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Politik

Mehr Gewalt gegen Homosexuelle in Europa

4. Februar 2020

Der Lobby-Verband "ILGA", der sich für LGBTI-Menschen einsetzt, kritisiert, dass in der EU viele Rechte nicht durchgesetzt werden. Der Jahresbericht belegt eine Zunahme von "Hass" im Netz. Bernd Riegert aus Brüssel.

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Deutschland | Berlin - Christopher Street Day 2016 | Nein zur Gewalt
Bild: picture alliance/Eventpress Stauffenberg

Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung ist in der Europäischen Uniongesetzlich verboten. Ausgeschlossen sei sie damit keineswegs, schreibt der europäische Verband für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (ILGA) in seinem heute vorgelegten Jahresbericht. Im Jahr 2019 habe es zwar Fortschritte für die "LGBTI"-Gemeinschaft gegeben, aber das Bild sei sehr komplex und in einigen Staaten habe man auch Rückschritte verzeichnet. Besonders schwierig sei die Lage in einigen osteuropäischen und fünf zentralasiatischen Staaten, die die die ILGA ebenfalls jährlich unter die Lupe nimmt.

Symbolbild drittes Geschlecht
Fortschritte bei den Rechten für Intersexuelle laut ILGA-BerichtBild: picture alliance/dpa/J. Woitas

Verbale Drohungen nehmen zu

In den insgesamt 49 untersuchten Staaten sei 2019 eine starke Zunahme von Hass-Kommentaren in den Sozialen Medien und auch bei öffentlichen Kundgebungen zu verzeichnen gewesen. Das betraf vor allem Bulgarien, Polen, die Türkei, Zypern, Finnland, Griechenland, Spanien und Portugal. Aber selbst im eigentlich liberalen Großbritannien sei im Zuge der populistischen Brexit-Debatte die Zahl der verbalen Attacken auf Lesben und Schwule angestiegen, sagt Verbandsaprecher Brian Finnegan in Brüssel. Offenbar sinke die Hemmschwelle.

Bosnien-Herzegowina l LGBT-Pride Parade in Sarajevo
Erste "Pride-Parade" in der Geschichte: Demonstration in Sarajevo im September 2019Bild: picture alliance/AP Photo/D. Bandic

Auch registrierte die ILGA, die von der EU kofinanziert wird, mehr Proteste von rechten Gruppen gegen Demonstrationen, "Pride"-Märsche und Partys von Schwulen- und Lesbenverbänden. Das könne mit der zunehmenden Stärke von nationalistischen und populistischen Gruppen in Europa zusammenhängen. Auch die körperliche Gewalt gegen LGBTI-Menschen habe zugenommen, was in Ländern wie Albanien, Bosnien-Herzegowina, Tadschikistan oder Turkmenistan dazu führe, dass mehr Schwule, Lesben und Transgender in benachbarte Länder auswanderten. Die Daten für ihren Bericht hat die ILGA durch ihre verschiedenen Landesverbände vor Ort zusammengetragen.

Mehr Rechte für gleichgeschlechtliche Eltern

"Es gibt aber nicht nur schlechte Nachrichten", sagte Evelyne Paradis, Direktorin der ILGA, bei der Vorstellung des Jahresberichts im Europäischen Parlament in Brüssel. Zum Beispiel habe die Frage der körperlichen Unversehrtheit von intersexuellen Menschen eine größere Rolle für Regierungen und politische Institutionen gespielt. "2019 war ein Jahr mit positiven Entwicklungen für 'Regenbogen-Familien'. Die Rechte dieser Familien wurden in einigen Ländern ausgeweitet", so Paradis. Regenbogen-Familien sind gleichgeschlechtliche Eltern mit eigenen oder adoptierten Kindern.

Bosnien: Schwule und Lesben in Angst

Homophobie in Bulgarien und Bosnien

Die bulgarische Aktivistin Lilya Dragoeva berichtete, dass sich die Lage in ihrem Heimatland verschlechtert habe. Führende Politiker nationalistischer Parteien des EU-Mitglieds würden LGBTI-Menschen und Pride-Märsche verbal heftig attackieren. "Es gibt eine tief verwurzelte Homophobie in Bulgarien", sagt Dragoeva.

Ähnliches berichtet Emina Bosnjak aus Sarajevo. In Bosnien-Herzegowina, das der EU beitreten will, gebe es zu viele physische Angriffe auf Schwule und Lesben, viele wollten das Land verlassen, berichtet Bosnjak, die in Sarajevo eine Beratungsstelle leitet. "Theoretisch steht der Schutz der LGBTI-Rechte zwar in den Gesetzen, aber in der Praxis handeln Behörden und Regierung nicht entsprechend", sagt Bosnjak. Immerhin habe es aber im September den ersten Pride-Marsch in Sarajevo überhaupt geben können. Das sei ein schöner Erfolg. Rund 1000 Polizisten waren in Sarajevo ausgerückt, um den Demonstrationszug der LGBTI-Aktivisten zu schützen.

EU-Kommission will aktiv werden

Auch in Deutschland gibt es laut ILGA Missstände. Allein im ersten Halbjahr 2019 wurden 245 sogenannte Hass-Verbrechen gegen Lesben und Schwule registriert. Positiv wird in dem Bericht hervorgehoben, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ein Verbot von Konversionstherapien bei minderjährigen Homosexuellen angestoßen hat.

Deutschland Jens Spahn
Jens Spahn, schwuler Gesundheitsminister, will Umerziehungs-Therapien verbietenBild: Reuters/M. Tantussi

Die neue EU-Kommissarin für Gleichstellung, Helena Dalli aus Malta, will sich verstärkt um die Durchsetzung der Rechte von Lesben, Schwulen, Trans- und Intersexuellen kümmern. Im Namen der Kommissarin erklärte ihr Mitarbeiter Silvan Agius, dass an einer umfassenden Politik-Strategie für diese Fragen gearbeitet werde. "Wir haben schon viele Fortschritte in den letzten Jahren erreicht, aber eben noch nicht in allen 27 Mitgliedsstaaten", sagte Silvan Agius bei der Vorstellung des ILGA-Jahresberichts.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union