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Politik

Fünf Jahre Flüchtlingspakt: Türkei will mehr Geld

Deger Akal
18. März 2021

Die Zahl der Flüchtlinge in der Türkei wächst. Experten fordern trotz der angespannten Beziehungen mehr EU-Gelder für Ankara. Sanktionen träfen die gesamte Gesellschaft und erhöhten die Wut auf den Westen.

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Türkei Edirne | Flüchtlinge | Essensausgabe
In der türkischen Stadt Edirne warten Flüchtlinge auf die EssensausgabeBild: Getty Images/AFP/O. Kose

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fordert eine Erneuerung des EU-Flüchtlingspaktes. Ankara pocht darauf, dass die Finanzhilfen aus Brüssel erhöht werden. Der Grund: Fünf Jahre nach dem EU-Flüchtlingsabkommen hat die Zahl der Flüchtlinge in der Türkei stark zugenommen. Das Land hat mittlerweile etwa vier Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Außerdem ist Ankara für die Binnenflüchtlinge in den Teilen Nordsyriens verantwortlich, die unter türkischer Kontrolle stehen.

Im Rahmen des 2016 beschlossenen EU-Türkei-Flüchtlingspaktes sicherte Brüssel Ankara jährlich Unterstützungszahlungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro zu. Neben den Finanzhilfen wurden der türkischen Regierung zudem Visa-Erleichterungen für türkische Bürger und eine Ausweitung der Zollunion versprochen. In diesen beiden Punkten wurden in den letzten fünf Jahren jedoch kaum Fortschritte erzielt.

Ankara braucht Unterstützung

Nach Einschätzung des Migrationsexperten Matthias Lücke von dem Institut für Weltwirtschaft Kiel (IfW Kiel) ist die türkische Regierung dafür mitverantwortlich. "Die Politik der Türkei stand immer mehr im Widerspruch zu den Werten der EU, eine enge Zusammenarbeit war deswegen unmöglich", sagt er. Dennoch empfiehlt er Brüssel, zusätzliche finanzielle Mittel an die Türkei auszuzahlen. Da nicht zu erwarten sei, dass die syrischen Flüchtlinge in naher Zukunft in ihre Heimat zurückkehrten, solle die EU mehr tun, um der Türkei zu helfen.

Flüchtlinge sitzen in einem Boot der türkischen Küstenwache
Immer wieder kommen Flüchtlinge an der türkischen Küste anBild: Emrah Gurel/AP/picture alliance

Die Liste der Zerwürfnisse zwischen Brüssel und Ankara ist lang: Sie reicht vom Gasstreit im Ostmittelmeer über die türkische Militäroffensive in Nordsyrien, die viele EU-Staaten als völkerrechtswidrig einstufen, bis zu Ankaras Alleingängen im libyschen Bürgerkrieg.

Diese Konflikte brachten die Verhandlungen ins Stocken. Da der Europäische Rat wichtige Beschlüsse wie beispielsweise Visa-Liberalisierungen einstimmig beschließen muss, scheiterten diese am Veto-Recht einzelner EU-Staaten wie Griechenland und Zypern.

Diplomatische Eiszeit

Denn die Regierungen in Athen und Nikosia fühlten sich vom Auftreten Ankaras im Gasstreit bedroht und blockierten deswegen die Verhandlungen. Außerdem sorgte der zunehmend autokratische Regierungsstil von Staatspräsident Erdogan sowie die systematische Aushöhlung der Grundrechte in der Türkei für eine diplomatische Eiszeit zwischen der Türkei und der EU.

Der Leiter des Forschungszentrums für Migration und Integration der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul, Murat Erdogan, verweist darauf, dass das Abkommen ursprünglich dafür gedacht gewesen sei, um genau das Gegenteil zu ermöglichen: nämlich Fortschritte in den Beziehungen zwischen der Türkei und der EU.

"Das einzige, was funktioniert hat, war das finanzielle Unterstützungsprogramm für die Flüchtlinge. Aber zum jetzigen Zeitpunkt läuft dieses Prinzip nach der Logik: 'Lass mich dir Geld überweisen, und du behältst die Flüchtlinge'. Und das ist kein nachhaltiges System", so Erdogan.

Wut auf den Westen

Dass die meisten EU-Länder an dem Flüchtlingspakt festhalten, kann Murat Erdogan nicht nachvollziehen. "Für die EU bedeutet es einen Erfolg, wenn keine Flüchtlinge kommen. Daher heißt es, das Abkommen habe zu einem erfolgreichen Ergebnis geführt. Das Abkommen ist jedoch Teil einer Politik der Ausgrenzung", meint der Migrationsexperte.

Der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, bei einer Rede
Recep Tayyip Erdogan und die EU können nicht so gut miteinander, brauchen sich aber gegenseitig Bild: DHA

Die Türkei dürfe von den EU-Staaten trotz der vielen Verstöße gegen Menschenrechte und Demokratie nicht ausgegrenzt werden, meint Murat Erdogan. "Die Türkei ist mehr als eine Regierung. Das Land ist größer als nur eine Person" (Anm. d. Red.: gemeint ist Präsident Erdogan).

Die Sanktionen richteten sich nicht nur gegen den Präsidenten sondern gegen das ganze Land. Die Isolationspolitik mache die gesamte Gesellschaft zum Opfer. "Das erhöht die Wut der türkischen Gesellschaft gegenüber Europa und dem Westen."

Nach Ansicht Murat Erdogans wurde die Türkei mit den Belastungen der Flüchtlingskrise wirtschaftlich alleine gelassen, sowohl politisch als auch sozial und wirtschaftlich. Die absehbaren Risiken hätten die EU-Länder nicht übernehmen wollen.

Gegenseitige Abhängigkeit

Seit Ende 2020 sind aus Ankara wieder versöhnlichere Töne in Richtung Brüssel zu hören. "Wir wollen eine neue Seite in den Beziehungen mit der EU aufschlagen", hieß es zuletzt von Präsident Erdogan. Besonders weil der türkische Präsident händeringend nach Lösungen für die Wirtschaftskrise sucht, ist er auch auf die Unterstützung der EU angewiesen.

Ein griechischer Polizist steht an einem Loch im Zaun an der griechisch-türkischen Grenze
2020 kam es zu einem Bruch des Flüchtlingsdeals, die Türkei öffnete ihre Grenze zu Griechenland Bild: Yasin Akgül/dpa/picture alliance

Nach Ansicht des Direktors für Internationale Migrationsstudien am ifo Institut, Panu Poutvaara, gibt es jedoch eine gegenseitige Abhängigkeit. Er erinnert daran, dass Anfang 2020 Präsident Erdogan an der griechisch-türkischen Grenze die Tore für Flüchtlinge öffnen ließ. Die Folge waren tumultartige Ausschreitungen mit der griechischen Grenzpolizei.

"Wie vor einem Jahr könnte die Türkei drohen, die Zusammenarbeit zu beenden. Aber es gibt auch das Risiko, dass die EU die dringend benötigten finanziellen Ressourcen kürzt. Daher liegt die Zusammenarbeit hinsichtlich der Flüchtlinge im Interesse beider Seiten". Der Wirtschaftsexperten hält es daher ebenfalls für notwendig, die finanzielle Hilfe für die Türkei zu erhöhen.