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Ex-Jugoslawien: Dialog der Historiker

24. September 2009

Wissenschaftler aus der Region möchten die Vergangenheit gemeinsam aufarbeiten. Voraussetzung für ein friedvolles Miteinander ist für sie die Klärung der eigenen staatlichen oder nationalen Identität.

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Historiker fordern Schluss mit Mythen wie der Schlacht auf dem AmselfeldBild: picture-alliance / akg-images

Darko Gavrilovic arbeitet als Historiker bei der Nicht-Regierungsorganisation Zentrum für Geschichte, Demokratie und Versöhnung in Novi Sad. Er sagt, in der Region müsse Schluss sein mit der Bildung historischer Mythen. Nur so könne eine gesunde geistige Grundlage für kommende Generationen geschaffen werden. „Ideologien schaffen Mythen.“ Ihr Ziel sei es, die Massen zu manipulieren, vor allem was die Wahrnehmung des politischen oder ideologischen Feindes angehe. „So sind die Ideologen auch vorgegangen: Sie haben stets Feinde geschaffen“, sagt Gavrilovic.

Dieser Teil der Geschichte soll nun ad acta gelegt werden, wenn es nach dem Willen der Teilnehmer einer Konferenz in Opatija und Belgrad geht. Dort haben sich Experten aus Bosnien, Kroatien und Serbien getroffen, um über die Aufarbeitung der Vergangenheit zu sprechen. Ihr erklärtes Ziel war es auch, gemeinsame Einschätzungen der jüngsten Geschichte des ehemaligen Jugoslawien anzubieten – Kontroversen inbegriffen. Auf ihren Treffen diskutierten die Wissenschaftler dann ganz konkret über Fragen der nationalen Identität, Mythenbildung, die Herrschaft Titos, den jugoslawischen Vielvölkerstaat, Opfer der kommunistischen Herrschaft und der Kriege.

Titos schweres Erbe wirkt bis heute nach

Der kroatische Historiker Berislav Jandric hat das Verhältnis Titos zum Vielvölkerstaat analysiert. Sein Fazit: „Tito hatte kein Gehör für Probleme der Ethnien untereinander oder Lösungen der Probleme.“ Für ihn stand Jugoslawien als Ganzes im Vordergrund. Adnan Jahic aus Bosnien und Herzegowina ist der festen Überzeugung, dass diese Herangehensweise Titos dazu beigetragen habe, den Nationalismus der Ethnien zu entfachen. Daraus wären die hegemonialen Denkmuster, das Streben nach einem Groß-Serbien oder Groß-Kroatien erwachsen, die schließlich zu den Kriegen der 1990er Jahre geführt hätten. Deswegen sei auch die Identität eines Staates aus drei Ethnien wie Bosnien und Herzegowina kaum definierbar. „Die Frage der Identität und Identifizierung mit Bosnien-Herzegowina als einem homogenen Staatsgebilde und als staatsrechtliche Realität mit eigener Tradition ist bis heute für so manchen umstritten.“

Schluss mit historischen Zerrbildern

Die Wissenschaftler stimmten darin überein, dass sich jedes Volk mit seiner Vergangenheit und seiner Geschichte aussöhnen müsse, um verzerrten und falschen Geschichtsinterpretationen Einhalt zu gebieten. Die Teilnehmer bemängelten, dass manche Zerrbilder erneut Eingang in Lehrbücher der Sekundarstufe II und sogar in Hochschulen gefunden hätten. Der Belgrader Historiker Ljubodrag Dimic kritisierte, es gebe praktisch keinerlei Austausch zwischen albanischen und serbischen Historikern. Man nehme einander nicht einmal wahr, findet Dimic.

Das Treffen der Historiker soll nicht das letzte sein. Historiker, Juristen, Soziologen und Politologen aus der Region wollen sich weiter bemühen, den Gordischen Knoten der jugoslawischen Kontroversen zu lösen. Träger des Projekts ist neben dem Zentrum für Geschichte, Demokratie und Versöhnung auch das Institut für historische Gerechtigkeit und Versöhnung aus Den Haag.

Autoren: Dinko Gruhonjic / Mirjana Dikic

Redaktion: Birgit Görtz