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Facetten der Nacktheit

5. Februar 2002

"Nackt" ist der Titel einer Hamburger Ausstellung, die noch bevor sie ihre Tore öffnet, zu Kontroversen geführt hat. Trotz der Allgegenwart inszenierter Nacktheit ist menschliche Blöße immer noch Provokation.

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Hideki Fuji (1978): Traditionelle Ästhetik mit moderner FreizügigkeitBild: mkg-hamburg

Schon im Vorfeld der Schau im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, die sich - so der Untertitel - mit der 2500jährigen "Ästhetik der Blöße" befasst, gab es Ärger. Der Plakatentwurf für die Ausstellung, die am Freitag (01.02.2002) öffnet, stieß auf Ablehnung. Die Hamburger Verkehrsbetriebe weigerten sich eine Collage aus dem Foto eines üppigen Busens und dem Unterleib einer weiblichen Skulptur in ihre Waggons zu hängen. Mitglieder des Fördervereins des Museums waren weder mit dem Titel, noch mit Inhalten der Schau glücklich und entschieden sich zum Austritt.

"Moderner Blößenwahn"

Sicherlich sind das nur Ausnahmen. In der Regel ist unsere Gesellschaft von dem bestimmt, was Kulturwissenschaftler als eine "Ideologie der Intimität" bezeichnen: Nacktheit in der Werbung, in Hochglanzmagazinen, auf dem Bildschirm und nicht zuletzt im World Wide Web. Gerade hält der freizügige Auftritt des Pop-Sternchens Sarah Connor bei Thomas Gottschalk die Fernseh-Nation in Atem.

Art und Ausmaß der Empfindungen gegenüber dargestellter Nacktheit hängen von vielen Umständen ab. Über sie etwas herauszufinden, stand für Kurator Nils Jockel am Anfang seiner Ausstellungskonzeption. Gleichzeitig ließ er sich nach eigenen Angaben durch die "Clinton-Sex-Affäre" und dem damit verbundenen "modernem Blößenwahn" zu diesem Überblick inspirieren.

Stücke aus der eigenen Sammlung boten sich an, die Facetten inszenierter Nacktheit vor Augen zu führen. Von der Antike bis zur Gegenwart sollen rund 250 Ausstellungsstücke die Kulturgeschichte des nackten Körpers beschreiben. Epochenübergreifend werden höchst unterschiedliche Werke, von Vasenmalerei und Skulpturen des Altertums bis zum Benetton-Plakat, in diverse thematische Zusammenhänge gegliedert. Nicht nur die unterschiedliche Historie, sondern auch die unterschiedlichsten Gattungen und Verwendungszusammenhänge sind Gegenstand der "Ästhetik der Blöße".

Nacktheit zwischen Verdammung und Aufwertung

In Kulturen, in denen Kleidung als Norm gilt, wird der nackte Mensch anders betrachtet als der bekleidete. Die Ambivalenz von Nacktheit als ursprünglicher Reinheit - verbunden mit Attributen wie natürlich, gesund und authentisch - und der Nacktheit als Folge des Sündenfalls bestimmt die Geschichte des entblößten Körpers in der christlich-abendländischen Kultur.

In der bildenden Kunst ist Nacktheit häufig zum Ausdrucksmittel für die symbolische Darstellung abstrakter Ideen und Ideale geworden. Neben dem Thema "Kirche, Moral und Ästhetik" wird auch das wissenschaftliche Interesse am entblößten Körper behandelt. Zwei Holzpuppen aus dem frühen 16. Jh., ihre Glieder bis in die Finger beweglich, sind Kabinettstücke, die von anatomischen Interesse zeugen.

Stimulanz, Tabus, Utopien und Grenzen

Erotische Blätter aus Japan geben Inspiration und Anleitung für das Liebesleben. Eine Fotografie aus den siebzigern spielt mit der Inszenierung von Nacktheit: Brust und Bauch eines weiblichen Modells sind entblößt, ansonsten ist der Körper züchtig verhüllt.

Die Wandlungen des männlichen Modells vom Kraftprotz zum Lustobjekt werden ebenso thematisiert wie die weibliche Figur vom Typus der erotisierenden Femme fatale des Jugendstil und ihrem Gegenstück, einer Heckel-Skulptur, die eher Verweigerung als Verführung ausdrückt. Neben der Werbung und ihrem Motto "Sex sells" ist der Ausdruck von Gewalt in der Aktdarstellung ein Grenzbereich: der in Stein gehauene antike Heros in machtvoller Pose oder sadomasochistische Fantasien auf Vinyl.

"Nackt" ist nicht die einzige Ausstellung, die sich mit dem Akt beschäftigt. München zeigte jüngst die "Venus in der Kunst", London "Victorian Nudes". Nils Jockel liefert in Hamburg allerdings den einzigen umfassenden Überblick über die Kulturgeschichte der Akt-Darstellung.

Die Frage, ob Nacktheit in Zeiten ihrer medialen Allgegenwart enttabuisiert ist, führt letztendlich auf den Gegenstand der Ausstellung zurück: Die Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich Tabu- und Schamgrenzen verschieben sind vielfältig und in ständiger Bewegung. Auch heute noch.(cg)