1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Eurosur - dein Feind und Helfer

Alois Berger10. Oktober 2013

Das Europaparlament hat das Grenzüberwachungssystem Eurosur auf den Weg gebracht. Es soll Europas Küsten gegen Migranten abschotten und in Seenot geratene Flüchtlinge retten. Es gibt Zweifel, ob das zusammen passt.

https://p.dw.com/p/19xf5
Ein graues italienisches Militärschiff bei einem Frontex-Einsatz im Hafen von Los Cristianos auf Teneriffa (Foto: Getty Images)
Bild: Desiree Martin/AFP/Getty Images

Für EU-Kommissarin Cecilia Malmström kommt Eurosur gerade recht. Das nagelneue Grenzsystem werde helfen, Menschenleben zu retten, versprach Malmström im Europaparlament am Donnerstag (10.10.2013). Mit Eurosur könne man Flüchtlingskatastrophen wie die jüngste vor Lampedusa künftig hoffentlich vermeiden. Dahinter steht die Überlegung, dass sich in Seenot geratene Boote voller Migranten schneller orten und retten lassen, wenn die EU ein lückenloses Überwachungssystem im Mittelmeer installiert.

Doch im Kern hat das European Border Surveillance System (kurz: Eurosur) mit der Tragödie vor der italienischen Küste nichts zu tun. Dass die parlamentarische Abstimmung darüber jetzt anstand, war reiner Zufall. Eurosur ist seit 2008 geplant, im Dezember soll es in Betrieb gehen. Deshalb musste das EU-Parlament jetzt offiziell grünes Licht geben.

Die neue Flüchtlingspolitik ist die alte

Man kann der schwedischen EU-Kommissarin Malmström durchaus glauben, dass sie darauf hofft, mit Eurosur auch Flüchtlingen zu helfen. Aber geplant und aufgebaut wurde das Überwachungssystem allein mit dem Ziel, die Außengrenzen der Europäischen Union noch dichter, noch unüberwindlicher zu machen. "Eurosur dient der Bekämpfung der illegalen Migration", wettert die Europaabgeordnete der Grünen, Ska Keller, "und überhaupt nicht der Seenotrettung, wie es jetzt dargestellt wird."

Bootsflüchtlinge aus Afrika in einem Schlauchboot (Foto: dpa)
Bootsflüchtlinge vor Lampedusa hoffen und bangenBild: picture-alliance/ROPI

Bisher werden die Außengrenzen rund um die Europäische Union, insgesamt fast 15.000 Kilometer, vorwiegend von den nationalen Grenzdiensten der Mitgliedsländer kontrolliert, unterstützt von der europäischen Grenztruppe Frontex. Meist sind in jedem Land zwei oder mehr Ministerien mit der Grenzsicherung betraut - Innenministerien, Verteidigungsministerien, Küstenministerien. Zusammen mit den europäischen Stellen sind gut 50 verschiedene Behörden damit beschäftigt, die illegale Zuwanderung zu verhindern. Eurosur vernetzt alle diese Behörden, baut ein einheitliches Kommunikationssystem auf und macht die Überwachung per Satellit und Aufklärungsdrohnen zum Standard. Für die nächsten neun Jahre hat das Europäische Parlament dafür knapp 340 Millionen Euro eingeplant.

Jagd auf Drogen- und Menschenhändler

Statt mit Patrouillenbooten wird beispielsweise das Mittelmeer künftig aus der Luft und aus dem All nach verdächtigen Schiffen abgesucht. Das funktioniert lückenloser und ist unabhängiger vom Wetter. Alle Informationen laufen dann bei Eurosur zusammen. Wenn beispielsweise ein Schiff registriert wird, das sich in keinem Hafen offiziell abgemeldet hat, dann ruft Eurosur die nationalen Grenzbehörden an oder schickt die Frontex-Boote los, um möglichen Drogen- oder Menschenhändlern das Handwerk zu legen. "Es geht hier nicht darum, Flüchtlinge abzuweisen", erklärt der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, "sondern Schlepperbanden ihr Geschäftsmodell madig zu machen, und das sollte schon eine gemeinsame Aufgabe sein."

Der Vorsitzende der CSU-Europagruppe, Markus Ferber (Foto: dpa)
Für den CSU-Europaabgeordneten Markus Ferber geht der Kampf gegen Schlepper vorBild: picture-alliance/dpa

Für Flüchtlinge und Armutsmigranten läuft das allerdings auf dasselbe hinaus: Für sie wird es noch schwieriger und möglicherweise auch gefährlicher, nach Europa zu kommen. Doch wenn sie dabei in Seenot geraten, dann haben sie jetzt bessere Chancen, schnell entdeckt und auch gerettet zu werden. "Ich denke, das ist eine Selbstverständlichkeit, wenn über solche Systeme Informationen über in Seenot Geratene eingehen, dass diesen Menschen geholfen wird", bekräftigt Ferber.

Wasser und Kekse statt Rettung

Zweifel gibt es dennoch. In Seenot ist ein Boot erst, wenn es manövrierunfähig ist, wenn der Motor oder das Steuersystem kaputt sind. Solange es fährt, ist es nicht in Seenot. Die Frage, ob ein Boot zu klein und zu brüchig ist, um den nächsten Sturm zu überstehen, ist damit aber nicht beantwortet; auch nicht, ob die Passagiere ausreichend Lebensmittel dabei haben. Als vor zwei Jahren ein mit 72 Menschen überladenes Boot nach Hilfe funkte, kamen nicht nur Fischerboote, sondern selbst die italienische Küstenwache und sogar ein NATO-Helikopter vorbei. Sie brachten Kekse und Wasser und drehten wieder ab. Zwei Wochen später wurde das Boot vor Libyen wieder entdeckt. Von den 72 Passagieren waren noch neun am Leben.

Die Grünen im Europaparlament forderten deshalb, dass die Rettung von Menschen ausdrücklich in den Aufgabenkatalog von Eurosur aufgenommen werden müsse. Es sei schließlich ein Unterschied, ob Patrouillenboote zur Aufnahme oder zur Abwehr von Menschen ausgestattet seien. Dasselbe gelte auch für Kommunikationssysteme und Einsatzleitstellen. "Wir wollen, dass Seenotrettung ein Ziel ist", meint die Grünen-Abgeordnete Ska Keller, "damit Kapazitäten zur Seenotrettung bereitgestellt werden und die Kooperation stärker darauf ausgelegt wird, als das jetzt der Fall ist."

Doch die Mehrheit des Parlaments lehnte das ab. Viele Abgeordnete fürchten, dass ein solcher Rettungsauftrag falsch verstanden werden könnte. Dass Migranten es darauf anlegen könnten, von Eurosur geortet und von Frontex aufgegriffen zu werden, wie der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber glaubt: "Das europäische Modell kann ja nicht heißen, wer es schafft, möglichst in die Nähe europäischer Küsten zu kommen, der hat ein Aufenthaltsrecht in der Europäischen Union, dem wird geholfen. Damit würden wir das zynische Geschäftsmodell der Schlepperbanden noch befördern. Das kann nicht Aufgabe europäischer Politik sein."

Die Europaabgeordnete Ska Keller von den Grünen (Foto: dpa)
Die Europaabgeordnete Ska Keller von den Grünen kämpft für ein anderes EurosurBild: picture-alliance/dpa