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Fahnenflucht in Sydneys Little Italy

25. Juni 2006

Norton Street im Herzen von Sydneys Little Italy ist wie verwandelt: Vor dem Achtelfinalspiel gegen Italien leuchtet es überall in Grün und Gold - den Farben der australischen "Socceroos". Ein ungewöhnliches Bild.

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Sydney - Hochburg der italienischen EinwandererBild: picture-alliance/dpa

Vor den Geschäften wehen hier in der traditionellen "Azzurro-Hochburg" mehr australische Fahnen als italienische Trikoloren. Die Banner an den Autos zeigen boxende Kängurus und Kinder werden mit Australien-Pullis gegen die Winterkälte geschützt - und nicht mit den Trikots des dreimaligen Weltmeisters Italien.

Fußball, WM 2006, Australische Fans
Australische Fans fiebern in Sydney mit ihrer Mannschaft mitBild: AP

Die Italiener bilden nach den Angelsachsen die größte ethnische Gruppe Australiens - Wissenschaftler schätzen, dass eine Million der 20 Millionen Australier ihre Wurzeln im von vielen noch als "Old Country" bezeichneten Italien haben. Erhalten haben die "Italo-Australier" ihre Fußballleidenschaft - jahrelang haben sie die "Azzurri" bei internationalen Begegnungen begeistert unterstützt, wenn die Spiele in der Norton Street und in der Lygon Street in Melbournes italienischem Viertel auf Großbildleinwänden gezeigt wurden.

Generationskonflikt vorm Fernseher

Das ist jetzt anders. Dominic Manca, Australier in der ersten Generation, würde normalerweise zu Italien halten: "Wenn es irgendein anderer Gegner wäre, würde ich ganz klar auf Italiens Seite stehen, aber ich bin hier geboren", sagt Manca, der in einen "Socceroos"-Schal gehüllt die Norton Street lang spaziert. Mancas Eltern gehören zu der großen Welle von italienischen Einwanderern, die seit dem Krieg nach Australien gekommen sind. Sein Vater unterstütze weiterhin die Italiener, sagt Dominic Manca und beschreibt die Stimmung zuhause im Moment als "ziemlich angespannt".

Der selbe Generationskonflikt zeigt sich in Silvana Doulaveras' Familie: Silvanas Söhne, der achtjährige Terry und der fünfjährige Daniel, spielen im italienischen Einkaufszentrum in der Norton Street - gekleidet in brandneuen Australien-Pullis. "Die Jungs und ich halten zu Australien", sagt Silvana. "Mitten in der Nacht sind sie aufgestanden, um die Spiele zu gucken. Aber heute habe ich ihre Großmutter angerufen und sie ist für Italien."

Farben-Mix als Kompromiss

WM 2006 - Kroatien - Australien
Harry Kewell schoss Australien ins AchtelfinaleBild: AP

Ein Einzelhändler in Sydneys italienischem Viertel berichtet, dass die australischen Fahnen dreimal so häufig gekauft werden wie die italienische Trikolore. Manche Läden haben sich einen besonders schlauen Kompromiss ausgedacht: Sie verkaufen Trikots, die zur einen Hälfte im "Azzurri"-Blau gehalten sind und zur anderen Hälfte "Socceroo"-Gold gefärbt sind.

Fußball-Fachsimpelei

Sogar die "Bar Sport", eine Kaffeebar, die in den vergangenen 50 Jahren - während andere Restaurants kamen und gingen - zu einer Institution geworden ist, beugt sich dem "Socceroo"-Fieber. Hier treffen sich die älteren italienischen Männer für ihre Abend-Espressi und um Fußballspiele noch mal Revue passieren zu lassen - und zwar nicht nur die großen Weltmeisterschaftsspiele, sondern auch die Spiele der Champions League und der italienischen Liga. Jetzt prangt ein eingerahmtes Trikot von "Socceroo"-Spielmacher Harry Kewell dort an der Wand, wo früher die Poster der großen italienischen Teams hingen und der Wirt fachsimpelt mit den Gästen, ob Italien den Australiern gewachsen ist.

Besitzer Joe Napoliello sagt, die Vorstellung, dass Australien die Bedeutung in Frage stellen könnte, sei vor einigen Jahren noch völlig undenkbar gewesen - aber bei seinen Koffein gefüllten Experten haben sie die australischen Spieler ordentlich Respekt verschafft. "Ich habe mit Freunden in Europa gesprochen und sie haben gesagt, Australien sei die Überraschung der WM. Aber die Jungs hier haben das Team seit der Qualifizierung wachsen sehen und wir wissen, zu was sie fähig sind", sagt einer der Gäste. "Niemand sagt, dass Italien uns vermöbeln wird, wie es noch vor einigen Jahren der Fall gewesen wäre." Auf die Frage, wer seiner Meinung gewinnen wird, antwortet er: "Dein Kopf sagt, Italien ist besser und sollte durchkommen, aber ich traue dieser australischen Mannschaft alles zu - wie auch immer, wir haben jemanden, zu dem wir im Viertelfinale halten können." (AFP/chr)