalisiert oder Sensationen produziert, den Dialog und die friedliche Ausgleichssuche erschwert. Ein freier Journalismus ist ein Grundnahrungsmittel der Demokratie, aber die freie Presse muss sich eben auch binden in Verantwortung - und das heißt auch ethische und moralische Verantwortung. Wenn wir das tun, dann ist das eine Mindestvoraussetzung, um den Dialog der Kulturen und zwischen den Religionen fortzusetzen und weiterzuentwickeln. Nur auf dieser Basis werden wir gesprächsfähig bleiben. Wenn wir uns gegenseitig zuhören und offen die eigene Positionen darstellen, entsteht Glaubwürdigkeit – nicht [indem wir] eigene Vorurteile reproduzieren und anderen nur nette Worte sagen.

Sie haben Afrika zum außenpolitischen Schwerpunkt Ihrer Präsidentschaft gemacht und haben mit der ZEIT-Stiftung eine Partnerschaft mit Afrika ins Leben gerufen. Die Deutsche Welle erreicht in Afrika täglich über 30 Millionen Hörer. Warum ist Ihnen Afrika so wichtig?

Ich habe in Afrika am direktesten Not, Hunger, Tod, Konflikt erlebt. Im politischen Prozess und im gesellschaftlichen Leben wird über Afrika viel geredet, aber im Kern oft auch gedacht, 'das ist ein verlorener Kontinent'. Wenn sich dies in den Köpfen der Menschen festsetzen würde, wären wir nicht nur sehr ungerecht gegenüber den Anstrengungen und Fortschritten in Afrika, sondern würden uns auch selber Schaden zufügen. [So würden wir] unseren jungen Leuten eine Diskrepanz vermitteln zwischen unseren Sprüchen, unseren ethisch moralischen Vokabeln, den politischen Absichtserklärungen und der Realität, dass wir heute manchmal immer noch zu lange zuschauen, wie Not andauert. Europa ist dem afrikanischen Kontinent näher als jeder andere Kontinent. Ich glaube, dass Europa eine historische und ethische Verantwortung hat, sich besonders des afrikanischen Kontinents anzunehmen.

Die Deutsche Welle will ihre Angebote für die islamischen Länder ausweiten. Glauben Sie, dass das richtig ist?

Ja. Wir haben in diesem Bereich - Naher Osten, arabische Welt - große, große Probleme. Ich habe überhaupt keinen Zweifel, dass es möglich ist, im Nahen Osten Frieden zu schaffen. Die wichtigste Grundbedingung dafür ist, dass man mehr voneinander weiß. Wir wissen zu wenig über die arabische Welt, die arabische Welt weiß zu wenig über uns. Zum Beispiel glaube ich, dass die gute Integration von muslimischen Mitbürgern bei uns auch Teil einer Konzeption ist, die auf Glaubwürdigkeit aufbaut. Wenn wir bei uns die muslimischen Mitbürger gut integrieren, sie in unserem Land mit offenen Armen aufnehmen, zeigt das auch in der arabischen Welt, dass wir nichts gegen Muslime haben. Auf dieser Basis können wir dann auch das diskutieren, was im Außenpolitischen wichtig ist, was bei der Bekämpfung des Terrorismus wichtig ist. Ich glaube, dass die Deutsche Welle mit der [stärkeren] Ausrichtung auf die arabische Welt im Grunde eine Lücke abdeckt, und ich wünsche mir, dass sie dies besser, schneller und massiver tut als zu langsam und nur kleckernd.

Herr Bundespräsident, in wenigen Tagen beginnt die zweite Hälfte Ihrer fünfjährigen Amtsperiode. Sie haben sich in den vergangenen Monaten mehrfach zu aktuellen politischen Streitfragen zu Wort gemeldet und gelten bereits als sehr politischer Präsident. In welchen Themenfeldern muss die Politik auch weiterhin mit Ihrer "Einmischung" rechnen?

Ich habe ja keine Politik, dass ich mich einmischen will, weil ich zu wenig ausgelastet oder zu ungeduldig bin. Ich glaube nur, dass auch der Bundespräsident mithelfen soll, die Kernprobleme des Landes einer Lösung zuzuführen. Für mich sind die Kernprobleme die Arbeitslosigkeit, die Probleme im Bildungsbereich und die Integration von muslimischen oder ausländischen Mitbürgern. Wenn wir diese entschlossen mit Stetigkeit, mit Geradlinigkeit bearbeiten und politisch beantworten, dann haben wir eine gute Perspektive für unser Land.

Herr Bundespräsident, vielen Dank für das Gespräch.